Brünhilde Blum litt ihre gesamte Kindheit und Jugend lang: Nicht an den Toten, die sie seit ihrem siebten Lebensjahr an in der elterlichen Bestattungsfirma „versorgen“, herrichten musste, sondern unter ihren lieblosen Eltern. Folgte Brünhilde nicht, wurde sie in einen Sarg gesperrt. Seit sie selbst etwas zu sagen und entscheiden hat, nennt sie sich Blum, kein Vorname mehr, nur Blum. So stellt sie sich auch Mark vor, der zu ihr auf ihr Boot kommt, von dem aus sie unzählige verzweifelte Notrufe abgesetzt hat: Blums Eltern sind an diesem Nachmittag beim Schwimmen in der Adria ums Leben gekommen.
Na ja, wer das halt glaubt. Die Leserinnen und Leser wissen es ab der ersten Seite dieses Thrillers ja besser als der gutgläubige Mark, der noch dazu Polizist ist. Er liebt Blum, er glaubt Gutes, frägt nur einmal nach, spricht danach als sie zusammen leben, zwei gemeinsame Töchter großziehen, seinen Vater zu sich nehmen, nie mehr darüber.
Als Mark vor ihren Augen von einem Auto überfahren wird, schwört Blum Rache. Sie plant akribisch, der Hass lässt sie jeden Morgen aufstehen und die letzten Ermittlungen ihres toten Ehemannes verfolgen: Dunja, eine Migrantin, der übel mitgespielt wurde, scheint der Schlüssel zu Marks Mörder zu sein. Woche um Woche findet Blum einen Beteiligten, alle haben sich an der Menschenjagd in einem Keller eines Tiroler Gasthofes mit Wollust beteiligt. Der Fotograf hat Fotos gemacht, der Bischofsanwärter immer von Sünde geredet und der Starkoch hat die drei Gefangenen mit Leckerbissen gemästet. Nun ja, sie bekamen zwar das Allerbeste mussten es aber aus Kübeln essen, nein, keine Damastserviette sollte das böse Spiel behübschen.
Zerteilen und verpacken, so wie es der Metzger getan hat, als Blum ein Kind war. … Blum sägt ihm die Arme ab. Dann die Beine, seine Gliedmaßen liegen auf dem Boden.
Spielte der Thriller in Skandinavien, gäbe es vermutlich einen Täter, den Bischofsanwärter, nicht, dafür vielleicht eine andere Figur, die mit Ansehen gesegnet zu sein scheint. Innsbruck lässt als Tatort, als Vergeltungsort und Lebensort aufhorchen: Eine normale Familie, eine hervorragende Bestatterin, ein weißer Leichenwagen – das klingt, als ob deren Leben ein einziger Samstagnachmittag mit Kuchen wäre. Aber Berhard Aichner zerstört gekonnt alle Idyllen, Blums Freund ist plötzlich ihr gefährlichster Feind, der Clown, der letzte aller Menschenquäler. Gründlich hat der 1972 geborene Autor recherchiert, u. a. ein halbes Jahr in einem Bestattungsunternehmen ausgeholfen, vielleicht um dann Blum einige zentrale Fragen in den Mund zu legen: Warum werden in diesem Altersheim die Toten durch die Küche abtransportiert? Merkt doch sowieso jeder, dass wieder eine fehlt? Blum, die Totenflüsterin, die Frau, die Sekt im Toten-Kühlschrank trinkt und Mark zuprostest. Nicht pietätlos, sondern nur sehr ehrlich!
Aichner, Bernhard: Totenfrau. Thriller. München: btb-Verlag 2014.
ISBN 978-3-442-75442-7
€ 20,60