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03/24

Digitale Spiele: Erlauben oder verbieten?

Digitale Spiele: Erlauben oder verbieten?

Computerspiele sind ein häufiges Konfliktthema in Familien: Wie schädlich sind sie und wie lassen sich adäquate Gebrauchsregeln aufstellen?

Seit der Pandemie hat die Nutzung digitaler Spiele stark zugenommen. Zehn- bis 15-Jährige verbringen im Schnitt mindestens zwei bis drei Stunden am Tag damit: Was macht Computer- und Handyspiele so attraktiv?

Barbara Buchegger: Ich glaube, das hängt stark vom einzelnen Kind und von der Lebenssituation ab. Ganz allgemein gesprochen bieten Computerspiele eine Welt, die einfache durchschaubar, bewältigbar und auch mit Erfolgserlebnissen versehen ist. PC-Spiele sind auch eine wichtige Gesprächsbasis – in manchen Klassen reden Jungs permanent über Spielinhalte. Das heißt nicht, dass sie die Spiele immer aktiv spielen – teilweise schauen sie auch zu. In der Pandemie war das Computerspiel für viele eine gute Ablenkung. Der PC wurde zum Aufenthaltsort für Kinder, weil sie sich nicht treffen konnten.

Fritz Weilharter: Meine beiden jüngeren Töchter (16 und 18 Jahre) spielen wenig bis gar keine Computerspiele, dafür sind sie in den sozialen Medien aktiv. Was das Gaming und Social Media betrifft: Es handelt sich hier um einen klugen Schachzug der digitalen Industrie. Die  Algorithmen sind genau passend daraufhin programmiert, wie Kinder und Erwachsene ticken. Das heißt: Es gibt hier eine neuropsychologische Verstärkungsebene, den Bedürfnissen entsprechend maßgeschneidert. Nicht umsonst hat der Umsatz von „Roblox“ die Umsätze von youtube überholt. Dementsprechend groß ist auch die Forschung in diesem Bereich, um noch mehr User vor die Bildschirme zu bringen. Es ist ein sehr ausgeklügeltes System im Umgang mit den Sehnsüchten von Kindern und Jugendlichen. Die Spiellust, die entwicklungspsychologisch angelegt ist, wird pervertiert und fehlgeleitet. Fehlleitung heißt: Das neuropsychologische Belohnungssystem produziert Dopamin auf eine gemütliche Art und Weise, man braucht sich nur hinzusetzen, eine App herunterzuladen und bekommt, was die Psyche möchte. Das ist das Fatale und Gefährliche!

Was genau ist beim Gaming so gefährlich? Die Abhängigkeit von dieser Form der Belohnung?

Weilharter: Abhängigkeit ist das Ergebnis einer Gewöhnung. Abhängigkeit und Sucht entstehen aus einem nicht-mehr-Entrinnenkönnen einer Faszination. Das Gefährliche ist, dass bei einem digitalen Spiel wenig Geduld und Frustrationstoleranz aufgebaut werden muss. Ich klicke weiter, gehe zum nächsten und kann mir in Bruchteilen von Sekunden ganz einfach eine neue Faszination organisieren, während das analoge Spiel und andere Tätigkeiten, die Lust erzeugen können, wie Bewegung, Sport, Musik oder Malen Geduld und Ausdauer brauchen.

Buchegger: Unsere Beobachtungen sind, dass Kinder bei einem PC-Spiel lange durchhalten können, während ihnen das in anderen Bereichen nicht gelingt. Vor allem die In-Game-Käufe (Anm. Käufe, die während eines Spiels getätigt werden, zum Beispiel um bessere oder schnellere Spielerfolge zu erzielen) sind in der Pandemie zu einer Pest geworden. Zehn- bis elfjährige Kinder geben regelmäßig 50 Euro im Monat aus, um „Skins“ (virtuelle Ausstattung einer Figur) zu kaufen. In manchen Familien führt das zu großen finanziellen Problemen, auch der Gruppendruck spielt eine Rolle. Diese Entwicklung ist sehr bedenklich, es darf nicht sein, dass Kinder dezidiert ausgenützt werden.

Was raten Sie Eltern bezüglich In-Game-Käufen?

Buchegger: Generell rate ich Eltern von Kindern im Vorschulalter eher zu Spielen, die man kaufen muss, und nicht zu kostenlosen Spielen, denn in denen kommt oft Werbung vor, die für Kinder nicht geeignet ist. Zudem werden die Daten der Kinder ausgewertet und es ist eine Hinführung zum In-App-Kauf. Eltern sollten sich informieren: Wie funktioniert das Spiel? Wie kann ich es spielen ohne In-Game-Käufe? Ist das überhaupt möglich? Ich ermutige auch dazu, Regeln aufzustellen und sich mit den Eltern anderer Kinder abzusprechen. Zum Beispiel Fortnite: Ich weiß von Kindern, die gemobbt wurden, weil sie keine Skin gekauft haben. Was man wissen sollte: Bei Fortnite braucht man keine Skin, um besser zu werden. Es ändert nur den Status. Eltern sollten sich auch darüber Gedanken machen: Ist es okay, wenn sich das Kind vernetzt und im Clan spielt und sich noch mehr diesem sozialen Druck aussetzt?

Julia Langeneder

Julia Langeneder,
Familienredakteurin, lädt jeden Monat zum Familienrat ein.

Wünschen Sie sich konkrete gesetzliche Vorgaben zur Regulierung von Spielinhalten?

Weilharter: Aus meiner Sicht sind die unverzichtbar! Es wird Digitalisierung in allen Lebensbereichen getrommelt, doch niemand erklärt, wie man das Recht der Kinder auf eine gesunde Entwicklung hochhalten kann. Gesellschaftspolitisch wird hier großer Schaden angerichtet.

Buchegger: Nationale Gesetzgebung hilft wenig, Regeln müssten auf internationaler Ebene gelten. Wenn wir beim Recht der Kinder auf gesunde Entwicklung sind: Games können dabei durchaus hilfreich sein. Die Spiele müssen nur so gestaltet sein, dass sie der Entwicklung der Kinder nicht schaden.

Inwieweit können digitale Spiele auch positive Effekte haben?

Buchegger: Manche Kinder schätzen den Einmaleins-Trainer am Computer viel mehr als von den Eltern mit Rechenaufgaben gequält zu werden. Im Bereich der „serious games“, also der ernsthaften Spiele, gibt es viele Anwendungen, die sehr hilfreich sein können.

Weilharter: Mein Rat an Eltern: Halten Sie so lange wie möglich durch und geben Sie den Kindern keine Handyspiele. Konfrontieren Sie die Kinder mit analogen Spielen und Begegnungen, und seien Sie Vorbilder im Umgang mit digitalen Medien. In den Interviews für mein Buch habe ich festgestellt: Manche Eltern sind sehr konsequent, aber der Druck, dass die Kleinen schon im Kindergartenalter ein Tablet haben sollen, ist groß! Zwei Faktoren sind für den Lernerfolg maßgeblich: Kinder lernen, wenn sie neugierig sind. Wir sollten diese Neugierde hochhalten und fördern. Der zweite Faktor ist die Beziehung zu einem anderen Menschen. Bei Computerspielen bin ich nur scheinbar in Kontakt mit anderen, es wird eine trügerische Welt aufgebaut. Es ist wichtig, Entwicklungsarbeit zu leisten –  so wie Sie, Frau Buchegger, mit der Initiative saferinternet.at. Dennoch sage ich: So spät wie möglich!

Buchegger: Ich bin ganz bei Ihnen! Nur: Es ist nicht immer gleich leicht. Kinder halten das Nein sehr unterschiedlich aus. Manche leiden sehr, weil sie Angst haben, ausgegrenzt zu werden. Die Klassengemeinschaft besteht auch im Spiel, das  geht im online-Raum weiter und für Kinder ist es wichtig dazuzugehören. Und noch etwas: Spätestens im Alter von 13 Jahren kommen die digitale Welt und die Pubertät auf das Kind zu, da sind schon viele Herausforderungen zu verdauen. Wann ist also das richtige Alter, um in die digitale Welt einzusteigen? Das ist eine Gradwanderung.

Viele Eltern sind heutzutage verunsichert in Bezug auf Medienerziehung. Was ist Ihr Rat?

Buchegger: Es gibt viele Ratgeber und Internetseiten. Das Wichtigste ist: Mitmachen, anschauen, was die Kinder online tun, sich informieren. Wenn Kinder solche Eltern nicht haben, gehen sie zu Freunden, kommen dort in Kontakt mit der digitalen Welt, können sich aber nicht an die Eltern wenden, wenn sie in kritische Situationen kommen. Ich denke auch: Halten wir die Kinder so lange fern, wie es geht, bieten wir ihnen viele andere Angebote. Aber in der Realität ist das nicht immer machbar, und man findet vielleicht einen pragmatischen Umgang, der die digitale Welt ermöglicht, aber nicht vergisst, dass es eine analoge Welt gibt mit Ausflügen ins Schwimmbad oder auf den Berg.

Weilharter: Eltern sollten sich auch mit anderen Eltern zusammentun – also jenen, die ähnlich verantwortungsvoll handeln, die eine ähnliche Freizeitgestaltung wählen. Sehr empfehlen kann ich die Seite: smarterstartab14.de – eine Hamburger Initiative, die Elternschulungen anbietet und sich auf das deutsche Jugendschutzgesetz bezieht, das besagt: Bis zum Alter von 14 Jahren ist es Kindern nicht zumutbar, gefährlichen Impulsen ausgesetzt zu sein, die ähnlich wirken wie Suchtmittel. Nicht vergessen sollte man das Thema psychische Reife. Kinder und Jugendliche gehen durch verschiedene Entwicklungsstufen, die sie bewältigen müssen. In der Phase der Sechs- bis Zehnjährigen geht es sehr um Leistung. Da ist es ganz wichtig, viele analoge Reize zu bieten: Musik, Basteln, Bewegung. Durch die Verführungen der digitalen Scheinwelt, werden notwendige Entwicklungsschritte unterbrochen. Das alles ist auch eine Frage des Maßes: Wenn ein zehnjähriges Kind einmal im Monat für 30 Minuten ein Online-Spiel spielt, ist das nicht schlimm. Aber es geht ja weiter. Das ist das Fatale.

Julias Gäste

Barbara Buchegger, Pädagogische Leiterin bei saferinternet.at.

 

 

Fritz Weilharter, Pädagoge, Psychotherapeut und Mediator, Autor („Die Neue Elite“ – Warum Kindern ohne Smartphone die Zukunft gehört, Verlag edition a, 22 Euro) und Vater von vier Töchtern.

 

Wann haben Kinder und Jugendliche die psychische Reife für digitale Spiele?

Weilharter: Die würde ich mit 13, 14 Jahren ansetzen. Mein Tipp an Eltern: Wenn Sie merken, dass bei Ihrem beispielsweise zehnjährigen Kind das digitale Spiel immer interessanter wird, dann erinnern Sie sich daran, was es früher gerne gespielt hat. Ich habe zu meinen Töchtern oft gesagt: Kommt, gehen wir Radfahren! Vor fünf Jahren haben wir eine Woche auf einer Berghütte verbracht – ohne Handy und Strom. Noch Jahre später haben meine Töchter gesagt: Das war einer der schönsten Urlaube! Es gilt für alle Eltern eine Entscheidung zu treffen. Ja, die ist enorm schwer. Aber diese Verantwortung kann ich ihnen nicht nehmen.

Buchegger: Es ist sehr wichtig, was Sie da sagen. Aber ich kann auch beim Radfahren mit den Kindern über „Minecraft“ reden, wenn das für sie gerade das Wichtigste auf der Welt ist. Für Eltern ist es auch praktisch, wenn Kinder durch Spiele „ruhiggestellt“ werden.  Hier muss man die Eltern darin unterstützen, sich mit ihren Kindern zu befassen. So merken die Kinder: Ich bin meinen Eltern wichtig. Und das umfasst auch die digitale Welt. Kinder nehmen es sehr persönlich, wenn sie merken: Meine Eltern mögen „Minecraft“ nicht. Also schlussfolgern sie: Sie mögen mich nicht.

Weilharter: Da möchte ich differenzieren. Ich mute meinen Kindern zu, dass ich Minecraft schlecht und gefährlich finde. Ich würde das Verhalten ansprechen: „Wenn du dieses Spiel spielst, halte ich das für eine schlechte Entscheidung, aber du bist mir wichtig.“ Die Kritik am Verhalten ist Kindern zumutbar. Es geht um eine Unterscheidung zwischen Verhalten und Person und um das klare Bekenntnis zu dem, was ich gut und schlecht finde.

Buchegger: Dennoch müssen Kinder spüren: Ich bin meinen Eltern wichtig. Das ist nicht selbstverständlich.

Viele Eltern stellen Zeitregeln auf, um die Spielzeit zu begrenzen. Welche Art der Einschränkung ist sinnvoll?

Buchegger: Das ist nicht so allgemein zu beantworten und hängt wieder stark vom Kind, vom Umfeld und vom Alter ab. Wichtig ist dafür zu sorgen, dass Kinder ausreichend schlafen, an der frischen Luft sind und Hobbys nachgehen. Und dann muss man schauen, wieviel Zeit überhaupt noch bleibt. Man darf als Eltern nicht aufgeben!

Weilharter: Die WHO legt fest, dass sich im Sinne der Kindergesundheit jedes Kind bis zum Alter von 14 Jahren 90 Minuten täglich bewegen soll. Ich würde sagen: Wenn sich das Kind jeden Tag 90 Minuten bewegt hat und vielleicht noch eine halbe Stunde auf dem Musikinstrument geübt hat, dann darf es die Hälfte der restlichen freien Zeit mit digitalen Medien verbringen.

Buchegger: Es kommt aber auch darauf an, was Kinder mit digitalen Medien tun – ob sie etwas Kreatives tun, Spiele programmieren, einen Film erstellen oder ob sie passiv glotzen. Auch da müssen Eltern genau hinschauen: Was tut mein Kind überhaupt?

 

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Weitere Informationen

Wo finde ich Informationen über ein bestimmtes Spiel?

spielbar.de/spiele

www.dji.de

Wo finde ich Empfehlungen für digitale Spiele?

bupp.at/de/empfehlungen

Spielt mein Kind zuviel?

Elternratgeber-Videos zum Thema digitale Spiele:

Video – Zu viel gespielt?

Video – Beim Spielen zuschauen?

Wie richte ich einen Kinderschutz ein?

saferinternet.at

Warum sollte man Kindern nicht zu früh ein eigenes Smartphone erlauben?

https://www.smarterstartab14.de

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  • Veröffentlicht: 19.09.2022
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