Im Keller rottete sie jahrelang traurig vor sich hin, vergessen und verstaubt. Dank Corona sieht die Gitarre nun wieder Tageslicht.
Die erste Woche im Home-Office verging noch sehr geruhsam und geordnet. Aufstehen, arbeiten, Mittagessen, am Abend der Wechsel vom Büro (bei dem es sich in Wahrheit um den umfunktionierten Esstisch handelt) auf die Couch. Fernseher an, Netflix gestartet und alles war gut. Doch bereits in der zweiten Woche mischte sich Unruhe in den friedlichen Trott. Irgendetwas stimmte nicht, doch ich hatte keinen Schimmer, was das sein könnte. Erst als ich Tage später aus Langeweile die Kommode aufräumte und mein altes elektronisches Stimmgerät fand, ging mir ein Licht auf. Besaß ich nicht eine Gitarre? Wann hatte ich diese zum letzten Mal gespielt? Die Musik hatte mir immer etwas gegeben, meine Kreativität beflügelt, trübe Tage zu heiteren gemacht. Heute war ich nicht mal mehr sicher, ob ich überhaupt noch Noten lesen konnte. Das ist schließlich nicht wie Fahrradfahren, oder?
Ich ging in den Keller, zwängte mich zwischen Bierkisten, Schachteln mit alten Büchern, Schiern, Reisekoffern und allerlei sonstigem Krempel durch bis ganz nach hinten. Dort hatte sie jahrelang ihrer Wiederentdeckung geharrt: meine Gitarre. Die Freude darüber, dass sie tatsächlich noch da war, wurde nur von der gerissenen D-Saite getrübt. Wieder im Wohnzimmer begutachtete ich das Instrument von oben bis unten, drehte und wendete es. Glücklicherweise konnte ich keine weiteren Schäden finden. Bloß ein bisschen Staub. Ich stimmte die fünf verbliebenen Saiten und schlug voll ängstlicher Vorfreude die „Gitarrenschule 1“ auf, welche noch aus Schulzeiten stammt und auch schon bessere Tage gesehen hat. Einmal tief durchgeatmet, und ich spielte los. Schon die ersten angeschlagenen Noten ließen mein Herz hüpfen, und ich stellte fest: Es war doch wie Fahrradfahren! Im Nu hatte ich das halbe Buch durchgespielt (die Töne auf der D-Saite musste ich natürlich weglassen).
Inzwischen ist die fehlende Saite längst ersetzt und ich kann im wahrsten Sinne des Wortes wieder „alle Stückerln spielen“. Dieses Erfolgserlebnis hat mir gezeigt, wie sehr unsere kleinen Leidenschaften unser Leben bereichern – gerade in schwierigen Zeiten wie diesen. Vielleicht wäre meine Gitarre ohne die Corona-Krise weitere zehn Jahre im Keller geblieben. Nun weiß ich, etwas mit den Händen zu tun gibt einem das Gefühl, nicht hilflos zu sein. Ich kann dem vermeintlich Unbesiegbaren etwas entgegensetzen. Kreativität, egal ob in Form von Musik, Malerei, Modellbau, Fotografie, Kochen oder Toilettenpapier-Skulpturen, ist Balsam für die Seele.
Lisa-Maria Langhofer
lässt sich gerne inspirieren von guten Büchern, schlechten Filmen (manchmal auch umgekehrt), den Menschen, der Natur und dem Regen & denkt vor dem Einschlafen noch gerne an drei gute Dinge, die heute passiert sind.
Foto: privat