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03/24

Die Familie ist ein gefährlicher Ort

Die Familie ist ein gefährlicher Ort

Es sind immer die netten Nachbarn und Nachbarinnen, die den Polizisten helfen, wenn die Türen aufbrechen müssen. Ja, der nette alte Herr ist also verstorben, er war schon arg mitgenommen von seinem Leben, nur in den letzten Wochen hat er wieder neuen Mut gefunden, ist neugierig geworden, hat sich auf eine alte Spur gesetzt.

Wie die NachbarInnen sind auch die PathologInnen eine große Hilfe, sonst hätten wir gar keine Kriminalfälle mehr, denn ein alter Mann kann doch einfach sterben. Oder man könnte ihn, hätte er seine Nase in fremde Angelegenheiten gesteckt, einfach auch ersticken. Zwischen dem frischen Mordfall und dem Mord einer jungen Frau in den Kriegsjahren bauen sich Zusammenhänge auf. Rosmunda ist damals erdrosselt worden, hat auch sie zu viel gewusst?

Auch Konrad ist pensioniert, doch sein Spürsinn wird sofort wieder aus dem Ruhestand geholt, als ihm seine Kollegin Martha von dem Mord an einem alten Herrn erzählt. Er erinnert sich daran, wie viel Aufsehen damals die Leiche der jungen Rosmunda direkt am Nationaltheater erregte. Aber hatte man da nicht einen jungen Mann festgenommen, der sich für isländische Sagen und Zauberwesen interessierte und waren da nicht noch mehr Zeitzeugen, die sich an den Mord erinnern können. Oder besser gesagt: Wer weiß, ob Rosmunda eine Abtreibung hatte? Wer weiß, wer Rosmunda Gewalt angetan hat? Wer weiß, ob der fesche amerikanische Soldat nicht auch Rosmunda geschwängert hat? Und ist nicht der alte Mann früher Soldat gewesen, hatte also schon früher mit Kriminalfällen zu tun?

Die beiden Männer erfuhren durch Petra, dass ihre Mutter praktisch nie über Rosmunda gesprochen hatte, nicht mit ihr und auch nicht mit anderen Leuten, soweit sie wusste. Sie hatte beiden versichert, dass sie wirklich nicht viel darüber wusste, wonach sie immer wieder fragten. Im Grunde genommen nicht mehr, als dass ihre Mutter in den Kriegsjahren wegen eines schlimmen Verbrechens von der Polizei verhört worden war.

Hier wird viel gelogen, hier wird viel erzählt und noch mehr verschwiegen. Die kleine Näherin, die naiv war, die in einem ehrenwerten Haus überfallen wurde? Ob sie sich das alles nur eingebildet hatte? Eine ehrbare reiche Familie, die ihre Kleider schneidern lässt, die kann doch nicht einen Mörder beherbergen? Ist es zu spät, den alten Mord noch einmal aufzurollen? Abtreibungen früher und heute, Missbrauch junger Mädchen damals und heute, Lebensfreude zwischen den Jahren und dazwischen einige sehr anständige Männer, die darauf pochen, dass die Gerechtigkeit siegt.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Ein Gefühl für Eis, Schnee und Kälte, für Gerechtigkeit. Erinnerungen an Island in der Kriegszeit, Erinnerungen an den Status der Frauen, der Werte in einer modernen Gesellschaft.

 

Der Autor , Jahrgang 1961, war Journalist und Filmkritiker bei Islands größter Tageszeitung – heute ist er DER Krimiautor Islands, zeichnet er doch differenzierte Bilder der Gesellschaft und des Landes.

 

 

Arnaldur Indridason:

Schattenwege.

Island Krimi.

Aus dem Isländischen von Coletta Bürling.

Köln: Lübbe 2016.

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  • Veröffentlicht: 10.08.2016
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