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04-05/24

Die anderen sind nicht immer so, wie wir glauben

Die anderen sind nicht immer so, wie wir glauben
Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah

Es gibt Bücher, über die muss ich gleich schreiben, sonst beginne ich sie gleich wieder zu lesen und wenn ich dann am Ende angekommen bin, fange ich wieder an, die ersten Seiten zu lesen. Das passiert selten. Und Ihnen?

Ifemelu führte mich durch ihr Leben, in Nigeria, in Princeton, in miesen Absteigen, in schönen Betten, in guten Restaurants und in verlogenen Haushalten. Zuerst aber zeigt sie uns Leserinnen und Lesern, also zeigt uns korrekt geschrieben die Autorin Chimananda Ngozi Adichie durch ihre Hauptperson das friedliche Grün der vielen Bäume im Sommer in Princeton.

Die Heldin spürt den vielen Gerüchen Amerikas nach und kommt zum Schlusss: New Haven roch nach Verwahrlosung, aber Princeton roch nach gar nichts.“ Auch hier regieren die Bobos, die ihre neuesten Autos vor dem Biosupermarkt oder dem Sushi-Restaurant parken; hier herrscht wohlhabende Ungezwungenheit. Ein Manko hat Princeton: Hier ist nicht mit einem Frisiersalon zu rechnen, in dem sich Ifemelu Zöpfe flechten lässt, es gibt einfach zu wenige Schwarze, die diesen Wunsch teilen. Diese Aussage ist nicht harmlos, so wenig, wie es für Ifemelus Tante, die ebenfalls aus Nigeria in die USA emmigrierte, ist, dass es in ihrem Kaffee nur Lippenstiftfarben für weiße Frauen gibt, sie will keinen Pastelllippenstift tragen.

Die junge Studentin schreibt ihren erfolgreichen Blick über genau solche nicht banale Fragen, setzt sich mit Rasse und Macht auseinander, stellt kritische Fragen, findet Fans und Feinde. Warum muss sich eine Afrikanerin die Haare glätten lassen, wenn sie eine passable Stelle will? Warum wollen in den USA nicht einmal schwarze Familien schwarze Babys adoptieren? Die Fragen fliegen Ifemelu zu, das tut anfangs weh und macht sie Posting um Posting klarer, härter und witziger. Eigentlich hat sie es geschafft. Sie hat eine kleine Wohnung und ein ebensolches Stipendium in Princeton: Früher hat sie bei ihrer Tante gewohnt, mit drei Amerikanerinnen und deren Hund – die Kakerlaken sind in Amerika müder als in Nigeria.

Wann immer sie während ihres ersten Jahres in Amerika mit dem Zug von New Jersey zur Penn Station und dann mit der U-Bahn zu Tante Uju nach Flatlands gefahren war, hatte sie sich gewundert, dass in den Bahnhöfen in Manhattan überwiegend schlanke weiße Menschen aussteigen und überwiegend schwarze dicke Leute, je weiter sie nach Brooklyn hineinfuhren.

Ifemelus Mittelschichts-Studienkollegen strotzen vor politischer Korrektheit und beleidigen und belustigen sie damit gleichzeitig. Darüber schreibt sie schließlich in ihrem Blog: Sie denkt schreibend über Rasse und Schicht nach. Wurde Obama auch deshalb gewählt, weil er keine Weiße geheiratet hat? Ist das überhaupt zu überlegen absurd? Ach ja, da ist auch noch die Liebesgeschichte zwischen Ifemelu und Obinze, ihrer Jugendliebe: Er hat eine angepasste Frau geheiratet, wird mit ihr niemals glücklich. Die zwei treffen sich in Lagos wieder, nachdem Ifemelu alles Erreichte – auch eine Liebe in den USA, Jobangebote und ihre Eigentumswohnung – aufgegeben hat. Es könnte ja funktionieren, einfach so, die beiden haben schließlich ihr ganzes Leben lang schon alles für ihre Würde, ihre Heimat in sich und ihre Liebe gegeben.

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah.
Roman. Frankfurt: Fischer Verlag 2014.
ISBN 978-3-10-000626-4

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  • Veröffentlicht: 10.06.2014
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