Das Meer ist doch so ein Sehnsuchtsraum. Dorthin führt eine der bedeutendsten finnlandschwedischen AutorInnen, deren vorliegender Roman die höchste literarische Auszeichnung Finnlands, den Finlandia-Preis, gewann. So schaukelt man als Leserin und Leser mit dem jungen Pastorenpaar in Richtung Örar, jener kleinen Inselgruppe zwischen Finnland und Schweden, wo bereits die Abgesandten der Pfarrgemeinde auf den Neuen warten. Pastor Petter Kummel kommt Mitte der 1940-er Jahre mit Frau, Kind und Mobiliar an und wird, man könnte es so nennen, willkommen geheißen. Es ist die Welt der Insel mit guten Kachelöfen, etwas klammem Leinen, vielen Intrigen und Flüstereien. Die junge Pastorenfrau hat ihre Mühe, sich zurechtzufinden. In achtundzwanzig Kapiteln entwickelt sich dieses Ankommen, dieses Fremdbleiben und doch gelegentliche Angenommensein in kleinen Szenen, Handgriffen, Nebenschauplätzen. Frauen scharen sich um den jungen Petter, das Kind erobert die Räume des Pfarrhofes, die Pfarrersfrau bleibt einsam.
Drei große Teile hat dieser Roman, vielleicht braucht man schon mehrere Seiten, sich einzulesen. Es geht langsam zu, in der Handlung, im Erzählfluss; keine Hektik, viel Beschreibung, draußen hört man das Meer. So entwickelt sich keine spektakuläre Handlung, so entwickeln sich kleine Dramen, die nur auf gut vorbereitetem Boden gedeihen. Viel ist innen, die Dialoge sind knapp, freundlich wie die Menschen und sogar die Kühe auf den Weiden hier beim Kauen. Die Pfarrersfrau kann also melken, das berichten der Küster und Signe, die, die alles wissen und weitergeben. Der Küster ist auch so einer, recht interessiert an Eigentumsrechten, erzählt von Eigentumsrechten und zahlreichen helfenden Händen. Hier wird also um Gras hart gestritten, doch der Küster beruhigt, es gäbe genügend Weideland für die Pastorskühe. Dann folgt das Gespräch über die Schafe. Inzwischen hat der Tee der Leserin gezogen, der des Lesers natürlich auch und auch in der Geschichte gibt es eine Jause: Zwieback, frisches Brot und Apfelmus. Zwei gewissenhafte Pastorsleute setzen erste Grenzen, fürchten allzu große Abhängigkeiten, schlafen „platt wie eine Flunder“ ein. Petter, der Pastor muss sich um den Zusammenhalt dieser Gemeinschaft ebenso kümmern wie um die Konflikte zwischen den Ost- und den Westdörfern. Wenig Handlung im außen ermöglicht viel Entwicklung im Inneren, hier scheint sich nur auf den zu schnellen Blick nichts zu tun: Melken wird hier zum Gesellschaftsbild, der Chor zum Charakterbild mit Damen, sogar die Natur hat ihre Aufgabe in dieser großen Inszenierung. Und dieser Roman bietet enorm viel Natur, schroffe Natur und sehr wenig Idylle.
„Dann sitzt er in einem der Höfe und erzählt von Amerika, von Orten und Ereignissen, die nur dem etwas sagen, der selbst einmal dort war, dort gefroren und gehungert und Englisch gesprochen hat. Der Winter zieht über Örar herauf, er türmt Schneewehen auf und fegt sie weg, ehe man schippen kann. Der Wind heult ums Haus, Teppiche und Gardinen flattert. Sanna ist in mehrere Schichten Wolle gekleidet, zerrt an den Strümpfen, jammert und weint.“
Ulla-Lena Lundberg: Eis. Roman. Übersetzt von Karl-Ludwig Wetzig. Hamburg: Mare 2014.