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03/24

„Die Jugend ist depressiv und keiner tut etwas dagegen“

„Die Jugend ist depressiv und keiner tut etwas dagegen“
Foto: Ines Strohmayer

Klima, Krieg, Inflation: Wie fühlt es sich an, inmitten von Krisen erwachsen zu werden? Was geschieht, wenn die Lebensfreude schwindet? Laura Schuh weiß es. Mit ihrer Geschichte möchte sie auf das Thema mentale Gesundheit von Jugendlichen aufmerksam machen.

Laura Schuh (19) war ein lustiges, gesprächiges Mädchen. Deshalb fiel es auch auf, als die extrovertierte Jugendliche immer verschlossener und stiller wurde. Der Leistungsdruck in der Schule setzte ihr zu. Noten waren ihr wichtig. Weil sie nicht wusste, wie sie mit ihrer inneren Spannung und ihren Gefühlen umgehen sollte, fing sie an, sich selbst zu verletzen. Das Aufschneiden ihrer Unterarme war für sie wie ein Ventil für ihre Emotionen. Als sie eine Psychotherapie begann und für sechs Monate in die USA ging, wo sie bei einer Gastfamilie wohnte, besserten sich ihre psychischen Probleme. Doch in dieser Zeit nahm sie an Körpergewicht zu. „Ich fing an, meinen Körper zu hassen“, sagt Schuh. Als sie Anfang des Jahres 2020 nach Österreich zurückkehrte, nahm sie radikal ab. Dann brach die Corona-Pandemie aus und die Welt verschwand im Lockdown. Statt in der Schule bei ihren FreundInnen zu sein, war Schuh wie alle anderen isoliert zu Hause, einen Ausgleich zu ihren negativen Gedanken gab es nicht mehr – keine Treffen, kein Ausgehen, keine Aktivitäten, kein Spaß. Sie wurde zunehmend antriebslos, depressiv und fing wieder an, sich selbst zu verletzen. Zweimal versuchte sich die damals 16-Jährige zu suizidieren, bis sie schließlich in der Psychiatrie landete.

Die Jugend im Dauerkrisenmodus

Rückblickend war der Aufenthalt in der Psychiatrie ihre Rettung, sagt Schuh. Die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Lockdowns haben Spuren in ihrer Psyche hinterlassen. „Ich hatte bereits vorher mentale Probleme, durch die soziale Isolation verstärkten sich diese aber“, sagt sie. Die junge Frau war mit ihren psychischen Problemen, ausgelöst durch die Pandemie, nicht alleine. Eine Studie der Donau-Universität Krems und der Medizinischen Universität Wien vom Jahr 2021, an der rund 3.000 Jugendliche über 14 Jahren teilnahmen, ergab, dass mehr als die Hälfte der Befragten depressive Symptome zeigte, die Hälfte litt unter Angststörungen. Die Häufigkeit dieser Beschwerden hat sich, wie auch jene von Schlafstörungen, demnach verfünf- bis verzehnfacht. Besonders erschreckend: 16 Prozent gaben an, suizidale Gedanken zu haben, entweder täglich, jedenfalls aber an den meisten Tagen der Woche.

Die Jugend befindet sich seit fast drei Jahren im Dauerkrisenmodus. In einem Lebensabschnitt, der von Unsicherheiten geprägt ist, in der junge Menschen herausfinden müssen, wer sie sind und wer sie sein möchten, erleben sie auch im Außen Bedrohung. Krieg, Pandemie, Klimakrise: Die Krisen machen Angst, jungen und noch nicht gefestigten Persönlichkeiten noch mehr als erwachsenen. Was bedeutet es für Jugendliche, inmitten von multiplen, globalen Krisen erwachsen zu werden? „Ich hatte das Gefühl, dass alle Mühen, jede Leistung umsonst ist, denn es schien, als gäbe es für uns ohnehin keine Zukunft mehr“, so Schuh.

Alleingelassen und ungehört

Als Laura Schuh nach dem Homeschooling wieder in ihre Schulklasse zurückkehrte, bemerkte sie, dass der Lockdown nicht nur bei ihr Spuren hinterlassen hatte. „Wir waren alle irgendwie depressiv, gleichzeitig wurde von uns erwartet, dass wir sofort wieder am Unterricht und Lernstoff anschließen“, sagt Schuh.

Wie mit psychisch beeinträchtigten Jugendlichen umgehen? „Niemand wusste so recht, wie er mit uns umgehen sollte, es gibt keine Ausbildung dafür.“ Was es bedeutet, keine Unterstützung und Verständnis zu bekommen, erlebte die junge Frau am eigenen Leib. „Jeder wusste von meinen Suizidversuchen. Statt Mitgefühl wurde ich wie eine Ausgestoßene behandelt, sogar angefeindet und von einer Lehrerin sogar vor allen Mitschüler an den Pranger gestellt.“ Psychische Erkrankungen seien noch immer ein Tabu, meint Schuh. Weil sie dagegen etwas unternehmen und nicht darauf warten wollte, bis es jemand anderes tut, fing sie an, aktiv zu werden. Sie engagiert sich in der Initiative „Gut – und selbst?“, die während der Coronapandemie von Jugendlichen gegründet wurde und sich für mehr Unterstützung an den Schulen, Präventionsworkshops und für eine Eingliederung des Themas psychische Gesundheit im Lehrplan einsetzt. „Die Jugend ist depressiv und niemand unternimmt etwas dagegen.“ Als Betroffene spricht sie in der Öffentlichkeit über ihre Geschichte, um anderen Betroffenen Mut zu machen, über ihre Probleme zu reden. „Psychische Krankheiten müssen endgültig enttabuisiert werden.“

Bedarf steigt, Angebote nicht

Psychisch beeinträchtigte Jugendliche in Österreich haben es schwer. Bereits vor der Coronapandemie war die Lage in den Kinder- und Jugendpsychiatrien dramatisch, Therapieplätze waren begrenzt. Doch nun stehen die Spitäler vorm Zusammenbruch. Die Fachkräfte fehlen, auf einen bezahlten Therapieplatz warten Betroffene ewig. „Da muss schon etwas passieren, um einen Platz zu bekommen.“ Die Politik müsse sich endlich um das Thema annehmen, fordert Laura Schuh. Immerhin gehe es um die nächste Generation und die zukünftige Gesellschaft. Ihr selbst geht es heute dank Therapie gut, sie ist stabil, hat ihre Matura gemacht und mittlerweile einen Vollzeit-Job. Später möchte sie vielleicht studieren. Ihre dunklen Zeiten sind vorbei. Diese hätten sie aber auch stärker gemacht, sagt sie. Ihre Narben, die innerlichen, wie die äußerlichen an ihren Armen, wird sie jedoch bei sich tragen, wie Souvenirs, die sie an eine Zeit erinnern, in der sie für sich keine Zukunft sah.

Hilfe für Betroffene

Sollten Sie selbst von Suizidgedanken oder selbstverletzendem Verhalten betroffen sein, bitte scheuen Sie sich nicht, sich umgehend Hilfe zu suchen:
Tel.: 142 (Notruf: täglich 0–24 Uhr)
Telefon-, E-Mail- und Chatberatung für Menschen in schwierigen Lebenssituationen oder Krisenzeiten

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  • Veröffentlicht: 19.01.2023
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