Vielleicht sollte man diesen Roman in den Ferien lesen, auf jeden Fall dann, wenn man selbst PädagogIn werden will oder ist und ein wenig Motivation braucht. Hier geht es um den weiteren Lebensweg der „Regenbogentruppe“, jener ausgesprochen fleißigen und ehrgeizigen SchülerInnen, die außer ihren Träumen rein gar nichts besitzen: Jetzt wechseln sie in die Oberschule und versuchen, sich ihre Träume zu bewahren. Viele bleiben auf der Insel Belitong, südlich von Sumatra und arbeiten als 12-Jährige wie die Erwachsenen: für wenig Geld, ausgebeutet und darauf hoffend, Tag für Tag zu überleben.
Ikal ist mit seinen 12 Jahren alt genug, zum Familieneinkommen beizutragen, den kranken Vater zu unterstützen: Doch er will mehr, er will weiterhin lernen, das sei er den Lehrerinnen und Lehrern der Regenbogentruppe schuldig. Diese Lehrer hatten ihren SchülerInnen einen Traum geschenkt: Auch wenn du arm bist, kannst du es weit bringen, du musst fleißig sein und an dich glauben.
Also reisen wir nach Belitong, östlich von Sumatra, größer gedacht also geht die Reise nach Indonesien. Ikals Vater ist Analphabet, hört gern Radio, liebt Lady Diana und spricht nur sehr selten. Mitte des neunzehnten Jahrhundert fand ein holländischer Geologe hier Zinnvorkommen unvorstellbaren Ausmaßes: Im Verhältnis zu ihrer Größe ist Belitong eine der bodenschatzreichsten Inseln der Welt. Hier also lag der Zinnschatz unter der Siedlung der Ärmsten, die für die holländischen Kolonialherren schuften mussten.
Andrea Hirata erzählt eine Vater-Sohn-Geschichte, in der der Sohn die Schweigsamkeit seines Vaters immer besser zu deuten versteht, in der die Vaterliebe sich auch darin ausdrückt, dass dieser zu jeder Zeugnisverteilung kommt: Mit dem alten klapprigen Fahrrad und stets völlig erschöpft von der weiten Anfahrt. Ikal versucht, auch in der Oberschule der Beste zu sein und muss doch mit dem zweiten Platz zufrieden sein. Er träumt davon, ein Stipendium für eine europäische Universität zu bekommen und lernt und lernt und schafft schließlich einen guten Abschluss, nach über 15 Anläufen auch den Erwerb eines Auslandsstipendiums, das ihn nach Brügge führt.
Ich konnte nicht anders, ich musste an meinen Großvater denken, der unter den holländischen Kolonialherren massiv gelitten hatte. Und jetzt, so viele Jahre später, wurde sein Enkel von einem niederländisch sprechenden Mann wie ein Hund auf die Straße gejagt.
Neue Spielregeln muss Ikal lernen, er lernt sie schnell und begreift sie erst später. Er ist seiner großen Liebe aus der Zeit der Regenbogentruppe noch immer treu, sucht die junge Chinesin auch in Paris. So könnte das Buch enden, mit einem „geschafft“. Doch der junge Wirtschaftswissenschaftler kehrt nach seinem Abschluss zurück, Vater trauert um Lady Diana, zeigt nur durch seine Körpersprache, wie sehr ihn die Rückkehr des Sohnes freut. Wer braucht hier einen Wissenschaftler? Ikal schuftet jetzt beim ungerechten Onkel in dessen Kaffeebude, lässt sich wegen seiner offensichtlichen Erfolglosigkeit verspotten und hofft doch, eine passende Stelle zu finden. Hier werden Träume wahr, manchmal und manchmal nur ein bisschen.
Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Hoffnung, Träume, Verbissenheit, Vater-Sohn-Liebe, Kolonialgeschichte, Machtgehabe in Indonesien und in Europa, Angst vor dem Fremden, Kampf um Gerechtigkeit, Persönlichkeiten, Witz, Ironie, gekonnte Porträts von Kämpfern und Mitläufern, Szenen voller Schadenfreude, Verachtung und Selbstzweifel, das volle Leben halt.
Der Autor ist auf Belitung – im Roman wird die Insel Belitong geschrieben – geboren, schloss an der University of Indonesia ein Wirtschaftsstudium ab, bekam ein EU-Stipendium in Paris und Sheffield. „Die Regenbogentruppe“, sein Debütroman, wurde mittlerweile in 25 Sprachen übersetzt.
Andrea Hirata:
Der Träumer.
Roman.
Aus dem Indonesischen von Peter Sternagel.
Berlin: Hanser 2015.
Indonesien ist Gast auf der Frankfurter Buchmesse 2015, hier ein interessanter Link dazu: