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03/24

Das Leben, der Tod,
die Tage, die Nächte

Das Leben, der Tod,<br>die Tage, die Nächte

Die hier gesammelten Porträts sind einerseits Momentaufnahmen – ja, nicht nur auf die genialen Fotos bezogen – als auch Biografien. Und diese Biografien zu hören und wiederzugeben, ist Ziel dieses Bild-Geschichten-Bandes: Viel wird über Alter, Hochbetagte geredet, wenig aber mit ihnen selbst. Hier kommen sie zu Wort, drücken im Schweigen manches aus und reagieren mitunter irritiert auf Fragen, all das macht ein lebendiges Gespräch ja auch aus. 15 Porträts kann man hier einfach aufschlagen, durch 15 unterschiedliche Türen in ebenso unterschiedliche Lebensräume gehen: Ein Buch, das man Porträt für Porträt liest, dann hat man viel zu denken, egal, wie alt man selbst ist.

Da gibt es die 90-Jährige, die rüstig ist, ihren Alltag „bestreitet“, ja auch das ein witziger Begriff des Wortschatzes! Der eine wohnt in einer noblen Innsbrucker Seniorenresidenz, Schwester Veronika im Kloster, der 69-jährige Albert Kronsteiner (Name geändert) sitzt in der Justizanstalt Suben, Österreichs einzigem Gefängnis für Senioren, ein: Statt in die Pension ging es für den Beamten für fünf Jahre in die Justizanstalt, seine Familie hält zu ihm, die Tochter lässt ihm die Kronen-Zeitung schicken.

„Nach dem Hans hab ich mir gedacht, Mann nehm‘ ich mir keinen mehr, das ist nur Arbeit. Obwohl sich einer im Haus für mich interessiert hätte, der hat Sonnenblumen vorbeigebracht und so, aber ich wollte nicht mehr. Ich bin froh, dass es mir so geht, wie es mir geht. (102 – Porträt Justine Picha)“

Das erste Porträt, die erste Tür, durch die man lesend geht, führt zu Erich Hofbauer, der sich um seine 29-jährige Stieftocher kümmert: Paulina ist Autistin. „Allein wenn ich ihr in der Früh den Lippenstift auftrage: Da hat sie einfach eine Freude.“ (S. 85) Das hätte man einfach nicht erwartet, da liegt der Fokus auf einem neuen Lebensabschnitt, mit der Gattin und der Tochter. Und das ist der Satz, den ich wirklich liebe:

„Der 85-Jährige ist die wandelnde Antithese zur einschlägigen Ratgeberliteratur. Glücklich altern? Richtig älter werden? Gesundheit im Alter? Der Mann hat für solche Fragen einfach keine Zeit – und er stellt sie sich auch nicht. ( 85)“

Ja, zur Info: Die Seitenzahlen geben das Alter der Porträtierten wieder, habe ich beim zweiten Durchlesen kapiert, ist witzig! Genial!

 

 

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Bildband nicht anschauen: Lebensperspektiven, stimmungsvolle Fotos, wirkungsvolle Detailaufnahmen, Ästhetik, gut geschriebene Beiträge, Mut, alt zu werden, Kurzbiografien unterschiedlicher Lebensläufe, Neues, Aufrüttelndes, Kunst, Dialoge, Witziges

 

Herausgeber/Herausgeberin:

Marietta Mühlfellner: 1979 in Salzburg geboren, hat hier Kommunikationswissenschaften studiert; lebt in Wien, arbeitet als freie Kuratorin und Kulturmanagerin.

Günther Brandstetter: 1969 in Linz geboren, hat Kommunikationswissenschaften, Geschichte und Deutsche Philologie in Salzburg studiert, fotografische Ausbildung bei FotoK, Ausstellungen im In- und Ausland

Günther Brandstetter, Marietta Mühlfellner (Hrsg.):

hochbetagt.

Salzburg: Pustet Verlag 2017.

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

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  • Veröffentlicht: 21.09.2017
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