Die deutsche Plattform „Die Kolumnisten“ berichtet von einer Konferenz, die Ende Juni im bosnischen Sarajevo stattgefunden hat. Ihr Thema war die „Islamophobie“. Die Veranstalter ließen von einem renommierten deutschen Sozialforscher erheben, wie es um die Islamophobie der EuropäerInnen bestellt sei. Dabei wurde der Begriff „Islamophobie“ selbst nicht hinterfragt. Er wurde relativ unscharf mit Kritik am Islam oder MuslimInnen gleichgesetzt. Nun sind wir gewohnt, dass es in einer lauten Kultur des schnellen Urteils sprachlich nicht so genau zugeht. In diesem Fall lohnt es sich aber, etwas genauer hinzusehen.
Eine Phobie ist ein Krankheitsbild. Es beschreibt irrationale Ängste, die von etwas ausgelöst werden, das für sich genommen harmlos ist. Mit der Begriffsbildung „Islamophobie“ legt man nahe, dass Menschen unbegründet irrationale Ängste vor dem Islam entwickeln. Kann das stimmen? Wenn man sich vor Attentätern fürchtet, die mit dem Ruf „Allah ist groß“ auf andere mit Äxten, Lkws, Bomben oder anderem Mordwerkzeug losgehen, fürchtet man sich nicht vor dem Islam. Eher schon ist es die Angst vor Menschen, die aus irgendeinem Grund ausrasten, das religiös überhöhen und dabei auf die Unterstützung und Billigung islamistischer Kreise zählen dürfen. Dass sie sich auf den Islam beziehen, rückt diesen jedenfalls in ein Zwielicht.
Aber schon mit einer einfachen Suchmaschinen-Abfrage weiß man, dass es „den Islam“ ohnehin nicht gibt. Er ist als Weltreligion vielfach verästelt. Wie bei allen Buchreligionen ist die Auslegung der Schriften zu allen Zeiten Teil des Streites der verschiedenen Richtungen. Innerhalb der muslimischen Welt sind die Bruchlinien deswegen oft unüberbrückbar. Jene Strömungen, die sich weigern, Religion und Staat zu trennen, gehören nicht in eine moderne Welt. Sie werden aber in den letzten Jahren auch in ehemals liberaleren muslimisch geprägten Ländern wieder stärker.
Was wollen diejenigen, die anderen vorwerfen, „islamophob“ zu sein, erreichen? Offenbar geht es darum, jene vor Kritik zu schützen, die keine klare Trennung von Staat und Religion wollen. Zumindest legen das die Recherchen von „Die Kolumnisten“ nahe. Die Konferenz in Sarajevo, über die „Die Kolumnisten“ berichteten, wurde wesentlich vom weitverzweigten Netzwerk der Organisationen ausgerichtet, die der Muslimbruderschaft nahestehen. Diese 1928 in Ägypten gegründete Organisation strebt einen islamischen Staat an. Das ist für ein demokratisches Verständnis eines laizistischen Staates völlig inakzeptabel. Es scheint verständlich, dass manche deswegen den Islam pauschal ablehnen. Aber ist es auch klug?
Es zählt zu den grundlegenden Errungenschaften einer aufgeklärten, rechtsstaatlichen Gesellschaft, dass eine Kritik oder ein Urteil sich immer auf konkrete Personen und konkrete Taten beziehen muss. Nicht die moralische Bewertung zählt. Auch nicht die von Ängsten und Gefühlen gespeiste Abwehr, so verständlich sie ist. Daher muss man genau hinschauen. Das macht beispielsweise Ednan Aslan, Professor für muslimische Religionspädagogik in Wien. Er hat aufgedeckt, dass in einigen Kindergärten der Stadt Wien islamistisches Gedankengut in der Erziehung verbreitet wird. Damit hat er sich viele Feinde in den eigenen Reihen gemacht. Auf der Website der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich wird er deswegen aufgefordert, zurückzutreten.
Im Zuge der politischen Ereignisse in der Türkei haben einige Medien sehr genau erhoben, welche türkischen Vereine in Österreich welchen religiösen und politischen Strömungen zuzuordnen sind. Es ist nicht einfach, sich in dem Gewirr der Organisationen zurechtzufinden und Kritik fundiert zu belegen. Genau in der Suche nach Fakten unterscheidet sich fundierte Meinung aber von beidem, von der pauschalen Ablehnung des Islam wie auch von der Abwiegelung der Islamkritik. Beide Seiten wollen es gar nicht so genau wissen. Die einen, weil ihnen dann möglicherweise das einfache Feindbild abhandenkommen könnte, die anderen, weil sie dann ihre tatsächliche Weltanschauung einer kritischen Reflexion aussetzen müssten.
Kritik ist Meinungsfreiheit. Sie will ihr Gegenüber aber nicht beseitigen, nicht missionieren, „ausradieren“ oder die Welt von den anderen „säubern“. Natürlich darf und muss man muslimische Geistliche, Gläubige oder Schriften kritisch diskutieren. Wer mit dem Vorwurf der Islamophobie kontert, will in der Regel gerade diese notwendige Kritik nicht zulassen.
Christine Haiden meint, dass Kritik nicht mit einer pauschalen Abwertung beantwortet werden darf.
Zu wenig Islam-Kritik in Österreich?
Die „Initiative Liberaler Muslime Österreich“ warnt immer wieder, man solle die extremistischen Tendenzen in den islamischen Organisationen in Österreich nicht ignorieren. Besonders die Muslimbrüder würden innerhalb der Islamischen Glaubensgemeinschaft relativ ungestört agieren. Derzeitiger Vorsitzender der Islamischen Glaubensgemeinschaft ist seit Juni Ibrahim Olgun. Er ist Mitglied des türkisch-islamischen Vereins „Atib“. Sein Vorgänger Fuat Sanaç kam aus der türkischen Organisation „Milli Görüs“, dessen Vorgänger, Anas Schakfeh, stammte aus der Hochburg der syrischen Muslimbrüder. Der „Zentralrat der Ex-Muslime“ in Österreich kritisiert, in Österreich gebe es „keine ernsthafte Islamkritik“. Die Tätigkeit der Muslimbruderschaft werde von Politik und IslamvertreterInnen „unter den Teppich gekehrt“.
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Erschienen in „Welt der Frau“ 09/16 – von Christine Haiden
Illustration: www.margit-krammer.at