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04-05/24

Zwischen makellosen Körpern und ausgeleierten Jogginghosen

Zwischen makellosen Körpern und ausgeleierten Jogginghosen
Foto: Adobe Stock

Heftig verschlucke ich mich an meinem Schnittlauchbrot. Brösel gelangen in die falsche Röhre und fast kommen mir die grünen Ringerl bei den Augen wieder heraus. Was ich gerade gesehen hab?

Ich wollte ergründen, was junge Paare heutzutage von partnerschaftlicher Liebe erwarten. Welche Bilder haben sie im Kopf? Wovon träumen sie? Was motiviert Menschen zu einem „Für-immer-und-Ewig“ mit einer Person? Und bin dabei auf diese Bilder gestoßen: halbnackte weibliche Rundungen, die sich im Infinitypool erotisch an einen Adonis schmiegen. Ein Herz aus flackernden Teelichtern am Strand, in dem ein romantisches kleines Dinner auf zwei Verliebte wartet, die sogleich barfuß angehüpft kommen. Zwei Schönheiten, die sich im weißen Kingsize-Bett vor offenen Fenstern aneinander kuscheln – hinter ihnen der Pariser Nachthimmel, der vom funkelnden Eiffelturm erleuchtet wird. Untermalt wird die Szene von einem Musikstück mit dem Namen „Married Life“.

Meine Kinnlade liegt mittlerweile am Küchentisch. Solche Bilder servieren die sozialen Medien zu jeder erdenklichen Mahlzeit, nicht nur zu meinem Schnittlauchbrot. Mit dem Etikett „Couple-Goals“, also „Paarziele“. Während ich mein Kiefer wieder unter Kontrolle bringe und die Reste meiner Jause vertilge, feuert mein Gehirn Gedanken im Sekundentakt ab. „Das ist doch nur Show!“, ruft mir die Teenagertochter über den Küchentisch zu. Doch so ganz sicher bin ich mir nicht, ob das auch wirklich alle Menschen erkennen.

Ohne Filter, dafür mit Falten

Ich bringe die Teller zum Geschirrspüler, räume die eingetrockneten Pfannen von Mittag weg und verstaue die Essensreste in passende Tupperdosen im Kühlschrank. Mein Mann kommt heim. Es gibt ein schnelles Busserl über die Bestecklade hinweg. Wir wechseln ein paar kurze Sätze, während ich dem Junior dazwischen lautstark das Schultaschepacken für den nächsten Tag befehle. Ein berufliches Telefonat, eine Ladung Wäsche und einen ausgeleerten Biomüllkübel später lande ich neben meinem Liebsten auf der Couch. Mit ausgeleierter Jogginghose, hochgebundenen Haaren und gähnender Visage nach einem fordernden Tag.

„Statt meinen gebräunten Luxuskörper verführerisch auf dem Sixpack des Liebsten zu drapieren, will ich lieber tiefsinnige Gespräche führen können.“

Sowas siehst du halt nicht. Weder auf Instagram, Facebook noch bei deiner Freundin. Diese normalen Momente. Wo wir nicht auf Hochglanz poliert sind, sondern menschlich. Ungeschminkte Bilder aus der Wirklichkeit ohne Filter, dafür mit Falten. Momente, die keine künstliche Fassade vorschieben, sondern das echte Leben ausdrücken. Wie heilsam wäre es wohl, wenn wir erkennen und auch zeigen könnten: Es geht um das Innen, nicht um das Außen. Ehrlich gesagt rufen solche übertrieben perfekt gestellten Pärchenszenen ja eher Brechreiz als Bewunderung bei mir hervor. Statt meinen gebräunten Luxuskörper verführerisch auf dem Sixpack des Liebsten zu drapieren, will ich lieber tiefsinnige Gespräche führen können, die mein Herz berühren. Statt dem idyllischen Essen am Sandstrand bei Kerzenschein wünsche ich mir dauerhaft eine faire Aufteilung der unbezahlten Arbeit, die in unserer Familie anfällt. Und statt dem Kuscheln im nächtlichen Paris für ein quotenstarkes Reel nehme ich lieber klare Kommunikation, gemeinsames Lachen bis sich die Balken biegen und lebendige Begegnungen auf Augenhöhe.

Ungerecht ist, dass es immer noch keine echte Chancengleichheit für Männer und Frauen gibt. Weil diese Schieflage schon früh entsteht, lohnt es sich, bereits in der Familie achtsam zu sein.

Mit starkem Kern …

Okay, erwischt. Auch ich hab schon schöne Paarbilder aus Fotografinnenhand gepostet, um meinen Social-Media-Kanal aufzuhübschen. Ja, manchmal haben wir auch schon den schiefhängenden Haussegen überspielt, wenn wir uns in der Öffentlichkeit bewegt haben. Definitiv wirken wir leider auf manche Menschen wie eine Bilderbuchfamilie oder ein Vorzeigepaar und erzeugen damit wohl auch Druck. Was völlig unnötig ist. Jedem Menschen brauche und will ich nicht die nackten Tatsachen ins Gesicht schreien. Doch ich werde nicht müde zu betonen: Wir sind ein recht normales Paar. Mit recht normalen Problemen. Und einem recht normalen Alltag. Wir lernen jeden Tag dazu, wenn es darum geht, unsere Beziehung zu gestalten.

Es gibt Phasen, wo wir uns gegenseitig fast durch den Fleischwolf drehen möchten, weil wir unsere Unterschiedlichkeiten nicht aushalten. An anderen Tagen fühle ich mich unverstanden, alleingelassen oder missachtet. Die vielen Alltage dazwischen, wo man regelrecht nebeneinanderher lebt, gibt es auch unter diesem Dach. Aber da gibt es einen starken Kern – fast möchte ich „unverwüstlich“ schreiben, doch so kühn bin ich nicht. Diese tief empfundene Liebe für einen Menschen, der mit mir durchs Leben geht. Die Dankbarkeit für alles, was wir schon zusammen geschaffen und geschafft haben. Und der unverbesserliche Glaube daran, dass wir beide aneinander wachsen und gedeihen.

… das Fundament erhalten

Selbst die schönste Fassade kann irgendwann zu bröckeln beginnen. Daher möchte ich frühzeitig darauf achten, dass die Grundfeste, unser Fundament, erhalten bleibt.

Ich glaube, dass das gelingen kann, wenn wir …

  • … für deutlich mehr positive als negative Momente sorgen.
  • … uns gegenseitig vergeben können.
  • … eine passable Fehlerkultur aufrechterhalten.
  • … uns entschuldigen und von vorne beginnen können.
  • … schlechte Stimmung nicht automatisch am anderen auslassen.
  • … uns liebevoll und achtsam berühren – auch zwischendurch und einfach so.
  • … erkennen, dass jede/r von uns auch einzeln Raum braucht und haben darf.
  • … beizeiten Abstand nehmen – mal voneinander und dann gemeinsam vom Alltag.
  • … uns gegenseitig die gute Absicht unterstellen, in all unserem Tun.
  • … schwach und dabei sicher sein dürfen, dass wir uns nicht so verletzen, wie wir es könnten.
  • … großzügig und wohlwollend miteinander umgehen.

Von „Couple-Goals“ zum „Cute-old-Couple”

Meine Überzeugung ist: Es gibt da draußen mehr, als wir in unserer bildlastigen Welt präsentiert bekommen. Nur weil die Werbung oder soziale Medien ästhetische Pärchenfotos für ihre Zwecke nutzen und ausspielen, bedeutet es nicht, dass wir uns davon blenden lassen müssen. Jede/r von uns kann losgehen und hinter der vielleicht rissigen Fassade ein robustes Beziehungshaus bauen. Natürlich kann das anstrengend sein. In meiner Vorstellung aber lang nicht so mühsam wie das Aufrechterhalten eines Scheins, der mich innerlich verkümmern lassen würde.

„Das ist mein erklärtes Ziel ab jetzt: mit meinem Liebsten so ein süßes, altes Ehepaar zu werden.“

Bevor mir die Augen auf der Couch ganz zufallen – mein Liebster schnarcht schon friedlich vor sich hin –, finde ich sie dann doch noch: die Paare auf Instagram, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern. Sie strecken übermütig und gut gelaunt gemeinsam mit ihrem Hund die Zunge in die Kamera. Springen lachend und mit durchschnittlichem Aussehen händchenhaltend in die knöcheltiefe Pfütze. Zwei Hochbetagte, die sich über dem Krankenhausbett die Hände halten, während dem einen vor Lachen die dritten Zähne herausfallen und die andere ihr Gesicht dabei in tausend Falten legt. Wie ich das gefunden habe? Mit dem Suchbegriff „Cute-old-Couples“.

Das ist mein erklärtes Ziel ab jetzt: mit meinem Liebsten so ein süßes, altes Ehepaar zu werden. Ramponiert, vielleicht. Eventuell auch gezeichnet und zerzaust von den Stürmen, die wir überstanden haben. Aber jedenfalls: voller Leben.

Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin & Elementarpädagogin

Web: kerstinbamminger.com
Mail: [email protected]
Instagram: @die.beziehungsweise

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  • Veröffentlicht: 16.06.2023
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