Die kurzen Texte erzählen von Alter und Krankheit. Immer im Jetzt angesiedelt, durchaus durch die Brille des Humors aus Sicht der Tochter erzählt. Einer Tochter, die ihre Mutter liebt, die mit ihr das Grab aussucht, weil sich Mutter das wünscht. Nahe am Eingang, da müsste sie, die alte Dame, nicht so weit gehen. Gespräche in der Friedhofskonditorei übers Leben, das Sterben und die Auswahl des richtigen Grabes, am richtigen Ort, ganz nah bei anderen Gräbern, denn allein, das sei man doch zu Lebzeiten genug gewesen. Kurzprotokolle aus einem Alltag, der vom Kontakt lebt, von der Auseinandersetzung und der in vielen Skizzen zeigt, wie schwierig die Balance zwischen Nähe und Distanz ist.
Dieses Grab ist ideal für mich!
Wenn die starke, kluge Mutter plötzlich hilflos wird, in einer ganz konkreten Situation, setzt das bisher geltende Regeln zwischen ihr und der Tochter von einem Moment auf den anderen außer Kraft. Wenn das Backrohr kaputt wird, löst das bei der Mutter große Ängste aus und ihre Unzufriedenheit mit dem, das die Tochter anschleppt, ist auch unüberseh- und -hörbar. In diesen Szenen erlebt sich die Tochter in ihrer Rolle und gleichzeitig als ihre eigene Biografin: Sie reflektiert sich und das Geschehen, sie nimmt sich vor, sich nicht länger rumkommandieren zu lassen. Immer dann, wenn sie diese Szenen in ihrem Kopf durchspielt, ist wieder alles in der Realität anders geworden: Mutter freut sich über das neue Backrohr und bemitleidet ihre Tochter, dass die so schwer schleppen musste.
Die Mutter ist eine selbstständige Frau, jetzt mit Einschränkungen in ihrer Selbstbestimmtheit.
„Das Angebot, zu mir zu ziehen, lehnt sie nach wie vor ab. Sie möchte sich ihre Unabhängigkeit beibehalten. Das ist ja grundsätzlich sehr lobenswert. Nur: Durch ihre (scheinbare) Unabhängigkeit wird meine Abhängigkeit immer größer.“
Sensibel hört die Autorin auf das Ungesagte, auf die Wünsche, auch die nicht deutlich geäußerten ihrer Mutter. Die Besuche, die wenigen, die sich noch ankündigen, strengen sie an, daher sagt sie Besuche ab. Doch dadurch wird es immer stiller um sie, stiller in der Wohnung, was bleibt ist die Familie. Da betrachtet die Tocher/Autorin auch die Geschichte des Essens, des Kochens sehr realistisch, gern gekocht habe die Mutter wohl nie, aber jetzt sei ihr die Lust am Kochen völlig abhanden gekommen. Die Enkelkinder kochen nun mit ihr in der Küche, manchmal bereitet sie sich selbst etwas zu.
„Aber das alles basiert auf einem fein gesponnenen Familiennetzwerk, das nur hält, solange die Fäden nicht reißen. Ich schätze die Entlastung durch die Familie sehr, aber ich spüre auch das Gewicht dieses fragilen Netzes, in dem meine Mutter hängt und sich festklammert.“
Die Autorin Katja Jungwirth
ist 1961 in Graz geboren, hat in Wien und New York die Schule besucht, war als Journalistin bei der Kleinen Zeitung tätig, hat Theater- und Kabarett-Auftritte hingelegt, Familie gegründet. Nach mehreren Auslandsjahren – Brüssel – trat die Familie 2007 wieder die Reise zurück nach Österreich an.
Katja Jungwirth:
Meine Mutter, das Alter und ich.
Wahre Geschichten.
Mit Illustrationen von Melanie Haas.
Kremayr & Scheriau 2020.
176 Seiten.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at
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