Manches ist zu wahr, um schön zu sein
Lida Winiewicz blickt in dieser Rückschau klar, differenziert, mit Augenzwinkern und klugen Einsichten auf siebzig Jahre konstanter Berufsausübung zurück. Sie schaut genau, hier und da schenkt sie ihren Leserinnen und Lesern ein Augenzwinkern, eine von Vertrauen zeugende Bemerkung über so manchen eitlen Gecken, der ihren Weg kreuzte. Sie erzählt von ihren Fehlern und rät davon ab, je zu behaupten „Das und das passiert mir nie wieder“. Sie wird ausgenutzt, ihr Name als Autorin wird unterschlagen. Als ihr Steuerberater sich splitternackt nach einer abendlichen Beratung vor ihr präsentiert, kontert sie nur „Sie werden sich verkühlen!“ und flüchtet. Damals, in den Fünfzigerjahren, hätte sie wohl bei Öffentlichmachen dieses Übergriffs die Bemerkung zu hören bekommen: „Sie waren bei ihm in der Wohnung! Das musste er als Einverständnis empfinden!“ – Hat sich seither Nennenswertes geändert, fragt man sich auf den weiteren Seiten, den vielen Episoden, die von mutigen Frauen und deren Arbeitsverhältnissen erzählen?
Als Übersetzerin ist sie damals schneller als die Konkurrenz, die Verträge dafür sind im Hinblick auf das Honorar sittenwidrig. Als sich Lida Winiewicz an einem Preisausschreiben des Theaters der Courage für ein Drama über ein Minderheitenproblem beteiligt, gewinnt sie mit dem Drama „Das Leben meines Bruders“ den ersten Preis (1960). Das Preisgeld blättert sie für ein kleines Schwarzes hin, denn jetzt, jetzt prasseln doch wohl die Einladungen zu weiteren Erfolgen auf sie nieder.
„Nichts prasselte. Kein Theater rief an. Kein Veranstalter schrieb. Kein Fernsehsender ließ von sich hören. Zwischen etabliertem Wiener Kulturbetrieb und Kellerbühnen, das trat immer ernüchternder zutage, herrschte ein Hochmutsgefälle wie zwischen der Wieden und Hernals.“
Viele Freundschaften entstehen, manche verblassen, manche bleiben. Als Schriftstellerin, Übersetzerin und Autorin zahlreicher Theaterstücke – Die Flucht, Späte Gegend (Bühnenfassung ihrer gleichnamigen Erfolgserzählung), Miami Murder Show – sowie zahlreicher Filmdrehbücher – Elternschule, Hans und Lene – für ORF, ZDF und ARD – hat Lida Winiewicz auch die Wandlungen der Fernsehunterhaltung erlebt.
„Die Zeit, da Fernsehunterhaltung in Hinblick auf die Zielgruppe produziert wird, der die Werbeunterbrechungen gelten werden, war noch nicht angebrochen. Wir, die Autorinnen und Autoren der ersten Jahrzehnte, waren reinen Gewissens.“
Die Lektüre ist ein Blick hinter zahlreiche Kulissen, man begegnet satten Eitelkeiten und sehr integeren SchauspielerInnen und RegisseurInnen: Die Männer sitzen in den bequemen Fauteuils und die zwei Frauen quetschen sich auf ein Bänkchen. Wenn man nicht zur Premierenfeier des Stückes, das man geschrieben hat (Die Flucht – ein Stück von Lida Winiewicz nach der Biografie von Ernst Waldbrunn) in die Eden Bar eingeladen wird und sich nicht dagegen auflehnt, gibt es mehrere Gründe dafür:
„Feigheit? Noblesse? Bequemlichkeit? Oder der Grundton meines Erwachsenenlebens: Gemessen an Auschwitz ist alles nebensächlich?“
Als Mädchen hatte Lidas große Begabung für den Gesang eine hoffnungsvolle Sängerinnenkarriere erahnen lassen. Diesen Traum hatten die Nazis beendet: Als „Vierteljüdin“ (ihre Großmutter war Jüdin) erhielt sie Auftrittsverbot. Ihre Eltern wurden von Südfrankreich von den Nazis nach Auschwitz deportiert und umgebracht. In der Causa „Waldbrunn“ zeigt sich die Autorin nachsichtig, sie unterstellt ihm keine Böswilligkeit und vermutet, er habe letztendlich selbst daran geglaubt, das Stück selbst geschrieben zu haben. Siebzig Jahre Kulturbetrieb, viel Glatteis, viele Prellungen und hin und wieder ein Walzer!
Was Sie versäumen, wenn Sie dieses Buch nicht lesen
Das Leben einer mutigen, beherzten Frau; Fallbeispiel, wie Männer Frauen ausnutzen, übergehen und in Selbstherrlich dahinschmoren, Zeitgeschichte und Mediengeschichte, Einblicke in die Anfänge des Fernsehens und seiner Bildungssendungen, Wut darüber, wie wenig sich seit Jahrzehnten für arbeitende Frauen ändert, wunderschöne, belastbare Frauenfreundschaften.
Die Autorin Lida Winiewicz
1928 in Wien geboren, studierte Gesang an der Hochschule für Musik in Wien, dann Sprachen; sie arbeitete als Übersetzerin literarischer Werke aus dem Italienischen, Französischen, Englischen und Spanischen. Sie schreibt für Fernsehen, Film und Bühne, erhält für ihre Werke namhafte Auszeichnungen.
Lida Winiewicz:
Achterbahn.
Vom Schreiben leben.
Braumüller Verlag.
184 Seiten.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at
Mehr Lesestoff von Christina Repolust erscheint regelmässig in der „Welt der Frauen”, Rubrik Staunen & Genießen. Hier können Sie ein kostenloses Testabo bestellen.