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04-05/24

„Brustlos, nicht rad(t)los“

„Brustlos, nicht rad(t)los“
Foto: Julia Langeneder

Mit 43 Jahren erkrankte Antje Proft (54) an Brustkrebs. Nach mehreren Rückschlägen entschied sie sich für ein „Leben ohne Brust“. Warum sie 950 Kilometer entlang der Donau geradelt ist

Antje Proft fährt leidenschaftlich gerne Fahrrad. „Das gibt mir Kraft“, lächelt sie und wischt sich den Schweiß von der Stirn. 750 Kilometer ist sie schon geradelt, ließ sich auch von drei Tagen Dauerregen nicht unterkriegen, als sie mit ihrem Gravelbike in der Redaktion von „Welt der Frauen“ eintrifft. Knapp drei Wochen zuvor brach die Leipzigerin in Villingen-Schwenningen (Baden-Württemberg) auf, in zwei Tagen wird sie von ihren beiden erwachsenen Töchtern in Wien erwartet.

Die Donauradtour unter dem Motto „Brustlos, nicht rad(t)los“ hat einen besonderen Hintergrund: Unterwegs besucht Antje Proft Brustzentren und informiert ÄrztInnen, BrustkrebspatientInnen und medizinisches Personal über die Arbeit von „Amsob“. Die Abkürzung steht für „Ablatio mammae – Selbstbewusst ohne Brust“. Der Selbsthilfeverein setzt sich dafür ein, dass Frauen über alle Möglichkeiten nach einer Brustamputation informiert werden – besonders auch über die Entscheidung, keinen Brustaufbau zu wollen.

Foto: privat
„Ich wurde gar nicht gefragt oder über andere Möglichkeiten informiert.“
Antje Proft

Antje Proft hat entschieden, „flach“ zu bleiben. Sie war 43 Jahre alt, als sie einen Knoten in der rechten Brust ertastete und die Diagnose „Brustkrebs“ erhielt. Es folgte ein Behandlungsmarathon mit Chemotherapie, Entfernung der Brust (Mastektomie) und im Anschluss wurde ein Silikonimplantat eingesetzt. „Das war selbstverständlich. Ich wurde gar nicht gefragt oder über andere Möglichkeiten informiert.“

Dreimal kam der Krebs zurück. „Beim dritten Rezidiv sagte ich zum Arzt: Ich will, dass alles wegkommt. Auch das Implantat.“ Antje Proft recherchierte im Internet auf der Suche nach Frauen mit ähnlichen Erfahrungen. So stieß sie auf „Amsob“. Der Verein wurde 2019 von Frauen gegründet, die sich bewusst gegen einen Brustaufbau entschieden haben, und will anderen Frauen eine Anlaufstelle und Austauschmöglichkeit bieten.

Jede 8. Frau erkrankt an Brustkrebs

Rund 5.500 Frauen und circa 60 Männer erkranken nach Angaben der österreichischen Krebshilfe jedes Jahr in Österreich am Mammakarzinom. 20 bis 30 Prozent der Patientinnen können aus medizinischen Gründen nicht brusterhaltend operiert werden. Hinzu kommen noch Frauen, die sich aufgrund familiärer Vorbelastung für eine prophylaktische Brustentfernung entscheiden.

Nach einer Mastektomie stehen zwei Möglichkeiten für eine Rekonstruktion der Brust zur Verfügung: Silikonimplantate oder körpereigenes Gewebe. Bei einem Wiederaufbau mit Eigengewebe wird entweder vom Bauch oder vom Rücken Gewebe entnommen. Diese Methode ist jedoch nicht für jede Frau geeignet und hängt unter anderem vom Unterhautfettgewebe ab. Am häufigsten werden Silikonimplantate eingesetzt.

Ein Brustaufbau verläuft nicht immer ohne Probleme, weiß Antje Proft. Silikonimplantate können brechen oder es kann zu einer sogenannten Kapselfibrose kommen – damit wird eine schmerzhafte Verhärtung rund um das Implantat bezeichnet, die eine operative Entfernung notwendig macht.

Für mehr Entscheidungsfreiheit

Antje Proft empfand ihr Implantat stets als gefühllos und kalt. Nach zehn Jahren ließ sie es im Zuge der dritten Brustkrebsoperation entfernen. Seit Oktober 2021 lebt Antje Proft mittlerweile „flach“ und zum Glück auch tumorfrei: „Ich hatte das Implantat nie komplett integriert. Das äußere Körperbild stimmte mit meinem Inneren nicht überein. Jetzt habe ich wieder viel mehr das Gefühl: Das ist mein Körper. Er ist so. Und ich schäme mich nicht dafür.“

Antje Proft trägt meistens Sport-BHs. Das Tragen einer Prothese im BH, einer sogenannten Epithese, kommt für sie nicht infrage. Auf die Asymmetrie ihrer Brüste wird sie selten angesprochen. „Wenn ich Blicke bemerke, spreche ich das Thema selbst aktiv an“, sagt die 54-Jährige und fügt hinzu, dass es wichtig sei, gerade auch in Beziehungen offen darüber zu sprechen.

„Wenn man eine so schwere Erkrankung hat, denkt man darüber nach, was man noch vom Leben will und man setzt Prioritäten.“
Antje Proft

Antje Proft fasste noch vor der Entfernung des Implantats den Entschluss, sich von ihrem Mann zu trennen. „Wenn man eine so schwere Erkrankung hat, denkt man darüber nach, was man noch vom Leben will und man setzt Prioritäten.“ So realisierte die Bauingenieurin Anfang 2022 ihren Traum von der Selbständigkeit als Gutachterin für Fassaden. Ein weiteres Herzensanliegen sind ihr die Radtouren, um für mehr Entscheidungsfreiheit nach einer Brustamputation zu werben. „Dazu gehört, dass in Beratungsgesprächen alle Möglichkeiten der Behandlung und auch des Ergebnisses vollständig und umfassend benannt werden und dass bei jeder Variante ein für die Frau ästhetisch zufriedenstellendes Ergebnis angestrebt wird.“

Zeit, Mut zu machen

Nach Elbe und Rhein ist die Donau-Radtour Antje Profts dritte Unternehmung – sie radelt übrigens ohne Motor. „Ich will gar nicht so schnell sein. Früher war ich oft getrieben, jetzt versuche ich den Weg zu genießen und mir Zeit zu nehmen“, sagt sie. Zeit auch, um die „Mutmach-Post“ zu verteilen – eine Postkartenreihe, für die sich Betroffene fotografieren ließen und erklären, was sie nach der Brustentfernung ausmacht. So wie Anett, die sich brustlos, aber nicht glanzlos präsentiert: „Auch ohne meine Brüste zeige ich mich gern feminin und von meiner glamourösen Seite.“ Antje Proft ist auf der Postkarte natürlich mit ihrem Fahrrad zu sehen.

Nach unserem Gespräch schwingt sie sich wieder auf ihr Gravelbike, um die letzten 200 Kilometer bis Wien zurückzulegen. „Ich bin gut in Wien angekommen“, schreibt sie ein paar Tage später in einer E-Mail und verrät darin auch ihre Pläne für 2024: Nächstes Jahr möchte sie den Weser-Radweg bis zur Nordsee hinauf fahren und dafür sensibilisieren, dass man sich auch ohne Brust vollkommen und weiblich fühlen kann.

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  • Veröffentlicht: 28.09.2023
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