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Buchempfehlung: „Antwort auf den Brief von Helga“

Buchempfehlung: „Antwort auf den Brief von Helga“

Eine still erzählte Liebesgeschichte in Form eines Liebesbriefes.

Hinter die Berge hat keiner geblickt

Und wäre die Liebe nicht! Das empfindet der in seinem Dasein am Hof so sicher verankerte isländische Bauer Bjarni stark, wenn auch in anderen Worten: Da brachte ihn die Liebe zu Helga aus dem Rhythmus, stellte ihn vor Entscheidungen, die er nie treffen wollte. Und ja, auch ihr gemeinsames Kind Hulda bereitet ihm Freude beim Beobachten und Schmerz über die Lebenslüge.

Bjarni bleibt auf seinem Bauernhof, in seinem Leben, bei seiner Unnur und lebt in der Phantasie die Liebe und das Leben mit Helga. Ein Buch, das einen sehr ruhig macht, man möchte raus in die Natur gehen und sie so lieben können wie der Ich-Erzähler.

Der Roman in Form eines Briefes setzt mit klaren Gedanken rund ums Sterben und damit verbunden um die Gestaltung des Lebens ein. Der Verfasser des Briefes, der mit „Liebe Helga“ und mit dem Hinweis „Ich selbst bin noch ganz brauchbar“ seinen LeserInnen verrät, dass hier ein reifes, gereiftes Ich Lebensrückschau hält, ist zufrieden, lamentiert nicht, eine leise Traurigkeit schwingt mit.

Unnur, so erfahren wir LeserInnen, sei tot: Die Ehefrau, die ihm, dem Bauern Bjarni Sislason, stets treu zur Seite stand, die mit ihm still vor sich hinarbeitete, die ihren Unterleibskrebs überlebte und die Folge, Schmerzen und Kinderlosigkeit, still und ohne Anklage, zu tragen schien. Ob Unnur fühlte, dass ihr Mann sich in Helga, die lebensfrohe Nachbarin, verliebt hatte, von ihr träumte und sich dann wieder ganz entschieden diese Träume verbot?

„Seit diesem Spätabend bin ich der gewesen, der nicht gegangen ist, der die Schufterei statt der Liebe gewählt hatte. Ich gebe zu, dass es manchmal schwer war. Einmal zum Beispiel, als ich als Fütterungsbeauftragter zu Euch auf den Hof kam, um das Heu zu registrieren und die Schafe, da kam die kleine Hulda auf mich zugelaufen und sprang mir in die Arme.“
Seite 78

Er nähert sich Hulda, seiner Tochter, nie wieder. Als diese Jahre später als Fernsehsprecherin im Isländischen Rundfunk tagtäglich ins Wohnzimmer „kommt“,  schmeißt Bjarni das Gerät aus dem Fenster. Unnur will nur wissen, warum er das nicht schon früher gemacht habe, wenn doch die Nachrichten immer so schlecht und nichtssagend seien.

Die Menschen hier am Land sind verschlossen, ob sie bemerken, wie sich diese ganze Liebe nur in kleinen Szenen anbahnt? Hier wird gemeinsam mit den Schafen gearbeitet, hier bemerkt der Nachbarn den Lebenshunger der jungen Frau mit den kleinen Kindern am Nachbarhof, deren Ehemann immer durch Abwesenheit glänzt. Man hilft einander, steht der leidenden Unnur bei, beginnt sich aberm auf die Besuche beim Nachbarhof zu freuen.

Der Ich-Erzähler leitet auch einen Lesezirkel und versteht es, seine Gedanken zu formulieren und zu ordnen, liebt die Stille, will sich seine Lebenszufriedenheit gern erhalten. Als ihn Helga auffordert, mit ihr in die Hauptstadt Rejkavik zu gehen, dort zu arbeiten und mit ihr und den Kindern zu leben, erschreckt ihn das Ansinnen: Dort in dieser Anonymität, in dieser geordneten Landschaft mit den lächerlichen kleinen Parks, finde er wohl nie Frieden, können nicht anwurzeln.

Hier in der Natur bleibt der Briefschreiber sich selbst treu, schimpft sich gelegentlich einen Zauderer, freut sich über die Landschaft, die Ruhe, das Erbe seiner Familie: Die Liebe bleibt, schmerzt und findet schließlich die richtigen Worte. Ja, auch die Zeiten der Trunksucht verschweigt er nicht, der Alkohol habe kurz Trost gespendet, nachdem Helga gegangen sei.

„... ich verstand, dass das Böse im Leben nicht die Spitzen waren, die einen verletzten und stachen, sondern der weiche Ruf der Liebe, die man von sich gewiesen hatte – der kostbare Brief, den man zu spät beantwortet ...“
Seite 132

Was Sie verpassen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen:

Leidenschaft, Bedächtigkeit, Trauer, Jahreskreis der Landschaft, der Menschen, der Gefühle, starke innere Monologe, Treue, Kampf ums Üerleben, lebenslange Versagungen und ebenso intensive Träume vom Leben in der Stadt

Die Autor Bergsveinn Birgisson

ist 1971 in Reykjavik geboren und hat altnordische Literatur in Bergen/Norwegen studiert, wo er lebt und an der Universität lehrt. Er forscht zur Dichtung des skandinavischen Mittelalters. Sein Debütroman „Die Landschaft hat immer recht“ wurde am Literaturmarkt begeistert aufgenommen.

Bergsveinn Birgisson
Antwort auf den Brief von Helga
Aus dem Isländischen übersetzt von Eleonore Gudmundsson.
Salzburg – Wien: Residenzverlag 2022.
137 Seiten.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

Mehr Lesestoff von Christina Repolust erscheint regelmässig in der „Welt der Frauen”, Rubrik Staunen & Genießen. Hier können Sie ein kostenloses Testabo bestellen.

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  • Veröffentlicht: 13.04.2022
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