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04-05/24

„Beckenbodentraining sollte Teil des Alltags sein“

„Beckenbodentraining sollte Teil des Alltags sein“
Foto: Michael Keplinger

Mit ihrer Online-Plattform „PelviQueens“ haben sich die Physiotherapeutinnen Magdalena Rechberger und Judith Sacher der Beckenbodengesundheit verschrieben. Zuletzt stellten sie ihr Konzept in der TV-Sendung „2 Minuten 2 Millionen“ vor. Ihre Mission: das Thema Beckenboden enttabuisieren und Frauen helfen, bevor es zu Beeinträchtigungen kommt.

Der Beckenboden spielt in Gesprächen unter Frauen oft keine prominente Rolle. Warum ist das so?

Magdalena Rechberger: Judith erklärt das immer sehr schön am Beispiel des Geschirrspülers. Der Geschirrspüler gehört zum Alltag, doch man schätzt ihn nicht besonders. Gibt es aber ein Problem, zum Beispiel wenn er undicht ist, merkt man, wie wichtig er ist. Genauso ist es mit dem Beckenboden. Er wirkt sich vielfältig auf den Körper aus, etwa auf die Haltung oder besonders in Bezug auf das Thema Inkontinenz. Erst wenn es Schwierigkeiten gibt, bemerkt man diesen Muskel und erkennt, dass man etwas tun muss. Wir wollen schon davor für Bewusstsein sorgen.

Um Frauen zu helfen, haben Sie die Plattform „PelviQueens“ ins Leben gerufen. Wann und wie entstand die Idee dazu?

Judith Sacher: Lena und ich kennen uns schon, seit wir Physiotherapie studiert haben. Bereits damals haben wir gemerkt, dass wir uns beide für die Frauenheilkunde interessieren. Auch nach der Ausbildung haben wir uns – unabhängig voneinander – in diese Richtung weiterentwickelt. Nachdem ich 2022 Mutter wurde, erkannte ich, dass die Eins-zu-eins-Therapie schwierig wird, gerade wenn man stillt. Wir waren beide selbstständige Physiotherapeutinnen und hatten daher bei all den Anfragen zum Thema Frauengesundheit nicht die Möglichkeit, so viele Kundinnen gleichzeitig und langfristig zu betreuen. Also bin ich auf Lena zugegangen und habe sie gefragt, ob sie dieses wichtige Thema mit mir nach außen tragen möchte, um Frauen die Möglichkeit zu geben, sich ohne Scham und gerne auch anonym dem Thema zu widmen. Lena war sofort dabei, und so gründeten wir die „PelviQueens“ Anfang 2023.

„Leider holen sich die Frauen oft erst dann Hilfe, wenn sie schon mit Schmerzen zu kämpfen haben oder das Problem bereits überhandgenommen hat.“
Judith Sacher

Wie funktioniert das Angebot auf der Plattform?

Rechberger: Zu Beginn geht es um die Frage, was überhaupt das genaue Problem ist. Dazu gibt es auf unserer Website eine kostenlose Vorabanalyse. Es sind nur zwei Minuten, die sich die Frauen dafür Zeit nehmen müssen. Anhand des Analyseergebnisses wird den Nutzerinnen der passende Kurs vorgeschlagen. Aktuell bieten wir vier Kurse an: zu Stressinkontinenz, zur überaktiven Blase, einen Geburtsvorbereitungs- sowie einen Rückbildungskurs.

Sacher: Und wir planen noch viele weitere Kurse, denn Beckenbodenprobleme sind sehr vielfältig. Darunter sind etwa Kurse, die sich Schmerzen beim Sex oder der Leistungssteigerung im Sport widmen und zeigen sollen, wie Beckenbodentraining helfen kann. Bei allen Kursen handelt es sich um ein flexibel nutzbares Angebot, das aus zehn Modulen besteht. Jede Woche wird ein neues Modul freigeschalten. So garantieren wir, dass jede Frau einen langfristigen und nachhaltigen Effekt auf den Beckenboden hat. Der Zugriff besteht für ein Jahr, uns ist wichtig, die Nutzerinnen lange zu begleiten. Während des Jahres haben diese immer die Möglichkeit, auf uns zuzugehen. Wir stehen mit den Frauen im engen Austausch, es gibt Gruppen, in denen wir Motivationstipps teilen und sich die Frauen austauschen und bestärken können. Außerdem gibt es regelmäßig Liveeinheiten zu verschiedenen Themen, an denen sie teilnehmen können.

Wie können unerfahrene Frauen, insbesondere junge Frauen, Beschwerden im Zusammenhang mit dem Beckenboden erkennen?

Sacher: Das können beispielsweise Schmerzen im unteren Rücken, im Unterleib oder ein Fremdkörpergefühl in der Scheide sein. Auch Periodenschmerzen können ein Hinweis auf einen sehr verspannten Beckenboden sein. Ein Problem ist auch bei Instabilitätsgefühlen im Rumpf oder bei unkontrolliertem Verlust von Harn oder Stuhlgang anzudenken.

Rechberger: Wir hatten schon Frauen, die überzeugt waren, nicht inkontinent zu sein. Sie sagten: „Ich verliere ab und zu einen Tropfen Harn, wenn ich niese.“ Hier möchten wir klarstellen: Auch wenn man nur ab und an ein Tröpfchen verliert, ist das ein Zeichen, dass eine Dysfunktion besteht. Tröpfchen können genauso ein Anzeichen für einen verspannten Beckenboden sein – es muss sich nicht immer um eine Schwäche handeln. Klar ist aber, dass es Anzeichen sind, bei denen Handlungsbedarf besteht.

Welches Programm wird besonders nachgefragt? Gibt es Anliegen, die besonders häufig genannt werden?

Sacher: Es herrscht bei allen Programmen ein guter Andrang. Man merkt aber, dass vor allem Frauen in der Zeit der Geburtsvorbereitung sehr sensibilisiert sind. Allgemein gilt zu sagen, dass es leider oft der Fall ist, dass sich die Frauen erst dann Hilfe holen, wenn sie schon mit Schmerzen zu kämpfen haben oder das Problem bereits überhandgenommen hat. Wir versuchen, die Frauen dafür zu sensibilisieren, möglichst früh zu beginnen – dazu gibt es eben auch die Vorabanalyse.

Rechberger: Eigentlich sollte das Beckenbodentraining genauso Teil des Alltags sein, wie zum Beispiel das Zähneputzen.

„Sprecht selbst darüber, dann erlauben sich auch andere, das zu tun.“
Magdalena Rechberger

Um die junge Generation zu erreichen, sind Sie auch in den sozialen Medien sehr präsent.

Rechberger: Der Auftritt in den sozialen Medien ist uns sehr wichtig. Gerade in jungen Jahren braucht es kein exzessives Beckenbodentraining, sondern es geht vielmehr darum, diesen Bereich wahrzunehmen, das Gefühl für den eigenen Körper zu steigern und herauszufinden, ob und welche Unterstützung es benötigt. Gerade bei jungen Mädchen ist der verspannte Beckenboden häufig Thema, sie leiden oft unter Schmerzen beim Sex oder bei der Periode. Hierzu benötigt es ein anderes Training als bei einem schwachen Beckenboden.

Nach wie vor scheinen diese Themen sehr schambehaftet zu sein.

Rechberger: Das berührt mich immer wieder. Ich finde es sehr traurig, wenn man mit Frauen spricht und sie erst dann die Motivation finden, sich selbst zu öffnen und ihre Anliegen zu besprechen. Ich denke mir dann immer, sie hätten schon viel früher Hilfe bekommen können, hätten sie sich nur getraut, darüber zu sprechen. Das ist etwas, was wir stark bewerben: Sprecht selbst darüber, dann erlauben sich auch andere, das zu tun.

Aus der Expertinnensicht: Was sind für Sie absolute „No-Gos“, wenn es um die Gesundheit des Beckenbodens geht?

Sacher: Für mich ist das zum Beispiel super enge Kleidung. Oder dass man regelmäßig für mehrere Stunden oder gar Tage den Bauch einzieht, in der Hoffnung, dass die Gesellschaft dann positiver auf einen reagiert. Das bedeutet einen ständigen Druckaufbau im Bauchraum – sowohl durch die enge Kleidung als auch durch das ständige Einziehen – das ist für den Beckenboden sehr schlecht.

Rechberger: Ganz weit oben auf der Liste steht für mich das Pressen auf der Toilette, sowohl beim Urinieren als auch beim Stuhlgang. Für viele muss es auf der Toilette schnell gehen, aber eigentlich sollte man erstens nur dann aufs Klo gehen, wenn man muss, und sich zweitens dabei Zeit lassen. Wenn man Schwierigkeiten beim Stuhlgang hat, empfehlen wir zum Beispiel das Verwenden eines Hockers. Wenn man jahrelang mehrmals täglich presst, ist das eine sehr große Belastung für den Beckenboden.

Vielen Frauen wurde zum Trainieren des Beckenbodens das Anhalten des Harnstrahls während des Wasserlassens empfohlen. Hilft das wirklich?

Rechberger: Früher rieten viele ÄrztInnen dazu. Mittlerweile weiß man aber, dass man auf diesem Weg das Signal zwischen Hirn und Blase stören kann – und das führt erst recht wieder zu Beschwerden.

Sacher: Ein Problem ist außerdem, dass man auf diesem Weg eine komplette Entleerung verhindert, es bleibt Restharn in der Blase und der kann wiederum zu Infekten führen, weil sich dieser entzündet. Deswegen betonen wir auch immer, sich das Anhalten des Harnstrahls nur vorzustellen.

Foto: PULS 4 / Gerry Frank

Ihre Plattform durften Sie vor Kurzem auch in der Puls4-Fernsehsendung „2 Minuten 2 Millionen“ vorstellen.

Rechberger: Wir sind mit dem Ziel hingegangen, das Bewusstsein zu schärfen und Frauen den Raum zu geben, darüber zu sprechen. Wir haben die Thematik dabei auf einem provokanten Weg auch bildlich dargestellt.

Sacher: Wir wollten Frauen zeigen, dass es vollkommen in Ordnung ist, wenn man ein Thema mit dem Beckenboden hat, und dass es eine Plattform gibt, an die sie sich wenden können. Wir erhielten dafür sehr positives Feedback von den InvestorInnen.

Die Ampelübung

Illustration: PelviQueens GmbH

Die Ampelübung dient als Basisübung vor Beginn des Beckenbodentrainings. Sie soll helfen, die drei Körperöffnungen im Unterleib besser wahrzunehmen. Jeder Körperöffnung ist eine Farbe zugeordnet: Rot steht für die Harnröhre, Gelb für die Scheide und Grün für den Afterschließmuskel. Bei der Übung wird versucht, jede Ampel zum „Leuchten“ zu bringen, indem die jeweilige Öffnung durch Anspannung wahrgenommen wird.

Dazu können die folgenden Visualisierungen hilfreich sein:

Im Falle der Harnröhre ist dies die Unterbrechung des Harnstrahls. Bei der Vagina stellt man sich einen Tampon vor, den man versucht herauszuziehen, indem man an der imaginären Schnur zieht, dabei aber aktiv dagegenhält, so dass sich der Tampon nicht bewegt. Wer diese nicht verwendet, kann sich vorstellen, etwas aufsaugen zu wollen. Für den Schließmuskel des Afters ist es hilfreich, sich die Bohnensuppe vorzustellen, die sich bemerkbar macht, während man sich in einem Aufzug befindet.

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  • Veröffentlicht: 19.04.2024
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