Ich kann nicht einschlafen. In meinem Kopf tanzen die Sorgen Tango. Die Nachrichtensprecherin redet einfach weiter, obwohl ich den Fernseher längst ausgeschaltet habe. Abends sieht die Welt düster aus. Was ich brauche, ist ein Engel.
Der Engel hockt auf meiner Bettkante und gibt sich betont heiter. Mich nerven Leute, die immer so tun, als sei alles gut. Da machen Engel keine Ausnahme. Ich seufze. Der Engel lächelt noch breiter.
„Guckst du keine Nachrichten?“, frage ich vorwurfsvoll.
„Nicht nötig“, sagt er, er sei aus erster Hand informiert. Kranken habe er heute Hustentee gekocht, Einsamen ein paar Eichhörnchen vors Fenster geschickt und Heimatlosen den Rücken gestärkt. Es seien anstrengende Tage, er habe jetzt viel zu tun, aber zum Glück sei er nicht allein. Seine Stimme ist angenehm. Tief, aber nicht dröhnend. Warm, aber nicht einlullend. Ich merke, wie der Druck auf meiner Brust nachlässt. Vielleicht kennt er sich aus mit Gewichtheben. Ich finde es schön, dass er da ist. Hoffentlich bleibt er noch eine Weile sitzen. In seiner Gegenwart stiehlt sich der Tag leise davon. Als sei er versöhnt, nachdem er so viel Aufmerksamkeit wollte. Nachdem er mir Fragen vor die Füße geworfen hat, auf die ich keine Antwort wusste. Die Kontoauszüge hat er mir unter die Nase gehalten und Vorwürfe gemacht, dass ich über den ausgefallenen Urlaub weine, wo andere um ihr Leben ringen. Auf einmal aber ist er still.
„Gut so“, sagt der Engel und ich frage mich, ob er gleich ein Wiegenlied anstimmt. Aber er schüttelt den Kopf. „Ich bin kein guter Sänger.“
„Was bist du dann?“
„Ich bin die gute Seite, wenn es schlecht läuft“, sagt er.
„Was ist denn gut?“, frage ich.
„Sag du es mir.“
„Wie kann ich, angesichts all der Unsicherheit?“
„Du musst“, sagt der Engel und sieht plötzlich sehr entschieden aus. Ich füge mich.
„Gut ist, dass ich jeden Tag lang und ausgiebig mit mir selbst spazieren gehe. Das habe ich mir schon so oft vorgenommen. Jetzt tue ich es. Ich habe Tomaten, Rauke und Sonnenblumen gesät, Zuckererbsen und Bohnen. Endlich nehme ich mir die Zeit, sie auf der Fensterbank zu hegen, statt die Setzlinge zu kaufen. Ich wähle jeden Morgen mit Sorgfalt meine Kleider, obwohl ich auch die Jogginghose anziehen könnte. Ich tue es für mich, das fühlt sich gut an. Und am Wochenende habe ich einen Brief geschrieben, mit so viel Muße wie lange nicht mehr.“ Meine Augenlider werden schwer, während ich rede.
Gut ist, denke ich, so einzuschlafen.
Susanne Niemeyer
lässt sich gerne inspirieren von Pippi Langstrumpf und der polnischen Dichterin Wisława Szymborska. Vor dem Einschlafen denkt sie an etwas Schönes, denn irgendwas – da ist sie sicher – gibt es immer.
Foto: privat