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09/24

Existenzen von Frauen in Gefahr

Existenzen von Frauen in Gefahr
Foto: Adobe Stock

Ob aufgrund der Pandemie, der Rekordinflation oder der Teuerungen bei Lebensmitteln, Energie und Mieten: Österreichweit gelten aktuell rund 200.000 Menschen als armutsbetroffen, um 40.000 mehr als im Vorjahr. Besonders belastend ist die Situation für Frauen und Familien. Das verdeutlichen nicht nur eine aktuelle Studie, sondern auch die Erfahrungen aus der Sozialberatung.

„Kann ich mir die Miete im nächsten Monat noch leisten? Und die Energiekosten? Und die Lebensmittel, die ich benötige?“ – Das sind jene existenziellen Fragen, mit denen sich derzeit zahlreiche Menschen in Österreich täglich konfrontiert sehen. Allein im vergangenen Jahr haben rund 60.000 Betroffene in insgesamt 71 Beratungsstellen der Caritas Gespräche dazu in Anspruch genommen. Der Großteil davon war weiblich. Eine Erfahrung, die Doris Anzengruber, Leiterin der Caritas-Sozialberatungsstelle der Erzdiözese Wien, bestätigen kann: „Sehr viele KlientInnen der Caritas Sozialberatung sind Frauen. In Wien sind es knapp 70 Prozent.“ Bereits zuvor galt der Prozentsatz in der Bundeshauptstadt mit 67 Prozent als hoch. 

Dass man nun um drei Prozentpunkte mehr verzeichne, stelle eine leichte, aber keine immense Erhöhung dar. „Das heißt, auch schon vor der Teuerung waren Frauen oftmals in schwierigen finanziellen Situationen. Jetzt ist es so, dass wir einfach einen KlientInnen-Zuwachs haben. Der betrifft aber alle Gruppen, die zu uns kommen.“ Gestiegen ist der Anteil der Klientinnen hingegen im Rest von Österreich, weiß Anzengruber von ihren KollegInnen aus den anderen Bundesländern. Sie sind es auch, die eher eine Beratung aufsuchen.

Beunruhigendes Bild

Sehr oft nehmen alleinerziehende Mütter das Angebot der Caritas in Anspruch. Für sie ist die derzeitige Situation herausfordernd. Das geht auch aus der von Dezember 2022 bis März 2023 durchgeführten Befragung „Unterm Radar“ hervor, wonach 87 Prozent der Alleinerzieherinnen als erheblich materiell und sozial depriviert gelten. In der Studie, die von der Caritas der Erzdiözese Wien gemeinsam mit dem Sozialforschungsinstitut SORA durchgeführt wurde, wurden rund 400 KlientInnen der Sozialberatungen aus Wien und Niederösterreich zu Armutsfragen interviewt. Darunter 74 Prozent Frauen, von denen wiederum ein Viertel Alleinerziehende ausmachten.

Die Ergebnisse zeichnen ein beunruhigendes Bild: Speziell letztere sind – deutlich häufiger als andere – nicht mehr in der Lage, ausreichend Lebensmittel einzukaufen. Besser sieht auch die Situation beim Heizen nicht aus: Drei Viertel der Befragten können ihre Wohnung nicht ausreichend warmhalten. Und während 60 Prozent angaben, sich in einer dauerhaften Notsituation zu befinden, müssen 86 Prozent Abstriche bei der Förderung ihrer Kinder machen. Für genauso viele habe sich die Situation aufgrund der Teuerung verschlechtert. 

Doris Anzengruber
Foto: Johannes Hloch
Doris Anzengruber
„Viele Frauen, die bei uns aufschlagen, sind von Altersarmut betroffen, weil sie etwa wenig verdient haben, ihre Arbeit nicht angemeldet war oder weil sie Arbeit verrichtet haben, die bei der Pension nicht angerechnet wird.“

Gerade für Mütter von Kleinkindern ist die Lage bedrückend: Sie befinden sich entweder noch in Karenz, können nur auf ein vermindertes Einkommen zurückgreifen oder arbeiten in Teilzeit. Erschwerend kommt hinzu, dass dringend benötigte Alimente oder Unterhaltszahlungen vonseiten der Väter häufig ausfallen oder nur unregelmäßig erfolgen, weil sie sich selbst in einer schwierigen finanziellen Situation befinden. „Auch hier steckt oft die Teuerung dahinter“, betont Anzengruber. Das schon vor den Preiserhöhungen vorherrschende Problem, wird nun verstärkt.

„Das geht sich nicht mehr aus“

Neben jungen Müttern macht einen weiteren großen Anteil derer, die zur Sozialberatung kommen, die ältere Generation aus. „Viele Frauen, die bei uns aufschlagen, sind von Altersarmut betroffen, weil sie etwa wenig verdient haben, ihre Arbeit nicht angemeldet war oder weil sie Arbeit verrichtet haben, die bei der Pension nicht angerechnet wird“, erklärt Anzengruber. Ihr Einkommen verändert sich nicht mehr, während die Fixkosten gestiegen sind, weiter steigen oder Extrakosten dazugekommen sind. Obwohl sie es meist gewohnt sind, mit wenig auszukommen, ist nun ihre Existenz gefährdet. „Sie finden dann oft den Weg zu uns und sagen: ‚Ich habe es bis jetzt immer ganz knapp geschafft, jahrelang. Aber jetzt, mit dieser Teuerung, das geht sich nicht mehr aus.‘“

Ein Beispiel aus der Sozialberatung ist etwa die Geschichte jener Frau, die ihr für das eigene Begräbnis mühsam erspartes Geld aufwenden musste, um Jahresabrechnungen zu bezahlen. Auch danach überlegte sie noch, ihren Fernseher und anderes Hab und Gut zu verkaufen, um weitere Kosten stemmen zu können. Ebenso drastisch ist das Schicksal einer weiteren Klientin: Ausgerechnet im Winter ging ihre Therme kaputt. Mit ihrem allerletzten Geld bezahlte sie den Installateur. Was für sie danach noch übrig blieb: ein Stück Brot und die Frage, mit welchen Mitteln sie nun Essen für sich besorgen solle.

Gemeinsame Suche nach Lösungen

Kommen diese Menschen zur Caritas, so wird ihre Notlage genau unter die Lupe genommen. „Das heißt aktuell: Sind auch wirklich alle sozialrechtlichen Ansprüche gestellt? Sind alle Unterstützungshilfen beantragt, die es gibt?“ Zusätzlich wird eine Einkommen-Ausgaben-Aufstellung erstellt. „Wir schauen uns an, ob man noch an Schrauben drehen kann, um die Situation der Menschen zu entschärfen – gerade in Zeiten der Teuerung ist das nicht einfach.“ Um im täglichen Leben beim Sparen zu helfen, weisen die MitarbeiterInnen unter anderem auf die eigenen Lebensmittelausgabestellen, aber auch auf andere Sozialmärkte hin. 

„Die Sozialhilfe ist das letzte Auffangnetz für viele Menschen und sie ist in ihrer derzeitigen Form nicht armutsfest.“

Bei hohen Energierechnungen kann die Caritas durch den sogenannten „Wohnschirm“ – eine Initiative des Sozialministeriums – helfen. „Wir unterstützen die Menschen dabei, diesen Antrag zu stellen und so Energierückstände abzufedern. Seit kurzem haben wir durch ein Programm des Klima- und Energiefonds die Möglichkeit, unsere KlientInnen an Energieberatungen zu vermitteln.“ Ein weiterer wichtiger Punkt sind laut Anzengruber realistische Ratenvereinbarungen, „sowohl bei Energie- als auch bei Mietzahlungen“. 

Caritas weist auf Reformbedarf hin

Trotz all dieser Hilfestellungen ist man sich bei der Caritas aber sicher: Für nachhaltige Verbesserungen braucht es im Sozialbereich Reformen, etwa bei der Sozialhilfe Neu. „Die Sozialhilfe ist das letzte Auffangnetz für viele Menschen und sie ist in ihrer derzeitigen Form nicht armutsfest. Nötig wäre etwa, die Kinderrichtsätze bedarfsorientiert zu adaptieren“, führt Anzengruber aus. Von zentraler Bedeutung sei die Erhöhung des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe. Beide Versicherungsleistungen habe man bisher nicht an die Inflation angepasst. Verbessert werden müsse auch die Teilzeitarbeitssituation von Frauen „beziehungsweise die Einkommenshöhe bei ‚klassischen‘ Frauenberufen, um die Armutsfalle im Alter abfedern zu können“.

Sozialer Zusammenhalt ist gefährdet

Kommt es zu keiner dieser Veränderungen, sieht Anzengruber den sozialen Zusammenhalt als gefährdet. Bereits bei der SORA-Befragung ist deutlich geworden, dass viele Menschen genau darum fürchten und sich von der Politik in Zeiten der Teuerung nicht ausreichend unterstützt fühlen. Anzengruber: „Es könnte auch dazu führen, dass sich vor allem Menschen, die sich in ihrer Notsituation unverstanden und ungehört fühlen, von der Politik abwenden.“

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  • Veröffentlicht: 20.06.2023
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