Anne Holt hat eine neue Kult-Ermittlerin. Selma Falck, spielsüchtige Anwältin, Ex-Leistungssportlerin, eine Frau mit Ecken und Kanten.
Wenn die mehrfach preisgekrönte Anne Holt eine neue Ermittlerin „erfindet“, dann ist sowohl das soziale Umfeld als auch das Setting inspirierend, faszinierend und herausfordernd. Die Autorin war u. a. Justizministerin Norwegens, kennt die Arbeit der Polizei und der Justiz sehr genau: Hier werden keine Geheimnisse ausgeplaudert, sondern die Erzählung dreht sich um Systeme auf Seiten der Ermittler und auf Seiten der Täter. Eine besondere Autorin, eine hervorragende Ermittlerin und sehr viel Scheitern in einen Krimi verpackt: Besser kann es keine Tatort-Folge!
Wer die bisherigen Krimireihen der ehemaligen Justizministerin Norwegens mit Spannung und Genuss las, freut sich über die hier vorgestellte neue Ermittlerin: Ihr Leben schien korrekt, stets auf ein Ziel fokussiert, zu verlaufen. Dann kam die Versuchung, dann kam das Spielen im Graubereich zwischen richtig und falsch, dann kam der Fall: Selma Falck könnte sich mit ihren „Vorgängerinnen“, den Ermittlerinnen Inger Johanne Vik und Hanne Wilhelmsen am Abend in einer Bar treffen, so sehr ähneln sich diese klugen Frauen mit einem unübersehbaren Hang zur Selbstzerstörung.
Ermittlerin mit Vergangenheit
Doch die „Neue“, Selma Falck hat im Gegensatz zu Vik und Wilhelmsen, ernste juristische Probleme: Was passiert mit ihr, wenn einer der von ihr um Millionen Geprellten das Verschwinden der Geldanlagen bemerkt? Richtig, der eine, der es bereits bemerkte und der sie damit auch in der Hand zu haben glaubt, wendet sich um Hilfe an sie. Selma Falck, einstige Top-Anwältin, soll ermitteln, warum die Adoptivtochter von Jan Morell des Dopings beschuldigt wird. Wer steckt dahinter, wer will der Top-Sportlerin einen Doping-Skandal anhängen?
„Wer bin ich schon? Ich laufe Ski, Selma! Ich bewege mich so schnell wie möglich von einem Ort zum anderen, mit dünnen Brettern unter den Füßen und Stöcken in den Händen. Ich bekomme Medaillen und kleide mich in Rot-Weiß-Blau. Das hier ist Sport.“
Die Handlung beschleunigt, dreht sich auch um einen Obdachlosen, der für die Gerechtigkeit zum Mörder wurde, um die Frage nach Rassismus im Sport, zumal Hege Chin mehrmals Opfer rassistischer Hetze wurde. Ein weiterer Todesfall – auch bei diesem Opfer finden sich Spuren eines Dopingmittels – versetzt Selma in Unruhe, wenn sie die Täter, den Täter, findet, hat ihr Morell Straffreiheit und sogar noch mehr als das versprochen.
Rettet sie die verdächtige Hege, rettet sie sich selbst. Und richtig, auch Selma war Spitzensportlerin, brachte mehrere olympische Silbermedaillen nach Hause: Selbstbeherrschung, Disziplin und Spielsucht ergeben eine irritierende, gefährliche und faszinierende Mischung.
Anne Holt
Ein Grab für zwei. Selma Falcks erster Fall.
460 Seiten.
Übersetzt von Gabriele Haefs.
Zürich: Atrium 2021.
Christina Repolust
Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at
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