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11/12/24

Buchempfehlung: „Lost in Work“

Buchempfehlung: „Lost in Work“

Es reicht nicht, sich mit Work-Life-Balance zu beschäftigen, davon zu reden, sich am Wochenende „mal was gönnen zu wollen“ und zu relaxen: Das Problem liegt tiefer, gesellschaftlich und damit auch bei jeder/jedem Einzelnen. Amelia Horgan bietet viele Ideen und rüttelt auf. Ein wundervoll dicht geschriebener Text.

Normalbeschäftigung als historische Anomalie

Der Text erfordert Konzentration, schnell folgen die Analysen Satz für Satz aufeinander, man weiß lesend: Da geht es auch um mich, außer ich wären eine Super-Reiche, eine Erbin, die nicht angestellt im Großraumbüro, sondern selbst organisiert hackelt. Abhängigkeiten wurden während der Covid-Pandemie sichtbarer: Wurde einer/einem, dort, wo es möglich war, Home-Office „zugestanden“ oder galt, dass nur der, der präsent ist, auch arbeitet?

„Man zerrt uns nicht aus dem Bett und wirft uns in einen Bürostuhl, zwingt uns nicht mit vorgehaltener Waffe, Tabellen zu studieren, und erschießt uns, wenn wir die monatlichen Zielvorgaben nicht erfüllen – aber die Gesellschaft, in der wir leben, ist eine Gesellschaft, in der ein Arbeitsplatz eine Notwendigkeit ist. Ohne Arbeit wird das Leben – außer für die sehr Reichen – extrem schwierig. “
Seite 19

Diese Analysen sind einsichtig und sehr genau mit aktuellen Beispielen unterlegt. Was ich an diesem Buch aber so sehr schätze, ist der Blick auf die Care-Arbeit, S. 172. Hier kommt die Rede auf die „globale Pflegekette“ und deren globale Ursachen.

„Eine Migrantin füllt die ursprüngliche Pfleglücke, aber dadurch entsteht eine weitere in dem Land, das sie verlassen hat.“
Seite 172

Endlich führt eine Autorin diese Debatte, liefert Fachliteratur und Studien dazu, ohne am Rand Atemübungen für gestresste PflegerInnen anzubieten: Hier ist klar, dass die Lage ernst und ernst zu nehmen ist. Nach der Betrachtung der Pflege gelangt Horgan zum Putzen im Haushalt und kehrt auch hier nichts unter den Teppich: Sie räumt auf mit den Gedanken, dass es für zugewanderte Frauen wohl in Ordnung sei, „jemandem hinterherzuputzen“.

Ein sauberer Gedanke  der Philosophin Arianne Shahvisis wird hier über diese schmutzig bezahlten Dienste von Amelia Horgan nicht nur zitiert. Der Gedanke ist glasklar: Die, die das Putzen auslagern und damit Zeit sparen, verdienen in der Regel mehr als sie pro Stunde der Reinigungskraft in ihrem privaten Haushalt zahlen. Die Tatsache, dass Arbeitskräfte billig zur Verfügung stehen, verzögert auch technologische Entwicklungen: So lange das ein Mensch billiger macht …!

Das letzte Buchkapitel ist mit „An die Arbeit gehen“ überschrieben, es liefert klare Gedanken, Anregungen und Forderungen wie die Anhebung von Mindestandards am Arbeitsplatz,. Dass hier mit „freie Zeit“ nicht „freie Konsumzeit“ gemeint ist, versteht sich von selbst.

Was Sie verpassen, wenn Sie diese Analyse nicht lesen:

Scharfsinn, Intellekt, Enttarnen von Mythen rund um Fleiß und Arbeitsplatz, Statistiken, Einsichten in das eigene Arbeitsverhalten und –verhältnis, Auseinandersetzung mit Care-Arbeit, das Öffnen der Augen

Amelia Horgan
Lost in Work. Dem Kapitalismus entkommen.
Wien – Hamburg: Edition Konturen.
192 Seiten.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

Mehr Lesestoff von Christina Repolust erscheint regelmässig in der „Welt der Frauen”, Rubrik Staunen & Genießen. Hier können Sie ein kostenloses Testabo bestellen.

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  • Veröffentlicht: 06.04.2022
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