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04-05/24

Alles auf eine Karte setzen und Leidenschaft erleben

Alles auf eine Karte setzen und Leidenschaft erleben

Yotchan ist zwanzig, lebenslustig und an ihren Mitmenschen interessiert. Sie beobachtet die Menschen in der winzigen Bar, in der sie arbeitet, dabei wie sie essen, trinken und miteinander reden oder einander anschweigen. In der Nacht aber kommen die Träume: Ihr Vater, Leader einer Rockband, Förderer junger Musiker, taucht hierbei auf, ein Suchender, einer, der noch gerettet werden könnte. Der Vater hat Selbstmord begangen, neben ihm eine fremde Frau, auch sie ist freiwillig in den Tod gegangen. Eine Unbekannte, die ihr Vater außerhalb des geordneten Kosmos aus Vater-Mutter-Kind-Idylle kennenlernte. Auch lieben lernte?

Yotchan erinnert sich an die letzte Begegnung mit dem Vater, wie immer ein Geblödel, ihre Einladung, wieder einmal für ihn zu kochen, er hat noch versprochen zu kommen. Geht man so aus der Haustür, wenn man sich umbringen will? Diese Frage beschäftigt die junge Frau, die im Szeneviertel Tokyos Shimokitazawa eine günstige Bleibe gefunden hat, von der sie sogar in ihre geliebte Bar schauen kann.

Wer hungrig ist, wird bei der Lektüre noch hungriger, denn Yotchan kocht gern, liebt auch europäische Spezialitäten, genießt das Essen und schaut besonders gern einem jungen Mann zu, wie er in der Bar, die eher ein Bistro ist, verschiedene Delikatessen ausprobiert. Doch dann steht ihre Mutter vor der Tür. Zwei Frauen, die in der Nacht vom Vater bzw. Mann träumen, die traurig sind und auch schnell wütend werden, aufeinander und auf das Schicksal, das sie aneinander zu binden scheint.

Die Mutter, eine Schönheit, hat sich immer konservativ gekleidet, Design-Klassiker standen bei ihr hoch im Kurs, die Birkin-Bag hat sie jetzt in der Hand, als sie vor ihrer Tochter steht. Ja, sie will in der alten Wohnung nicht mehr bleiben. Ja, sie will hier einziehen. Ja, wie lang, das weiß sie nicht. Und es geht gut mit den beiden, die wenig essen, dafür umso ausgewählter in den Szenelokalen der Umgebung auftauchen, um Neues zu schmecken, zu riechen und einfach auch zu entdecken.

Auch war es das erste Mal, dass ich meine Mutter in Jeans sah, die sie bis zur Taille hochzog, um ihren Bauch zu verdecken. Darüber trug sie immer dieselben T-Shirts oder Sweatshirts. In der Wohnung hatte sie einen dicken Herren-Jogginganzug an, den sie bei dem Markenladen in der Einkaufsstraße erstanden hatte.

Die Mutter steigt aus ihrer eleganten Hülle und freundet sich mit den Inhabern der kleinen Geschäfte, einem Schriftsteller, einem Trödler und auch einem Bistrobetreiber an. Ihre Tochter lässt sie in Ruhe, kommentiert nicht, fragt nicht nach und beobachtet dennoch genau. Die Tochter tut es ihr gleich, das Frühstück ist immer mit Liebe zubereitet, ohne dass daran Erwartungen geknüpft werden. Zwei Frauen in ihrer Trauer leben auf, entdecken sich erneut und werden Seite an Seite erwachsen.

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Genuss, Lebensfreude, sich Treibenlassen durch ein Szeneviertel Tokyos, penible Beschreibung von Mahlzeiten, Sinnlichkeit, Trauer

Die Autorin Banana Yoshimoto, 1964 geboren, hat ihr erstes Buch „Kitchen“ geschrieben, als sie in einem Cafe arbeitete, ihre Vorliebe für die Blüten der red banana flower ermuntert sie dazu, fortan unter dem Vornamen Banana zu publizieren.

 

 

Banana Yoshimoto:

Moshi Moshi.

Roman.

Aus dem Japanischen von Matthias Pfeifer.

Zürich: Diogenes Verlag 2015.

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  • Veröffentlicht: 03.06.2015
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