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04-05/24

Ach, Sie sprechen Deutsch? Bei Ihrer Hautfarbe?

Ach, Sie sprechen Deutsch? Bei Ihrer Hautfarbe?

Der Autor findet es einfach nicht zum Lachen, wenn man ihm Negerküsse als Nachspeise anbietet, political correctness ins Lächerliche zieht und ihm zu seinen guten Deutschkenntnissen gratuliert. 1988 in Frankfurt am Main als Kind marokkanischer Migranten geboren, erlebt er damals wie heute, wie die, die immer „Integration“ auf ihre Fähnchen malen, anders Sprechenden, anders Seienden, mit Respektlosigkeit bzw. Desinteresse bzw. Ablehnung begegnen. 1973:  Die Eltern des Autors rackern als Gastarbeiter in Deutschland. Seine Mutter, so Mohamed Amjahid habe als Putzfrau in Deutschland gearbeitet, alles für die Bildung ihrer Kinder gegeben; der Vater ebenso: Sie haben schließlich erkannt, dass es für sie nie eine gute Wohnung – ohne Schimmel zum Beispiel, zu einem gerechten Preis – , nie soziale Anerkennung und nie Sicherheit vor Gewalt in Deutschland geben wird. Hier räumt einer die Spielweise von Multi-Kulti auf: Der Begriff der „Biodeutschen“ wird hier den Menschen mit Migrationshintergrund der ersten, zweiten, dritten Generation gegenübergestellt. Man erfährt – nicht neu, immer wieder zum Schämen – , dass allein der Name eines Wohnungssuchenden „Mohamed Amjahid“ MaklerInnen dazu bringt, den potenziellen Mieter als „arbeitslos“ zu klassifizieren. Begriffe wie „othering“, also Andersmachen, sind hier präzise analysiert und in Fallbeispielen erklärt. Ja, der Autor hat einen großen Erklärungswillen, keinen Rechtfertigungswillen, sondern einen deutlichen Willen, die Dinge und Haltungen der Biodeutschen beim Namen zu nennen. Da gibt es auch noch eine Bekannte, Muttersprache Englisch, die hat die Lust am Deutschlernen und am Besuch des Deutschkurses nach kurzer Zeit verloren und jobbt jetzt. Ist doch kein Problem, sagen die Biodeutschen.

Wenn Amjahid seine Verwandten besucht, im Haus der Verwandten sitzt, erfährt er auch hier, dass die weiße Hautfarbe ebenfalls hoch im Kurs steht. Sogar seine Mutter wünscht sich Enkel mit weißer Hautfarbe, Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft in Deutschland also. Verständlich, wenn man die Geschichte der Migration dieser toughen Frau liest: Die tat alles, was die Biodeutschen so mögen. Sie war fleißig, reinlich, hat ihre Kinder gefördert, nur für die Musikschule, da fehlte halt das Geld.

Der weiße Mann sagt, wo es langgeht: 95 Prozent der Chefredakteure deutscher Zeitungen sind weiß, ja, sie sind auch männlich – lässt sich gut in Österreich überprüfen. Und wenn dann ein Politiker Roberto Blanco als „nettesten Neger, den der kenne“ bezeichnet, ist das – so die Meinung der Mitte sowie der Medien – nicht schlimm: Blanco selbst tat den Vorfall als lapidar ab, nein, Neger könne man ihn doch nennen. Ein bisschen Spaß darf also beim Thema Hautfarbe weiterhin sein, sagen die, die weiß sind und die, die immer so viel Spaß machen müssen.

„Anderssein funktioniert über Selbstbestimmung. Andersmachung über Fremdbestimmung. Wer spricht über wen? Bezeichnet sich ein Einzelner oder eine Gruppe selbst mit einem bestimmten Attribut, oder wird ihm bzw. ihr von außen ein Charakterzug, eine Fähigkeit oder Eigenschaft zugewiesen? Marokkaner sagen über sich, dass sie schnell laufen können, was sie regelmäßig bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften beweisen. Das ist eine Selbstdefinition, und die Wirkung ist eine andere, als wenn ein deutscher Polizist sagt: „Ihr Marokkaner könnt klauen wie der Blitz." (S. 30)“

Sein klarer, kritischer Blick auf Attentate wie z. B. der Amoklauf von Ali David S., der Anschlag auf die Redaktion des Satire-Magazins „Charlie Hebdo“ in Paris und viele andere mehr, zeigt, wie othering geschieht, wie Berichte sich ändern, ist der Täter ein Nichtweißer. Ausführlich hat sich Amjahid mit den Vorfällen der Kölner Silvesternacht beschäftigt und darüber in ZEITonline geschrieben.

Warum diskreditieren Geflüchtete Roma bzw. Sinti? Warum hetzen viele Muslime gegen Homosexuelle? Nie alle natürlich, aber sehr viele doch: Eine Minderheit diskreditiert eine andere, die weißen Männer ganz oben schauen lächelnd zu. Ihre Saat ist aufgegangen! Ihr Status damit für immer gesichert!

 

Der Autor, 1988 in Frankfurt am Main geboren, ist politischer Reporter/Redakteur beim ZEITmagazin, ist nominiert für den CNN Journalist Award und wurde mit dem Alexander-Rhomberberg-Preis für Nachwuchsjournalismus ausgezeichnet.

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Klarheit, Schärfe, Erkenntnis, Diskurse, Belege, die überzeugen, Belege für Alltagssexismus und Alltagsrassismus, Erkenntnisse über die Macht der Weißen und des Fortbestandes kolonialistischen Denkens und Handelns.

Mohamed Amjahid:

Unter Weißen.

Was es heißt, privilegiert zu sein.

Berlin: Hanser Verlag 2017.

187 Seiten

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

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  • Veröffentlicht: 23.08.2017
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