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04-05/24

Zeit für uns

Zeit für uns

Das Gespräch mit einer guten Freundin tut einfach gut. Leider ist es in stressigen Zeiten nicht immer einfach, in Kontakt zu bleiben.

Seit Wochen versuche ich, mit einer guten Freundin zu telefonieren. Wir verabreden uns für eine bestimmte Uhrzeit, dann kann eine von uns nicht, meistens bin ich es. Wir verpassen uns dauernd. Ich erinnere mich an früher, als wir Jugendliche waren, um die 18 Jahre alt, da sahen wir uns täglich. Erst vormittags in der Schule. Und nachmittags bretterten wir mit dem VW Bulli ihrer Mutter über die oberbayerischen Landstraßen. Links und rechts Wälder und Felder, vor uns lag eine Zukunft, vor der wir uns ein bisschen fürchteten und die wir uns gleichzeitig in den buntesten Farben ausmalten. Obwohl wir den Tag gemeinsam verbracht hatten, telefonierten wir abends manchmal stundenlang. Es gab immer so viel zu besprechen. Wir lachten oft, und wenn eine von uns weinte, war die andere da, um sie zu trösten.

Aber jetzt? Wir haben beide Jobs und Kinder, die wir lieben, zwischen uns liegen mittlerweile Hunderte von Kilometern. Im hektischen, manchmal überladenen Alltag bleibt für Freundinnen oft wenig Zeit. Dabei merke ich immer wieder, wie unglaublich gut es tut, miteinander zu reden, bei einem Spaziergang oder nur kurz am Handy, während meine Kinder alle gleichzeitig etwas von mir wollen.

Du hast mir gefehlt

Neulich saß ich mit einer anderen Freundin, die ich lange nicht gesehen hatte, stundenlang in einem plüschigen Kaffeehaus. Unser Gespräch floss nur so dahin, und ich merkte beim Zuhören, wie sehr sie mir gefehlt hatte und wie gut sie mich kannte. Als ich nach Hause ging, fühlte ich mich so leicht wie seit Langem nicht mehr. Und meine kleinen und großen Wehwehchen wirkten auf einmal harmloser und auf eine angenehme Weise geordnet. „Viele Frauen brauchen das freundschaftliche Gespräch, um sich über sich, ihre Wünsche und Gefühle klar zu werden. Sie entwickeln ihre Gedanken beim Sprechen“, schreibt Gertraud Matthies in dem 2021 erschienenen Buch „Frauenfreundschaften – Wege zum weiblichen Glück“. Ich vermute – nebenbei bemerkt –, dass für Männer das Gleiche gilt, je nachdem, wie sie aufgewachsen sind und was ihnen vorgelebt wurde. Die Psychotherapeutin schildert, wie die Beziehungen in der Kindheit unsere späteren Freundschaften prägen. Welches Verhältnis wir zu unserer Mutter, Großmutter oder anderen Bezugspersonen hatten, beeinflusst, welche Freundinnen wir uns suchen und welches Verhältnis wir zueinander haben. Oft wiederholen wir schmerzhafte Muster oder suchen nach Freundinnen, die den weiblichen Vorbildern unserer Kindheit ähneln. Beim Lesen dieses Buches wurde mir wieder bewusst, wie wichtig echte gute Freundschaften im Leben sind.

„Es gibt Milliarden Menschen auf der Welt, aber nur eine Handvoll davon lebt dein Leben mit dir.“

Lange nichts gehört

Wie heilsam Freundschaften gerade in Krisenzeiten sein können, hat meine Freundin V. vor Kurzem erlebt. Als ihr Mann sie relativ plötzlich verließ, waren es vor allem ihre Freundinnen und Freunde, die Halt gaben. Sie konnte sich ausheulen, über ihren Ex- Mann lästern und Kraft für den Neuanfang schöpfen. Nicht immer läuft es glatt zwischen Freundinnen. Ein großes Thema in Freundschaften ist zum Beispiel die Frage, wie ausgewogen die Beziehung ist und wie viel beide Seiten einbringen. Das schildert auch Gertraud Matthies in ihrem Buch. In ihren Therapiestunden beklagen sich viele Frauen, dass sich eine Freundin gar nicht oder zu selten bei ihnen meldet. Die Lösung, die Matthies vorschlägt: Wenn die Freundschaft wichtig ist und die Freundin viel bedeutet, sollte man versuchen, sich nicht darüber zu ärgern und sich einfach selbst immer dann melden, wenn man sich danach fühlt. Aber was tun, wenn man sich von einer ehemals guten Freundin regelrecht missachtet fühlt? Die Therapeutin: „Unbedingt das Gespräch suchen. Dabei sollte man deutlich sagen, was man sich wünscht, im Gegenzug aber auch viel Verständnis für die andere mitbringen.“

Stadtfrau & Landfrau

Oft ist aber Streit gar nicht die Ursache dafür, dass sich Freundinnen voneinander entfernen. Die Lebenswege entwickeln sich einfach in unterschiedliche Richtungen. Das ist meiner Freundin D. mit ihrer besten Freundin R. passiert. Die beiden hatten sich fast aus den Augen verloren. In ihrer Schulzeit waren sie stets zusammen, sie musizierten gemeinsam in einem Orchester und waren ein eingeschworenes Team. Weil sie sich in ihren jeweiligen Klassen nicht besonders wohlfühlten, verbrachten sie die meiste Zeit gemeinsam. „Wir haben uns gegenseitig durch die Schulzeit gebracht“, sagt D. heute. Aber nach dem Abschluss verschlug es sie in unterschiedliche Ecken des Landes. Als R. Anfang 20 zum ersten Mal Mutter wurde, schien sie eine Zeit lang in einer ganz anderen Welt zu leben. „Erst als ich zehn Jahre später Mutter wurde, konnte ich besser verstehen, was sie damals beschäftigt hat“, sagt D. Von außen betrachtet haben die beiden auch heute nicht sehr viel gemeinsam. D. wohnt in Wien, hat zwei Kinder und arbeitet Vollzeit in einer Kanzlei. R. lebt in einem eher abgelegenen Gebiet in Kärnten, hat einen sozialen Beruf, einen Biobauernhof und vier Kinder. „Dass sie am Land lebt und ich in der Stadt, führt aber nicht dazu, dass wir uns weniger mitzuteilen haben“, sagt D. „Im Gegenteil. Das gibt uns viel Gesprächsstoff und erweitert den eigenen Horizont.“

Zeuginnen des Lebens

Es ist ein ganz zentraler Punkt: Freundinnen verbinden uns mit jenen Teilen unseres Selbst, die wir selbst manchmal schon vergessen haben. Ich finde, es ist ein wunderschönes Gefühl, wenn man beim Gespräch merkt, wie gut man einander kennt. Es gibt Milliarden Menschen auf der Welt, aber nur eine Handvoll davon lebt dein Leben mit dir, lacht mit dir, trauert mit dir. Die Freundinnen sind Zeuginnen, dass es dich gibt, Zeuginnen deines Lebens. Letzten Endes habe ich meine Freundin endlich erreicht. Mit den Handykopfhörern im Ohr quatschten wir, während ich meinen Schreibtisch aufräumte, eines meiner Kinder umzog und Essen kochte. Über eine Stunde lang. Und am Ende sagten wir über dieses Telefonat wie aus einem Mund: „Das war wie früher!“

Buch zum Thema:

Gertraud Matthieu
Frauenfreundschaften.
Vier-Türme-Verlag

Dieser Beitrag ist in der „Welt der Frauen“ Jänner/Februar 2022-Ausgabe erschienen. Erhältlich als Einzelheft in unserem Shop, zum Testabo geht es hier.

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  • Veröffentlicht: 29.08.2022
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