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„Wir müssen uns klar werden, wer wir sind und was wir können“

„Wir müssen uns klar werden, wer wir sind und was wir können“

Eva Geber (80) ist Autorin und Kulturpublizistin. 35 Jahre lang war sie Redakteurin der ehemaligen Zeitschrift der Wiener Frauenbewegung AUF. Für ihre Werke wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Sie haben Ihr Leben stets frauenpolitischen Themen gewidmet. Woher kommt Ihre Motivation?

Ich habe mich schon früh mit der Unterdrückung der Frauen befasst, besonders mit Gewalt. Das hat mit einer Kindergeschichte aus dem Buch „Struwwelpeter“ begonnen, als ich noch gar nicht lesen konnte: Der bitterböse Friederich „peitschte sein Gretchen gar“ und kommt mit einem läppischen Hundebiss und „bitt’rer Arzenei“ davon. Ich kochte vor Wut, als ich das sah. Diese Empörung über misshandelte Frauen hat sich in mir eingegraben. Es war auch frustrierend, dass es in den Büchern so wenig Heldinnen und Vorbilder gab. Gelesen habe ich früh und viel – fast ausschließlich Bubenliteratur meines fünf Jahre älteren Bruders. Da gab es kaum weibliche Mitspielerinnen, was es aber gab, war Unrecht, Ausbeutung, Rassismus, Antisemitismus.

„Ich berge diesen Wissensschatz wie eine Detektivin, um ihn weiterzugeben.“

In Ihrem Buch „Der Typus der kämpfenden Frau“ porträtieren Sie Frauen, die zwischen 1900 und 1933 in der Arbeiter-Zeitung über Frauen schrieben, die politischen Kampfgeist zeigten. Wie lässt sich der Charakter einer kämpfenden Frau beschreiben? Und sehen Sie diese Eigenschaften auch in den jungen Frauen von heute?

Frauen, die politischen Kampfgeist zeigten, taten das meist aus persönlicher Erfahrung und Betroffenheit. Sie bekämpften Unrecht, miserable Bezahlung, ungesunde Arbeitsverhältnisse, Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen. Außerdem versuchten sie, die Bildung, die ihnen verweigert wurde, nachzuholen. Dieses Wissen vermittelten sie anderen ungebildeten Frauen. Das treibt auch mich an: Wissen über Frauen wurde uns jahrhundertelang vorenthalten. Ich berge diesen Wissensschatz wie eine Detektivin, um ihn weiterzugeben. Es gibt immer mehr auch junge Frauen, die sich mit dieser Archäologie beschäftigen. Und das ist ein Kampf: uns klar zu werden, wer wir sind, was wir geleistet haben und was wir können.

Hat sich der Feminismus verändert? Und wie kann es der neuen Generation gelingen, bestehende geschlechtliche Ungleichheiten zu beseitigen?

Freilich ist der Feminismus, wie wir ihn in der Frauenbewegung der 1970er-Jahre begonnen haben, heute anders. Viele Gesetze haben sich verändert, aber die Realität hinkt nach. Das betrifft vor allem die Einkommenskluft: Frauen sind noch immer vorwiegend für Kinder und Haushalt zuständig, und ihre Arbeit gilt als weniger wert. Was wertlos ist, wird unterdrückt, erlebt Gewalt bis zum Mord. Ich sehe zunehmend Frauen, die sich wehren, aber auch Männer, die sich gegen diese perverse und Stärke demonstrierende „Männlichkeit“ einsetzen. Nur die Politik braucht sehr lange, bis sie das versteht.

Dieses Interview ist in der „Welt der Frauen“ Jänner/Februar-Ausgabe erschienen. Erhältlich als Einzelheft in unserem Shop, zum Testabo geht es hier.

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  • Veröffentlicht: 21.11.2022
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