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07-08/24

So verändern junge Frauen die Welt

So verändern junge Frauen die Welt
Rund um den Globus gibt es junge Frauen, die sich dafür engagieren, dass Frauen künftig mehr mitzureden haben in der Welt. Bei einer Tagung in Brüssel im vergangenen Jahr trafen sich einige dieser Visionärinnen. Sie sind die Hoffnungsträgerinnen einer neuen Generation.

Vandinika Shukla (23) aus Indien weiß um die Probleme dieser Welt, und sie will Teil ihrer Lösung sein. Visionen, sagt sie, lüden nämlich jede und jeden ein, sich zu fragen: „Wie will ich leben? Was ist mir wichtig?“ Außerdem setzten sie Kräfte frei, brächten uns auf den Weg und dazu, das scheinbar Unmögliche zu wagen. Im Vergleich zu jenen 85 Prozent der indischen Mädchen, die nicht eingeschult werden, „weil Frauen sozial untergeordnet sind“, hatte Skukla Glück. Nach dem Besuch des „Lady Shri Ram College“ in Neu-Delhi finanzierten ihr ihre Eltern ein Masterstudium an der „London School of Economics and Political Science“ in England. Seither ist sie Beraterin bei „UN Women“ in Neu-Delhi und Botschafterin des global tätigen „G(irls)20“-Netzwerks.
Junge Frauen wie Vandinika Shukla gelten als Zukunftsmotor. Schon jetzt ist mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung jünger als 30 – eine Gruppe, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln soll. Wären die rund 865 Millionen Frauen stärker in Arbeitsprozesse integriert, davon allein 812 Millionen in Schwellen- und Entwicklungsländern, wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) der Vereinten Nationen vorrechnet, ließe sich ein unglaublicher Aufschwung erzielen. Das Bruttoinlandsprodukt könnte massiv gesteigert werden – „in den USA um fünf Prozent, in Ägypten gar um 34 Prozent“, so die Hypothese des Internationalen Währungsfonds. Bisher sei aber nur die Hälfte aller Frauen im Erwerbsalter berufstätig. In Nordafrika und im Nahen Osten sei es bloß ein Fünftel.

DIGITAL NATIVES
„Deshalb kultivieren wir eine neue Generation weiblicher Führungskräfte. Frauen sind nicht an der Tagesordnung, sie sind die Agenda! Im Technologiebereich haben sie große Chancen“, sagt Vandinika Shukla und erzählt von ihrer Heimat und den „356 Millionen Zehn- bis 24-Jährigen“, die die „größte Jugendbevölkerung der Welt“ ausmachten. Zwei Drittel seien unter 35. „Meine Generation ist die erste der Digital Natives. Wir wuchsen mit maximaler Vernetzung auf. Daher die unvergleichliche Energie für Innovationen.“ Hielte man Mädchen nicht von Bildung fern und verrichteten mehr als 25 Prozent der indischen Frauen Lohnarbeit statt nur informelle und unbezahlte Tätigkeiten, stiege die Wirtschaftsleistung in Indien um 27 Prozent. Dann wäre das Land 2050 die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt, so die Aktivistin.
Ihre Visionen decken sich übrigens mit jenen der Vereinten Nationen (UNO). Auch diese Organisation will in den nächsten 15 Jahren das Leben für alle zum Besseren wandeln – durch „nachhaltige partnerschaftliche Kooperationen“, durch die „Einbindung der Zivilgesellschaft und privater Unternehmen“ sowie die gezielte Förderung der „Erwerbsbeteiligung von Frauen und Jugendlichen“. Niemand soll mehr hungern müssen. Alle sollen gleichen Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und Vollbeschäftigung haben, steht in der „Agenda 2030“ der UNO. „Und jedem Mädchen, jeder Frau soll Selbstbestimmung ermöglicht werden“, ergänzt Shukla.

STILLE REFORMERINNEN
In Pakistan ist Ayesha Durrani (25) aus Islamabad im Slum „Dhok Hassu“ bei Jhelum in der Provinz Punjab unterwegs. Seit den 1980ern sei die Region Großteils von afghanischen Flüchtlingen besiedelt, den PaschtunInnen. Die meisten von ihnen seien nicht sehr offen für neue Ideen, sagt die muslimische Managementwissenschaftlerin. Daher sei ihre Mission hier umso wichtiger. Durch Aufklärung und den Verkauf von Kondomen und Antibabypillen steuere sie der „Bevölkerungsexplosion und hohen Mütter- und Kindersterblichkeit“ entgegen. Dafür hat sie sogar ein Geschäftsmodell kreiert.
Durrani trägt keinen Hidschab. Glauben könne sie auch ohne Schleier, sagt sie und instruiert ihre zehn Mitarbeiterinnen in ihrer Muttersprache Urdu. „Aapis“, also „Schwester“, nennt sie jede. Gleich werden sie von Haus zu Haus gehen und Vertrauen zu den Menschen aufbauen. Kontrazeptiva seien in ihrem Land zwar nicht verboten, erklärt die Aktivistin, doch nur wenige wendeten sie an: „Neun Prozent der Frauen verzichten aus religiösen Gründen darauf. Viele fürchten Nebenwirkungen. Doch der Hauptgrund ist das Patriarchat. Auch in diesem intimen Bereich gibt der Mann den Ton an.“
Deshalb holt die frisch vermählte Geschäftsfrau Männer bewusst mit an Bord. „Sie müssen auf der gleichen Seite kämpfen, den Vorteil für sich erkennen, damit der Wandel greift. Dieser Prozess passiert langsam und leise, aber schon jetzt sind sie froh, dass sie nicht ständig Vater werden“, sagt Durrani. Ihre Generation sei eben viel progressiver: „Wir fordern Männer heraus!“

Lesen Sie weiter in „Welt der Frau“ 01/17.

Ich kämpfe für Gleichstellung

Vandinika Shukla (23) aus Indien ist politische Mentorin und schult junge weibliche Führungskräfte.
Vandinika Shukla

© Kurt Hörbst

Meine Vision: Mehr Frauen in Führungspositionen!

Das Problem in meiner Heimat: Die tief verwurzelte Geschlechterdiskriminierung. Nur 53 Prozent der Mädchen und Frauen sind alphabetisiert, nur 12 Prozent sind im Parlament vertreten.

Mein Hintergrund: Mein Vater ist Arzt, meine Mutter Psychologin. Sie lehren mich Mitgefühl und Respekt und bestärken mich darin, meinem Herzen zu folgen.

Mein Einsatz: Bei „UN Women“ arbeite ich mit verschiedenen Regierungen an der raschen Umsetzung nachhaltiger Gleichstellungsmaßnahmen. Als Botschafterin des weltweit tätigen kanadischen Netzwerks „G(irls)20Summit“ halte ich Vorträge darüber, wie weibliche Erwerbsbeteiligung Wachstum generiert, Länder stabilisiert und zu sozialen Innovationen führt.

Meine Werte: Ich bin Hindi und interessiere mich für Buddhismus, den Dalai-Lama und Achtsamkeit. An Gott zu glauben heißt für mich, an eine universelle Kraft zu glauben, die größer ist als ich selbst. Krisen und Katastrophen erinnern an unsere spirituelle Aufgabe: Einheit zu schaffen, nicht Teilung.

Mein Erfolg: Mein Projekt „Enable“ ermöglichte benachteiligten Kindern
die Teilnahme am Unterricht an über 15 höheren Schulen. Mit meiner Social-Media-Kampagne „The Indian Voter“ erreichte ich vor den Parlamentswahlen 2014 jede Woche 400.000 ZuseherInnen mit der Botschaft, dass Frauen politisch aktiv werden sollen.

Ich mobilisiere die Jugend

Rose Sakala (23) aus Malawi ist Jugendleiterin, Start-up-Trainerin und Landwirtschaftsstudentin.
© Phyllis Manguluti

© Phyllis Manguluti

Meine Vision: Alle Kinder sollen eine höhere Ausbildung erhalten!

Das Problem in meiner Heimat: Viele Familien schicken ihre Kinder nur zur Grundschule. In den Klassen sitzen bis zu 80 Kinder, es mangelt an LehrerInnen. Die Mittelschule schließen nur 30 Prozent ab. Viele Schulabbrecherinnen landen in ungewollten Ehen, in der Prostitution und Armut und werden schon als Teenager schwanger.

Mein Hintergrund: Meine biologische Mutter gebar mich nur. Ich wuchs bei einer Großfamilie auf. Mit 16 wurde ich obdachlos und arbeitete auf der Straße, um meine Geschwister durchzubringen. Vor sieben Jahren adoptierten mich meine jetzigen Eltern. Sie glauben an mich, und das tut auch der Priester unserer Gemeinde.

Mein Einsatz: Als CEO der LUSELI-Initiative biete ich jungen Menschen Unternehmer-Programme. Außerdem trainiere ich Frauen und Jungmütter im Dzaleka-Flüchtlingslager darin, ihr eigenes Geld zu verdienen, um ihren Kindern eine Ausbildung zu ermöglichen.

Meine Werte: Ich bin Christin. Ein Leben ohne Beziehung zu Jesus wäre für mich sinn- und wertlos.

Meine Erfolge: 2015 erhielt ich den „African Future Leaders“-Award für meine beispielhafte Führung in der Gemeinde. 2016 folgte der „Woman of Destinction“-Award, der große Fortschritte malawischer Frauen ehrt. Am „Tag der Jugend“ trat ich als Mentorin vor 10.000 Jugendlichen auf.

Ich forsche an Viren

Elsa Gayle Zekeng (24) aus Kamerun ist Molekularbiologin und in der Ebola-Behandlung aktiv.
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© Abdulrasheed Yusuf

Meine Vision: Ein Afrika, das autonom und ohne Kredite auf Epidemien reagieren kann!

Das Problem in meiner Heimat: Die prekäre Gesundheitsversorgung. Malaria und Hepatitis A sind nicht selten. Es fehlen Spitäler. Behandlungen und Medikamente muss jeder selbst bezahlen. Im Minawo-Camp, wo über eine halbe Million Binnenvertriebene und vor Boko Haram Geflohene leben, ist diese Not noch größer.

Mein Hintergrund: Meine Mutter ist Apothekerin, mein Vater in Zentralafrika stellvertretender UNAIDS-Direktor, eines Projekts der Vereinten Nationen im Kampf gegen HIV. Beide lehrten mich harte Arbeit und Demut.

Mein Einsatz: Ich promoviere gerade in Liverpool über „Influenza-Pathogenese“. 2015 meldete ich mich während des größten Ebola-Virusausbruchs zu einem Freiwilligeneinsatz im Behandlungszentrum in Coyah. Meine verstörenden Eindrücke dort prägen meinen Wunsch nach transnationaler Wissenschaft.

Meine Werte: Ich glaube an Wunder und an die Worte von Afrikas Gesundheitsreformer Thomas Sankara: „Wir müssen wütend genug sein, um es zu wagen, eine andere Zukunft für Afrika zu erfinden.“

Meine Erfolge: Jedes Leben, das ich bei meinem Ebola-Einsatz retten konnte, sowie Win-win-Verbindungen, die ich als Ko-Vorsitzende der englischen „Northwest Biotech“-Initiative zwischen unternehmerfreudigen JungforscherInnen und etablierten ExpertInnen schaffe.

Weitere Porträts finden Sie in „Welt der Frau“ 01/17

 

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Karim El-Gawhary: Frauenpower auf Arabisch. / K&S Verlag / 22,00 Euro

 

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Arabelle Bernecker/Susanne Glass: Schwestern der  Revolution. / Herbig Verlag / 9,99 Euro

 

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Margit Maximilian: Woza Sisi. Die mutigen Frauen Afrikas. / K&S Verlag / 22,00 Euro

 

 

Erschienen in „Welt der Frau“ 01/17 – von Petra Klikovits

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  • Veröffentlicht: 10.01.2017
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