Aktuelle
Ausgabe:
Zeit
07-08/24

„Sommer fühlt sich nach Freiheit an“

„Sommer fühlt sich nach Freiheit an“
Foto: privat

Psychotherapeutin und Führungskräfte-Coachin Barbara Polster geht dem Gefühl von Sommer auf den Grund und erklärt, wieso wir in der warmen Jahreszeit meist glücklicher sind als in der kalten.

Frau Polster, wie fühlt sich Sommer an?

Im Sommer wird die Fülle des Lebens spürbar. Diese Jahreszeit fühlt sich nach Freude, Sinnlichkeit, Ferien und Freiheit an. Menschen gehen mehr nach draußen und verbringen Zeit mit Freunden und Familie. Die eigenen Lebensgeister klingen voll an.

„Wärme und Licht kurbeln die Produktion von sogenannten Glückshormonen in unserem Gehirn an, wie Serotonin, Dopamin und Endorphine.“
Barbara Polster

Wieso sind wir im Sommer glücklicher und aktiver?

Viele fühlen sich in dieser Jahreszeit besser, weil die Sonne eine starke Wirkung auf uns Menschen hat. Wärme und Licht kurbeln die Produktion von sogenannten Glückshormonen in unserem Gehirn an, wie Serotonin, Dopamin und Endorphine. Sie beeinflussen auch unsere Sexualhormone, also auch die Lust auf Flirten und Erotik wird stärker, wenn es heller und wärmer ist. Zudem verknüpfen wir mit dem Sommer meist unbeschwerte und schöne Kindheitserinnerungen. Er fühlt sich nach Abenteuer an.

Umgekehrt gibt es aber auch Menschen, die im Sommer ein emotionales Tief erleben. Wieso ist das so?

Es gibt eine kleine Anzahl an Menschen, die im Sommer  depressiv verstimmt sind oder bei denen eine vorhandene Depression verstärkt und nicht verbessert wird, wie man glauben könnte. Dieses Phänomen ist allerdings noch nicht ganz erforscht. Wahrscheinlich spielen dabei mehrere Faktoren eine Rolle. Eine Ursache könnte die Hormonumstellung sein, die Einfluss auf den Schlafrhythmus hat. Für Menschen, die zu Depression neigen, sind ein regelmäßiger Rhythmus und aus reichend Schlaf wichtig. Wesentlicher ist aber vermutlich, dass es für manche Menschen mit depressiven Symptomen oder schweren psychischen Beeinträchtigungen schwer auszuhalten ist, dass es draußen schön, sonnig, hell und warm ist, während ihr Empfinden dunkel und kalt erscheint. Im Sommer bringen ihnen andere Menschen auch weniger Verständnis dafür entgegen, dass sie sich lieber ins Haus zurückziehen, anstatt rauszugehen.

Warum ist unser Wohlbefinden überhaupt von Jahreszeit und Wetter abhängig?

Das liegt daran, dass Sonnenlicht und Wärme sich stark auf uns und den Hormonhaushalt auswirken. Wir sind aber keine Maschinen: Mehr Licht bedeutet nicht automatisch mehr Wohlbefinden. Menschen sind individuell und reagieren unterschiedlich. Deshalb ermutige ich meine KlientInnen immer, sich selbst und ihr Empfinden zu erforschen. Wie wirkt sich etwas auf mich aus, was tut mir gut? Das kann bei jedem anders sein. Ist jemand im Sommer längerfristig sehr lustlos, gereizt oder traurig und kommt nicht aus dem Bett, sollte er oder sie vielleicht professionelle Unterstützung suchen. Umgekehrt können wir uns aber auch selbst stressen, weil wir jeden schönen Tag ausnutzen und alle möglichen Aktivitäten unterbringen wollen, bevor die warme Jahreszeit wieder vorbei ist. Wir sollten die intensiven physischen Erlebnisse des Sommers genießen, die schöne Natur, üppige Blütenpracht und Gerüche, jeder kennt das herrliche Gefühl eines warmen Sommerregens. Wir sollten uns aber auch Zeit geben, die Eindrücke zu verarbeiten.

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 11.06.2024
  • Drucken