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11/12/24

Schon 60? Nein, erst!

Schon 60? Nein, erst!
Foto: Shutterstock

Altern ist ein natürlicher Prozess, der uns alle verbindet. Lesen Sie nicht nur die Gedanken unserer Chefredakteurin Sabine Kronberger, sondern auch Rückmeldungen unserer LeserInnen.

Das Alter darf kommen, nur soll es uns niemand ansehen. „Ich werde nicht mehr wahrgenommen. Warte mal ab, bis du 60 bist“, sagt mir eine Leserin. „Neulich hat man mit mir viel zu laut und langsam gesprochen, weil man vermutete, ich höre schlecht“, verrät mir eine ältere Freundin (71). Älter zu werden, scheint kein Spaziergang zu sein. Es wird nicht nur gefordert, ewig jung zu sein und auszusehen, man wird im Beruf ab einem gewissen Alter auch nicht mehr wahrgenommen oder als „vermutlich bald in Pension“ abgeschrieben, so scheint es. Diese und andere Nichtbeachtungen von Frauen und Mitmenschen über 60 sind bei uns noch immer gesellschaftlich geduldet, während man etwa in den Vereinigten Staaten mit dem Begriff „Ageism“ (von „age“ = Alter) die Herabwürdigung aufgrund der Überschreitung einer bestimmten Altersgrenze konkret benannt hat.

Wer ständig mit „Anti-Aging“-Kosmetik, perfekt bearbeiteten Modelgesichtern und mittlerweile auch ganz alltäglich schönheitsoperierten Frauen sowie mit von Kamera-Filterprogrammen weichgezeichneter Haut konfrontiert ist, dem wird klar, dass bereits Kinder und besonders kleine Mädchen die Botschaft verinnerlichen: Falten sind etwas Unansehnliches, und man darf alles werden – bloß nicht alt!

Wie ist es sonst zu erklären, dass kaum ältere Frauen in Film, Fernsehen und Medien zu sehen sind? Wie könnte es sonst sein, dass nur junge Frauen als sexuell aktiv und potent dargestellt werden, während in Wirklichkeit eher reife Frauen – frei von der Angst ungewollter Schwangerschaften, mit größerem Selbstwert und Wissen um ihre Wünsche – eine wesentlich freiere Sexualität erleben? Wie in der Erotik ist es auch im Rest des Frauenlebens: Man folgt einem stupiden, nicht hinterfragten gesellschaftlichen Diktat, demzufolge Jugendlichkeit mehr wert ist als Lebenserfahrung. Indem wir uns der Alterslüge, der Schönheitschirurgie oder der Unsichtbarkeit hingeben, folgen wir dieser Unkultur. Die Bevölkerung wird immer älter, auch wir Frauen. Doch der Schluss wird falsch gezogen: Nicht wir Frauen haben uns einem Schönheitsideal der Jugendlichkeit zu unterwerfen, die Gesellschaft muss ein neues Bild der reifen Frau erkennen, zulassen und annehmen. Es braucht reife, weise, willensstarke, sichtbare Frauen, die uns Jüngeren vorleben, dass Altern nicht feindliches Gefilde, sondern Privileg ist.

Leserinnenstimme: „Über 60, na und?“

Das Thema Alter ist wahrscheinlich so alt wie die Menschheit. Und wird einmal mehr oder weniger diskutiert!

Die ewige Jugend haben schon viele gesucht, getestet und versprochen. Doch warum ist das so? Warum können wir uns mit dem sogenannten „Alter“ nicht anfreunden? Und wer schreibt uns vor, wie wir über 60 auszusehen haben? Sollten wir nicht eher froh sein, dass wir gesund und aktiv eine hohe Lebenserwartung haben? Dass uns die heutige Medizin große Vorteile bringt und uns bei vielen Beschwerden Erleichterung geben kann? Warum sind Falten eine derart negative Sache? Ist es nicht eher so, dass jede Falte ein Teil unseres Lebens sein sollte? Viele Lachfalten bedeuten ein fröhliches Leben. Natürlich gibt es auch Sorgenfalten, Schmerzfalten, Trauerfalten. Doch sie gehören zu unserem Leben dazu.

Wer ist diese Gesellschaft, die mit diesem Jugendwahn „on Tour“ ist. Ich kenne viele Frauen weit jenseits der 60, denen ich meinen vollsten Respekt zolle. Sie stehen zu ihrem Leben, zu ihren positiven und negativen Ereignissen. Und alle im Umfeld nehmen sie, so wie sie sind. Da täten Falten richtig fehlen. Denn man könnte dann nicht in den Gesichtern dieser Frauen ihre Geschichten lesen. Und Geschichten lesen ist für mich schon immer eine spannende Sache.

Ich bin auf meine Falten stolz und würde mich nie im Leben davon trennen. Was wäre ich ohne sie? Ein lebloses Gesicht, ohne der Möglichkeit, herzhaft zu lachen. Das alleine ist für mich schon eine grauenvolle Feststellung!

Gabriele Grausgruber, Gurten

Leserinnenstimme: „Wie ich mich heute fühle? Fantastisch“

Liebe Frau Kronberger,

ich möchte gerne zum Thema „Älter werden“ Stellung nehmen:

Der Juni ist mein Geburtsmonat, das heißt in wenigen Wochen werde ich 57 Jahre alt. Alt fühle ich mich deshalb überhaupt nicht, wobei ich mit 50 diese Aussage nicht machen hätte können. Ich war damals in einer Situation, in der ich mich nicht wertgeschätzt und akzeptiert fühlte. Meine Position in einem Dienstleistungsunternehmen als Assistentin der Geschäftsführung hätte das eigentlich machen sollen.

Fast 20 Jahre lang habe ich alles für meinen damaligen Chef gemacht, war immer einsatzbereit, habe unendliche Überstunden geleistet – stetige Erreichbarkeit auch während meinen Urlauben oder Krankenständen war ihm sicher. Treu ergeben, loyal und zu 100 Prozent hinter dem Unternehmen stehen, das war meine Devise.

Im Nachhinein betrachtet sehe ich das alles aber mit ganz anderen Augen. Damals war ich jemand, der sich komplett verbiegen hat lassen, um ins Firmenbild zu passen. Ich habe Meinungen und Ansichten vertreten, die überhaupt nicht zu meinem Naturell gepasst haben. Markenkleidung getragen, die ich eigentlich nicht wollte. Über politische Themen diskutiert und Aussagen getätigt, obwohl ich ein völlig anderes Bild hatte und eigentlich zu meinem Standpunkt stehen hätte sollen. Habe ich aber nicht, denn seinem Chef widerspricht man nicht, und vor allem: Man möchte dazugehören!

Naja bis zu dem Tag, an dem ich gemerkt habe, wie unwichtig und oberflächlich meine Tage ablaufen. Diese permanente Maskerade hat mich zu einer Frau gemacht, die ich eigentlich überhaupt nicht war. Wenn ich mich im Spiegel betrachtet habe, habe ich einen Menschen gesehen, der seelisch immer kränker wurde. Und an einem Tag, als ich merkte, dass ich überhaupt nicht wertgeschätzt wurde und ich den von mir erdachten Stellenwert gar nicht hatte, kam mein Leben total aus dem Rhythmus. Ich bin komplett unmotiviert, traurig und zweifelnd geworden. Ich habe mich alt, ungebraucht und nutzlos gefühlt. Aber vor allem habe ich festgestellt, dass meine Wertigkeit im Leben woanders zu finden sein musste.

Nach dieser Erkenntnis, habe ich allerdings noch weitere 18 Monate Tag für Tag meinen Dienst absolviert, aber mit einem derartigen Widerwillen, den ich so von mir auch nicht kannte. Dienst nach Vorschrift war von da an meine Devise – keinen Handgriff mehr tun als unbedingt erforderlich, keine Erreichbarkeit außerhalb meiner Dienstzeiten. Nachts konnte ich nicht mehr schlafen, ich habe permanent überlegt, wie ich da rauskomme. Mit fast 52 Jahren schien es unmöglich, denn welche Firma nimmt eine „alte“ Frau?

Ja und dann, dann habe ich das Unternehmen von einem Tag auf den anderen verlassen, ich konnte nicht mehr, ich war ein Schatten meiner selbst, ausgelaugt und am Ende. Ich habe mich krankschreiben lassen, und mein damaliger Hausarzt hatte mir versichert, ich hätte das schon längst tun sollen. Diagnose: schweres depressives Burnout. Nach zwei Tagen habe ich meine Kündigung erhalten, ohne dass irgendwer von der Firmenleitung noch einmal mit mir gesprochen hätte. Meine Stelle wurde von einer Kollegin besetzt, die 25 Jahre jünger war als ich, und von der ich wusste, dass Sie mich immer um meinen Job beneidet hatte.

Tja, so schnell wird man aussortiert. Fast eineinhalb Jahre außer Gefecht gesetzt, Tag für Tag auf der Couch liegend ohne jegliche Perspektive. Alt, ungebraucht und unverstanden. 

Wie ich mich heute fühle? Fantastisch, ich habe ein Leben, das nicht besser sein könnte. Ich habe einen tollen Job in einer Tierarztpraxis bekommen und bin jeden Tag sehr dankbar dafür.

Eine Hündin bereichert meinen Alltag, und durch sie habe ich erfahren, wie gut sich das „Gehen“ anfühlt: Gehen, egal welches Wetter, welche Hürden zu überwinden sind, raus und Sorgen, Kummer und schlechte Gedanken loslassen. Ich habe eine Ausbildung zur diplomierten Kräuterpädagogin abgeschlossen, mache heute Kräuterwanderungen und zeige, wie wertvoll Kräuter und Heilpflanzen sind. Meine durchgehend ausgebuchten Veranstaltungen zeigen mir die Wertschätzung meiner Person. Ich arbeite nun daran, irgendwann mal Vorträge halten zu können, denn ich bin überzeugt von dem, was ich tue und was ich sage. Meine heutige Meinung ist meine Meinung und nicht jene von irgendwelchen Menschen. Meinen Standpunkt zu zeigen, und mich nicht mehr zurücknehmen zu müssen, macht mich zu einem sehr glücklichen Menschen.

In ein paar Wochen werde ich 57 Jahre, ich freue mich darauf – denn heute weiß ich, dass man erst alt ist, wenn man keine Wünsche, Träume und Ziele mehr hat. Wenn Stillstand eintritt, wenn man in einem Hamsterrad gefangen ist, wenn man Dinge tut, von denen man nicht überzeugt ist. Meine Falten werden immer mehr, aber ich nenne sie heute Lebenslinien.

Ich kann nur jeder Frau von Herzen raten, sich zu lösen von dem, was DICH krank macht.

Von lieblosen Beziehungen, von einem Job, der nicht befriedigend ist, von Freunden, die dich hinunterziehen, von Plätzen, an denen du kein Glück empfindest.

LOSLASSEN und GEHEN, dann wird das Leben wesentlich entspannter, und eigentlich ist dieses Loslassen gar nicht so schwer, MAN MUSS NUR DIE FAUST ÖFFNEN!

Die Faust, die oft krampfhaft versucht, Altes festzuhalten, obwohl man überhaupt keinen Nutzen daraus ziehen kann.

Wenn man das schafft, dann wird man sich niemals alt fühlen, egal ob 50, 60, 70 oder älter.

Ich freue mich auf die kommenden Jahre, denn ich weiß, das Leben hat noch viele Überraschungen für mich im Gepäck!

Elisabeth Drabek

Leserinnenstimme: „Ich habe mir Wertschätzung und Sichtbarkeit in den vorangegangenen 62 Jahren erarbeitet“

Sehr geehrte Frau Kronberger,

Ihr Artikel „Schon 60? Nein, erst!“ hat mich zum Nachdenken gebracht und inspiriert, Ihnen zu schreiben.

Ich bin schon 62 und musste bisher noch nie die Erfahrung machen, aufgrund meines Alters herabgewürdigt, bedauert oder nicht mehr als schön genug angesehen zu werden.

Hatte ich einfach nur Glück? Nein, ich denke eher, ich habe mir Wertschätzung und Sichtbarkeit in den vorangegangenen 62 Jahren erarbeitet – am intensivsten wahrscheinlich in meiner Zeit als Lehrerin. Ich habe nämlich viele Jahre als einzige weibliche Lehrkraft an einer Berufsschule für das Bau- und Baunebengewerbe unterrichtet. Vor meinem Eintritt im Jahr 1997 (!) hatte sich die Personalvertretung ausdrücklich gegen mich ausgesprochen: Man(n) wollte keine Frau an der männerdominierten Schule. Unbeeindruckt von diversen frauenfeindlichen Übergriffen habe ich mir im Laufe der Jahre einen Ruf als durchsetzungskräftige, willensstarke und engagierte Lehrerin und Kollegin gemacht, überraschte Kollegen und Schüler immer wieder mit meiner Direktheit und hielt authentisch an meiner großen Emotionalität fest. Bis zu meiner Pensionierung vor zwei Jahren holten sich junge KollegInnen Rat von mir, besonders wenn es um den Umgang mit, ich nenne es vorsichtig, „um Aufmerksamkeit haschende“ Schüler ging. Auch wenn es galt, Änderungen voranzutreiben und Vorhaben gegenüber Vorgesetzten durchzusetzen, vertrauten KollegInnen gerne auf den Mut und die Stärke einer älteren Dame mit Falten. Klingt stark nach Eigenlob und hätte ich mit 32 in dieser Form sicher nicht geschrieben, aber mit 62 ist mir das kein Problem mehr – ich habe gelernt!

Als ich mich vor zehn Jahren neben meinem Lehrerinnendasein als Hochzeitsplanerin und Traurednerin selbstständig gemacht habe, fragte mich eine Bekannte, warum ich mir das in meinem Alter noch antun würde. Ich traute mich mit 52 in die Selbstständigkeit, weil ich gerne das Leben erforsche, voller Schaffenskraft bin und Stillstand so lange wie möglich vermeiden möchte. Ich fühle mich gefordert, die Arbeit mit Rosarot hält mich geistig jung, bringt mich mit Menschen zusammen und immer wieder auf neue Ideen. So habe ich heuer im Februar mein Hochzeitsbuch „Wir feiern die Liebe“ veröffentlicht, an dem ich mehr als zwei Jahre gemeinsam mit einem jungen, starken Frauenteam gearbeitet habe.

Übrigens habe ich seit Erscheinen Ihres Artikels bewusst die Instagram-Landschaft nach Frauen 60 plus durchforstet und kaum Beiträge gefunden. Schade, dass sich ältere Frauen in ihrer wahren Schönheit und mit all ihrer Lebensklugheit nicht sichtbarer machen, sie könnten damit wichtige Vorbilder und Mutmacherinnen für die jungen sein.

Christine Pechatschek

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  • Veröffentlicht: 17.05.2023
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