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04-05/24

Schluss mit der Streiterei

Schluss mit der Streiterei

Immer mehr Paare, die auf Schwierigkeiten in ihrem Alltag stoßen, entscheiden sich für eine Paartherapie. Was passiert dort eigentlich genau? Ist die Unterschiedlichkeit der Partner das Problem, und wie viel davon lässt sich überhaupt „therapieren“?

Cornelia Meierhans (36) und Michael Bucher (39) könnten nicht unterschiedlicher sein. „Für mich haben meine Wurzeln und alles Konstante große Bedeutung. Ich habe auch ganz klare Vorstellungen, was mir wichtig ist“, sagt die studierte Psychologin und Mutter dreier Töchter. Ihr Mann, von Beruf Moderator und Trainer, sei das glatte Gegenteil, sehr flexibel, sehr spontan und voller Ideen. Dass die beiden mit all ihren Unterschieden noch heute ein Paar sind, ist keine Selbstverständlichkeit.

SCHLÜSSEL UND SCHLOSS
Nach der Geburt der zweiten Tochter begann es zu kriseln. Unterschiedliche Vorstellungen ließen mehr und mehr Distanz zwischen den beiden entstehen. Doch erst nach der Geburt der dritten Tochter zogen sie eine nüchterne Bilanz: „Entweder wir tun etwas für uns als Paar, oder es treibt uns auseinander.“

Paare wie Meierhans und Bucher landen nicht selten in der Paartherapie von Silvia Hellmer und Hans Eppelsheimer. 1988 gaben die beiden Gestalttherapeuten ihre erste gemeinsame Sitzung mit einem Paar, also zu viert, in Wien und waren damals so etwas wie Pioniere in ihrem Bereich. Aus persönlichem Interesse hatte Silvia Hellmer eine Methode des Arbeitens mit Paaren entwickelt, die auf dem „Kollusionsmodell“ von Jürg Willi aufbaute. Der bekannte Schweizer Psychoanalytiker beschrieb damit die Vorstellung, dass sich Partner immer genau dann finden, wenn ihre biografischen Schwierigkeiten wie Schlüssel und Schloss zusammenpassen. Dass die ruhige und bedächtige ­Cornelia Meierhans den Hansdampf Michael Bucher kennenlernte, war demzufolge kein Zufall.

KEIN START OHNE COMMITMENT
Doch zurück an den Start, denn psychologisch die Gründe zu erkennen, die sich hinter einer möglichen Partnerwahl versteckten, sei eigentlich schon der letzte Schritt in einer erfolgreichen Paar­therapie, erklärt Silvia Hellmer. Ihr Modell – das von den meisten Paartherapeuten in ähnlicher oder abgewandelter Form verwendet wird – sieht drei wesentliche Schritte im Prozess vor. An erster Stelle stehe dabei, so die Expertin, die Krisenintervention, denn: „Die meisten Paare kommen in einer akuten Krise in die Therapie.“ Wackelt bereits das ganze System, so muss die Beziehung zuerst wieder so weit stabilisiert werden, dass überhaupt ein Arbeitsbündnis geschlossen werden kann. Im Fachjargon wird die Zusage, sich für die Beziehung einzusetzen, auch mit dem englischen Begriff „commitment“ (Engagement, Verbindlichkeit) bezeichnet.

MITEINANDER REDEN LERNEN
Danach beginnt die Arbeit an der Kommunikation, denn wer Veränderung herbeiführen möchte, muss erst einmal wieder richtig zuhören. Viele Paartherapien und auch -beratungen widmen sich diesem Schritt im Besonderen. So geht es etwa bei der bekannten Imago-Methode darum, dass die Partner abwechselnd ihre Sicht der Dinge schildern und sich danach „spiegeln“. Einer spricht, der andere wiederholt das Gesagte.

Auch die Imago-Methode ist das Ergebnis einer persönlichen Lebensgeschichte. Der amerikanische Psychologe und baptistische ­Prediger Harville Hendrix entwickelte das spezielle Kommunikations­training für (Ehe-)Paare gemeinsam mit seiner Frau Helen LaKelly Hunt, ebenfalls Psychologin. „Es gab eine Zeit in unserer Ehe, da schafften wir es nicht, uns einen ganzen Tag lang nichts Negatives zu sagen. Wir waren nur mehr am Streiten“, erzählt LaKelly Hunt in einem Interview. Viele Tausende Menschen weltweit unterrichten heute den sogenannten Imago-Dialog. In Österreich gibt es seit einem Jahr sogar eine Imago-Paarambulanz.

Lesen Sie weiter in der Printausgabe.

Liebende sind Vertragspartner

Waren Paare zu anderen Zeiten fester verankert im Familienverband als heute? Was ist zu halten von Algorithmen, die uns den perfekten Partner errechnen? Der Soziologe Günter Burkart hat sich in einer großen Studie mit der Paarbeziehung vom Mittelalter bis heute befasst.

Sie schreiben: „Liebe ist wichtiger, aber auch schwieriger geworden in postmodernen Zeiten.“ Warum?
Günter Burkart:
Wir leben in einer Zeit, die eine große Tendenz zum Individualismus aufweist. Viele traditionelle ­Gemeinschaftsformen sind in der Krise, auch Familie und Freunde treten in den Hintergrund. Somit ist das Paar häufig der kleinste gemeinsame Nenner von Gemeinschaftsleben und damit enorm wichtig für die Einzelnen. Aber das Paarleben wird auch schwieriger, denn von vielen Seiten gibt es gesellschaftlichen Druck auf die Liebe in ihrer bisherigen „roman­tischen“ Gestalt.

Wie kam es historisch zu dieser ­Sonderstellung des Paares?
Das ist eigentlich keine neue Entwicklung und hat auch viel mit dem Christentum zu tun. Die katholische Kirche legte im Mittel­alter das sogenannte Konsens­prinzip fest. Das bedeutet, dass junge Leute, die verheiratet wurden, mit der Wahl einverstanden sein sollten. Die Individualisierung, als dessen Ausdruck die Stellung des Paares heute zu sehen ist, hat wiederum viel mit der Entwicklung im Protestantismus zu tun. Hier tritt der Einzelne als Individuum vor Gott – ohne die Gemeinschaft dabei zu haben. Dieses Prinzip weitete sich sukzessive auf die weltliche Sphäre aus. Man kann also durchaus ­sagen, dass unsere westliche Kultur bereits seit dem Hochmittelalter eine individualisierte ist – im Vergleich zu eher kollektiv orientierten Kulturen.

Sie schreiben auch, eine weitere Schwierigkeit für moderne Liebesbeziehungen sei der Gleichheits- und Gerechtigkeitsanspruch. Das klingt, als würden Sie den Errungenschaften des Feminismus kritisch gegenüberstehen.
Nein, so ist es nicht gemeint. Ich finde die feministische Grundhaltung gut und wichtig, denn die alten, patriarchalen Strukturen waren für beide Geschlechter einengend. Was ich meine ist, dass moderne Paarbeziehungen von einem Gerechtigkeits- und Vertragsdenken bestimmt werden, indem Bedürfnisse in Form von „Beziehungsarbeit“ ausverhandelt werden und man sich für jede Aktion absichern muss. Gesichtspunkte von Vernünftigkeit, Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit werden immer wichtiger. Das bringt das Konzept der Liebe unter Druck, denn dies hat eben viel mit Hingabe und Unberechenbarkeit zu tun. Für viele Leute ist die romantische Liebe daher längst zu einem veralteten Klischee geworden.

Dazu passt auch, dass bereits die ­Beziehungsanbahnung heute häufig das Ergebnis einer Berechnung ist, etwa in Form von Partnerschaftsvermittlung im Internet.
Die Rationalisierung, also die Versachlichung der Liebe passiert tatsächlich stark durch das Internet, wo Liebe zum Tauschprinzip geworden ist und uns als Ware angeboten wird. Gewisse Institutionen und Apps wollen uns weismachen, dass es den perfekten Algorithmus gibt, mit dem der richtige Partner oder die richtige Partnerin im Internet gefunden wird.

Ist die Paartherapie als Teil dieser Rationalisierung der Liebe zu sehen, also quasi wie eine „Reparaturwerkstatt“?
Die Rationalisierung der Liebe geht sicherlich Hand in Hand mit einer zunehmenden Psychologisierung. Psychotherapeuten legen – ohne dies zu wollen – fest, wie die wahre Liebe zu sein hat und wie wir uns verhalten sollen, damit sie funktioniert. Wir bekommen dafür jede Menge Ratschläge an die Hand. Ich möchte die Therapie allerdings auch nicht schlecht­reden; ich denke, es ist gut und wichtig, dass wir sie haben. Es kommt mir nur manchmal so vor, als ob man die Liebe nicht mehr einfach leben könne, ohne vorher einen Ratgeber gelesen zu haben.

Günter Burkart ist Professor für Soziologie an der „Leuphana Universität Lüneburg“. Er meint, dass gerade in einer Zeit, in der Bindungsängste und flüchtiger Sex vorzuherrschen scheinen, die „feste“ Paarbeziehung von großer Bedeutung sein kann.

Impulse für gelungene Beziehungsarbeit

Vortragsreihe „Beziehungsfallen“ – Jänner/Februar 2020
Eine Vortragsreihe der VHS Linz über Liebeslust und -frust, über Partnerschaft und Sexualität. Ort: Arbeiterkammer Linz, Kongresssaal

Vortragsabend „Imago-Therapie“
Das Therapeutenpaar Roland und Sabine Bösel bietet monatlich einen kostenlosen Informationsabend zur Imago-Therapie in ihrer Praxis in Wien an. www.boesels.at

Der Imago-Kongress 2019
findet vom 17. bis 19. Mai im Europahaus Wien statt. Gäste sind Harville Hendrix und Helen LaKelly Hunt, die Gründer der Imago-Methode. www.imagocongress.at

Eva Jaeggi: Liebe und andere Wagnisse. Über das Leben in Beziehungen.
Verlag Fischer und Gann, 19,99 Euro

Klaus Sejkora: Trennung oder Neubeginn. Hilfe für Paare in der Krise.
Verlag Fischer und Gann, 18,99 Euro

Günter Burkart: Soziologie der Paarbeziehung. Eine Einführung.
Springer Verlag, 29,99 Euro

6 Fragen & Antworten zur Paartherapie finden Sie in der Printausgabe.

Foto: Brinkhoff/Moegenburg

Erschienen in „Welt der Frauen“ 05/19

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  • Veröffentlicht: 01.05.2019
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