Wenn man die 40 überschritten hat, müsste man längst angekommen sein im Leben. Man sollte die Stürme und Wirren des Entdeckertums hinter sich haben und in ruhiger See dahinschippern in Richtung Lebensabend. Doch das stellt sich für viele Frauen dann ganz anders dar.
Mit 40 Jahren denkt man an Midlife-Crisis. An erdbebenartige Erschütterungen der gesamten Existenz, mit denen man, ihnen wehr- und willenlos ausgeliefert, fortgetragen wird in einem unbewussten Taumel.
Denn gerade dieses „mittlere Alter“ ist eines, in dem sich Frauen viele Fragen stellen: Wer bin ich? Wohin will ich? Was ist mir noch möglich? Wie werde ich gesehen?
„In dieser Lebensphase bereitet sich eine bedeutende Veränderung der menschlichen Seele vor“, schrieb Carl Gustav Jung, der Begründer der analytischen Psychologie. Ähnlich wie in der Pubertät, glaubte er, fühle der Mensch sich beim Erreichen der zweiten Lebenshälfte bedroht. Beunruhigt von kommenden Erschütterungen, deren Vorboten er spürt.
Unbegründet ist diese aufsteigende Unruhe nicht. Jenseits der 40 verliert die Welt ihre Grenzenlosigkeit, und die Endlichkeit dämmert herauf. Es ist eine Zeit der ersten Lebensbilanz. Für viele sind entscheidende Phasen abgeschlossen – das Haus ist gebaut und halbwegs abbezahlt, die Kinder sind aus diesem schon draußen, der Berufsweg an einem längst langweiligen Höhepunkt, die Partnerschaft abgenutzt.
Welche Fragen Frauen stellen
Es ist eine Zeit des Infragestellens. Eine Zeit der Fragen. Wer bin ich? Wo will ich hin? Bleiben oder Gehen? Es ist eine Zeit, die viele als letzte Chance für ein neues Durchstarten sehen – und nutzen. Und es ist eine Zeit der bewussten Entscheidungen, in der manche Frauen aufbrechen, um dem Leben neue Inhalte zu geben. Bewährtes erhalten und Neuem einen Raum geben – das ist das Spannungsfeld, in dem man sich in der Mitte des Lebens bewegt.
„Gerade für Frauen eröffnen sich in diesem Alter oft wieder Ressourcen, auf sich selbst zu schauen. Vielleicht hat man lange Jahre eigene Krisen und Bedürfnisse in den Hintergrund gestellt wegen der Kinder. Plötzlich hat man Zeit und damit auch die Notwendigkeit, diese wahrzunehmen. Es ist für viele eine Zeit des Aufwachens“, resümiert die Sozialpädagogin Caroline Ott, die Frauen auf diesem Weg der existenziellen Fragen begleitet.
Frage 1: War das schon alles?
Frauen in Österreich zwischen 40 und 50 Jahren fühlen sich wie 35, wie der Trendforscher Matthias Horx erhoben hat: „Alterung ist in der eigenen Wahrnehmung heute oft Verjüngung. Dieser Effekt – Downaging genannt – prägt die Gesellschaft zunehmend.“
Altwerden ist morgen. Heute ist Leben! Und das ist spannend, fordernd und vielfältig. Und nicht immer einfach.
„Ich bin an einem Punkt, wo ich mein Leben hinterfrage und wissen möchte, was es noch so alles zu erleben gibt. Es ist ein verwirrender Weg. Und teilweise ist er schwer, weil ich es bislang gewohnt war, zu wissen, was ich will und vor allem wohin ich will“, erzählt Birgit R., die sich mit Anfang 40 plötzlich in der schwersten Sinnkrise ihres Lebens fand. Was von außen so perfekt aussah – harmonische Ehe, Erfolg im Beruf, ein gemütlicher Wohlstand, das liebevoll gepflegte Haus im Grüngürtel von Linz – wurde in der Seele immer mehr zu einer schweren Last.
Als körperliche Beschwerden auftraten, die ihr kein Arzt erklären und schon gar nicht kurieren konnte, entschied sich Birgit R. zu einem schweren Schritt. Sie zog aus der sicheren Ehe aus, um ihre „frühere Freude und Energie“ wiederzufinden. „Klar habe ich auch Ängste, aber heute bin ich souveräner und in vieler Hinsicht gelassener als je zuvor. Ich weiß nicht, was kommt. Aber ich freue mich darauf.“ Eine solche neue Offenheit erlebt auch Caroline Ott bei ihren Klientinnen oft.
„Die Frage nach der inneren Zufriedenheit mit dem eigenen Leben steht da plötzlich ganz groß im Raum!“
Und dann würden hauptsächlich zwei Themen hinterfragt. Zum einen müssten langjährige Partnerschaften neu definiert und mit neuem Sinn erfüllt werden, wenn etwa die Kinder aus dem Haus seien. Und zum Zweiten stelle sich für viele Frauen in diesem Alter die Frage nach einer Neuorientierung im Beruf. Ob es nun darum gehe, mit frisch gewonnener Energie auf der Karriereleiter einen guten Schritt nach oben zu tun, oder darum, sich ein völlig neues Tätigkeitsfeld zu erschließen, sei dabei eher nebensächlich, meint Ott. Sie erlebt Frauen Mitte 40 meist als leistungsbereit und unternehmungslustig.
Und so denkt auch Birgit R. darüber nach, endlich den lang ersehnten beruflichen Schritt nach Wien in eine anspruchsvollere Position zu machen. In den Jahren zuvor hatte die eigentlich erfolgsorientierte Frau dem privaten Frieden zuliebe so manches Angebot ausgeschlagen. Nun fragt sie sich, ob sie diesen Fehler wiedergutmachen könne. Und das nicht ohne Grund.
Frage 2: Habe ich noch Chancen auf dem Arbeitsmarkt?
„Frauen ab 40 haben im Vergleich zu gleichaltrigen Männern bei der Jobsuche oft ein Problem, das zu kriegen, was ihnen aufgrund ihrer Erfahrung und Ausbildung zustehen würde“, spricht der Personalberater Günter Frühmann gelassen offen aus, was nur zu oft gerne abgestritten wird. „Die Verkäuferin tut sich in der Regel leicht, einen neuen Job zu finden. Bei höher qualifizierten Berufen wird es da schon erheblich schwieriger“, weiß der langjährige Geschäftsführer von Hill International in Linz. Und das, obwohl ein landläufiger Grund, bevorzugt Männer einzustellen, eigentlich weitgehend ausfällt: das Schwangerschaftsrisiko.
Doch weil die Welt ungerecht ist, fallen dafür die Kinderbetreuungszeiten davor umso schwerer ins Gewicht. „Viele Unternehmen schauen rein auf die fachliche Qualifikation und den Lebenslauf. Da reichen ein oder zwei Jahre berufliche Pause, um alle Chancen verspielt zu haben. In den meisten Unternehmen sitzen Männer an den Entscheidungshebeln der Macht. Und die haben wenig Geduld und Einsicht mit Frauen“, so Frühmann.
Soziale Qualifikationen und Managementqualitäten von Frauen im Alltag mögen da zwar zählen, aber wirklich ins Gewicht fallen sie nicht. Was kann man Frauen da raten? Der wertvolle Hinweis, Kindererziehungszeiten kurz zu halten oder überhaupt zu vermeiden, kommt für viele wohl zu spät und darf auch angesichts einer nach wie vor bestehenden weitgehenden Weigerung der Männer, sich dieser Aufgabe anzunehmen, als zynisch empfunden werden.
Aus seiner langjährigen Erfahrung kann Günter Frühmann Frauen vor allem drei Tipps mit auf den Weg geben:
- Frau halte sich an große und internationale Konzerne. Diese hätten meist mehr Geduld und Einsicht mit Frauen als eigentümergeführte Unternehmen.
- Frau traue sich endlich, ihre Gehaltsansprüche in die Höhe jener von Männern zu schrauben. Immer noch würden Frauen viel weniger verlangen als Männer, da es ihnen weniger um den Verdienst als um die befriedigende Tätigkeit gehe, sagt Frühmann. Und das sei in einer Gesellschaft, die nach dem Motto „Was nichts kostet, ist nichts wert“ funktioniert, schlicht eine falsche Strategie.
- Frau habe Geduld! Aber ist Geduld jenseits der 40 noch angebracht? Ist sie noch erlaubt? Läuft einem nicht die Zeit davon – beruflich wie privat?
Frage 3: Bin ich sexuell noch attraktiv?
„Viele Frauen um die 45 erleben heute eine neue Phase der sexuellen Freiheit. Sie sind fordernder, oft auch viel lustvoller als ihre etwa gleichaltrigen Partner“, weiß die Sexualtherapeutin Irmgard E. Schürer aus ihrer täglichen Praxis. Das alte Klischee, dass der Mann „ständig will“
und die Frau permanent Kopfweh hat, stimme heute überhaupt nicht mehr, sagt sie.
Eher das Gegenteil sei der Fall. Oft seien es die Frauen, die sich sexuell in einer Partnerschaft unterfordert fühlten, gerade im Alterssegment 40 plus. Mitunter hätten diese Frauen jahrelang ihre Bedürfnisse zugunsten von Kindern und Partnerschaft zurückgesteckt und entdeckten plötzlich eine neu erwachte Neugier. Diese drängt etwa die Frage auf, ob denn der eheliche Sex alles zu erspüren gibt, was es zu erspüren geben könnte.
„Sexuell attraktiv zu sein und den eigenen Bedürfnissen Raum zu geben, ist für viele Frauen ab 40 mittlerweile ein wesentlicher Bestandteil der Selbstvermarktung“, sagt Schürer. Allerdings nicht immer einer selbst gewollten. Denn es sei immer noch so, dass Frauen die Notwendigkeit einer neuen Partnerwahl meist von den Männern präsentiert kriegten. Dann nämlich, wenn sie verlassen werden.
So ging es auch Karin D. „Ich bin eigentlich ein Mensch, der viel Körperkontakt braucht. Aber ich kann meinem Exmann heute nicht mal mehr die Hand geben, weil er mich auf der sexuellen Ebene viel zu tief verletzt hat. Wenn man zwei Kinder geboren hat und dann jahrelang bei jedem Versuch der Annäherung ignoriert oder zurückgewiesen wird, gräbt sich das schmerzhaft ein“, resümiert sie ihre 18-jährige Ehe, unter die ihr Exmann vor zwei Jahren einen Schlussstrich gezogen hat – zugunsten einer Jüngeren. Danach habe sie lange daran arbeiten müssen, sich wieder als Frau attraktiv zu fühlen, sagt sie. Auf die Frage, was ihr dabei geholfen habe, schmunzelt sie:
„Jüngere Männer!“
Karin D. zählt damit zu jenen, die in Amerika längst als „Cougars“(übersetzt: Pumas) zu einem gesellschaftlichen Phänomen geworden sind: reife Frauen, die sich wesentlich jüngere Sexualpartner wählen. Ein Schritt, der für die Sexualtherapeutin Hauer kein verwunderlicher ist.
„Frauen haben den Höhepunkt ihrer sexuellen Potenz und Lust mit 40, Männer kurz nach 20. Vom biologischen Hintergrund passen diese beiden also gut zusammen. Und gerade nach Trennungen gestehen sich Frauen heute oft solche Phasen des Ausprobierens zu.“ Meist entstünden daraus keine dauerhaften Beziehungen, sagt Hauer. Und meist seien diese Phasen auch kurz. Denn das Ziel der Suche sei eigentlich dennoch liebende Zugehörigkeit und innige dauerhafte Zweisamkeit.
Frage 4: Darf ich noch einmal lieben?
Kurz vor ihrem 48. Geburtstag bekam Renate einen Heiratsantrag. „Den einzigen, den ich niemals hätte ausschlagen können, nämlich den von meinem eigenen Mann“, lacht die Steirerin. Natürlich hat sie „Ja“ gesagt, auch wenn die gemeinsamen Jahre davor nicht immer leicht waren. Viel zu viel Arbeit im eigenen Weinbaubetrieb, drei Kinder und das Leben in einem Vier-Generationen-Haushalt hatten die Eheleute, die so schmuck vom Hochzeitsbild strahlen, einander entfremdet und sprachlos gemacht.
„Wir lebten lange Zeit nur nebeneinander. Jeder erfüllte seine Pflichten und vermied es, den anderen wirklich anzuschauen. Es war eine graue Zeit.“ Doch ein Aufgeben kam für Renate nie infrage. Zu viel wäre auch auf dem Spiel gestanden. Wie sie und ihr Mann es geschafft haben, sich „neu zu finden“, kann sie eigentlich nicht genau sagen.
„Ich denke, uns ist irgendwann bewusst geworden, dass es ja einen guten Grund hatte, warum wir uns einmal füreinander entschieden haben. Und den kennen wir heute wieder.“
Was Renate und ihr Mann gerade planen, davon können viele Frauen nur träumen: eine (zweite) Hochzeitsreise.
Gerade mit 40 plus sind mehr Frauen denn je heute auf der Suche nach einer neuen Liebe. Bei einer Scheidungsrate von über 40% pro Jahr in Österreich und einer vorangegangen Ehedauer von durchschnittlich mehr als zehn Jahren kein Wunder. Und wie so vieles passiert auch diese Liebeswahl dieser Tage zunehmend durch Partnervermittlungsagenturen im Internet.
Und sie alle haben eines gemeinsam: Die Zielgruppen sind bei den Frauen zwischen 22 und 65 Jahren. Ihnen gegenüber stehen die Männer im fast gleichen Alter zwischen 25 und 70. Perfekt, möchte man meinen. Und doch ist eine Frau mit Mitte 40 auf dem Liebesmarkt schwer vermittelbar. Das mag zum einen daran liegen, dass Männer im passenden Alter gern nach jüngeren Frauen schielen. Was aber genauso ins Gewicht fällt, sind die eigenen gestiegenen Ansprüche der Frauen. „Zum einen bin ich heute offener, als ich es jemals war“, sagt Karin D., „doch was eine neue Partnerschaft angeht, wäge ich viel mehr ab. Ich schaue genauer hin, und oft sind es Kleinigkeiten, die mich dann abschrecken. Irgendwie suche und erwarte ich die 100 Prozent, die ich ja eigentlich selber auch niemandem geben kann.“
Frage 5: Was sind meine neuen Werte?
Die hoffnungsfrohe jugendliche Unschuld von Anfang 20 hat Frau mit Mitte 40 sicher verloren. Nicht nur in Liebesdingen. Nicht nur in der Selbstbeobachtung, sondern auch in der Fremdwahrnehmung. Mit 25 gilt eine Frau als selbstbewusst, rebellisch und erfrischend unkonventionell, wenn sie sich mit ihrer Meinung aus dem Fenster lehnt. Mit 60 gesteht man ihr den Bonus der Altersweisheit zu. Dazwischen nervt sie!
Und muss sich doch mit sich und ihrem Umfeld in diesem Dazwischen-Alter zurechtfinden. Und sich vielleicht eingestehen, dass irgendetwas von den Dingen, die man unbedingt in der Rushhour des Lebens angekurbelt haben muss, auf der Strecke geblieben ist: Karriere, Kinder oder ein eigenes Wohltätigkeitsprojekt.
Aber kommt es auf eine solche Leistungsfähigkeit überhaupt an, fragt die Sozialpädagogin Caroline Ott. Sind diese „Erfolgsmarken“ die einzigen Sinnstifter im Leben? Sie versucht Frauen vor allem Folgendes zu vermitteln:
„Das Lachenkönnen, Weinenkönnen, Kreativsein und Genießenkönnen - das ist das, was zählt!“
Und solche Fähigkeiten sind keine Frage des Lebensalters. Das Leben umzubewerten, sich selbst ständig neu zu definieren, lebenslustig seine eigene Beweglichkeit zu erkunden, sei das Wichtigste, meint Ott. Ob mit 20, 40 oder 60: Die Frage nach dem eigenen Raum und dem richtigen Platz im Leben muss sich jeder stellen. Und für viele lautet die Antwort mit 40: Ich bin mittendrin. Und es ist spannender als je zuvor!
Erschienen in „Welt der Frau“ 6/2012, aktualisiert 01/2021