Betende Menschen wirken friedlich und tun einem nichts.
Trotzdem regen sie auf.
Im „Ruhezone“-Abteil der Bahn. Mit einer großen, leeren Papiertasche in der Hand tapst ein Bub, etwa 13 Jahre alt, durch den Mittelgang. Nirgendwo setzt er sich dazu. Erst als er einen freien Doppelsitz erspäht, lässt er sich nieder, stellt die Tasche wie einen abschirmenden Paravent neben sich und lugt zu den Leuten ringsum. Als er sieht, dass alle beschäftigt wirken, atmet er entspannt aus, legt seine Hände auf die Knie, schließt seine Augen, verschränkt hernach seine Arme vor dem Bauch und beugt seinen Oberkörper Richtung Boden. Immer wieder wiederholt er diesen Ablauf und murmelt leise vor sich hin. Eine Frau, die den Gang entlangkommt, bleibt stehen. Sie schüttelt den Kopf, schubst die Tasche des Jungen zur Seite und lässt sich neben ihm in den Sitz plumpsen. Der Bub macht ruhig weiter, sie selbst wetzt hin und her. „Diese Beterei ist eine Zumutung!“, schnaubt sie schließlich und bittet mich, mit ihr den Platz zu tauschen. „Habe ich Sie belästigt?“, fragt der Bub, als er sein Ritual beendet und statt seiner Tasche mich neben sich vorfindet. „Säße ich sonst hier?“, frage ich. Er lächelt und erzählt mir, dass er Muslim sei und sich durch Verbeugen fünfmal am Tag „für alles Gute und Schöne um uns“ bedanke. Doch sein Beten mache vielen Leuten Angst. Daher bete er nur noch in seinem Zimmer. Oder heimlich wie jetzt. Denn auch seine Großmutter, die gerade im Abteil nebenan sitze, sei dagegen, weil sie ihren Glauben anders praktiziere. Wenig später steht sie neben uns. „Ich komm schon, Oma“, sagt der Bub, faltet seine Tasche, neigt seinen Kopf und flüstert: „Danke, dass Sie mich nicht verspottet und verraten haben.“
Gebets- und Meditationsräume gibt es auf Bahnhöfen und Flughäfen. Warum nicht auch in Zügen? Das fragt Petra Klikovits.
Foto: Alexandra Grill