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04-05/24

Mut tut gut: Was Frauen mutig macht

Mut tut gut: Was Frauen mutig macht

Heerscharen von Büchern und Ratgebern wollen den Menschen zeigen, wie sie erfolgreicher, klüger, reicher, schlanker oder schöner werden. Kaum jemand fragt sich, wie man mutiger wird. Wir haben uns auf Spurensuche begeben und dabei festgestellt, dass Mut zwei wunderbare Eigenschaften hat: Er ist ansteckend, und er ist erlernbar!

Seitdem Menschen gefordert sind, sich Gefahren aus ihrer Umwelt zu stellen, seit Urzeiten also, ist der Mut eine Eigenschaft, nach der jeder von uns strebt. Doch woher kommt der Mut? Das Wort stammt aus dem Altgermanischen »muod« und bedeutete ursprünglich Gemütszustand, Leidenschaft, Entschlossenheit.

Erst im Laufe der Zeit wurde aus Mut eine Tugend, die mit Tapferkeit in Verbindung gebracht wird. In der Antike galt der Mut als herausragendstes Merkmal eines freien Mannes. Es sei »sittlich schön, dem, was für einen Menschen furchtbar ist oder scheint, die Stirne zu bieten«, formulierte Aristoteles 322 vor Christus.

Die christlichen Kirchenväter sahen im Mut eine Fähigkeit, standhaft den Anfeindungen des Bösen zu trotzen. Und wir modernen Menschen bewundern von Kindheit an unsere Helden wie Pippi Langstrumpf oder Harry Potter, die sich in Comics und auf der Filmleinwand tapfer allen Widerwärtigkeiten und Herausforderungen stellen.

Doch wie schaffen wir es im realen täglichen Leben, mutiger zu werden?

Mut wird dem Menschen nicht in die Wiege gelegt. Und er lässt sich leider auch nicht im Supermarkt kaufen oder im Internet bestellen. Und dennoch brauchen wir ihn als wichtige Lebensenergie. Und wir brauchen ihn immer genau dann, wenn uns auffällt, dass wir ihn nicht haben! Denn das Leben ist selten ein langer ruhiger Fluss.

Es verläuft in Schlangenlinien, macht so manche radikale Biegung und hält die eine oder andere Untiefe bereit. Und ob wir jetzt vor einem großen Umbruch im Leben stehen oder uns nur vorgenommen haben, endlich Skifahren zu lernen oder das erste Mal allein eine Reise zu machen – eines haben diese Situationen gemeinsam: Sie machen uns Angst!

Aber wer ängstlich ist, ist nicht gleich ein Hasenfuß. Angst und Mut sind nur zwei Seiten einer Medaille. »Mutig zu sein hat nichts mit einer Abwesenheit von Angst zu tun, im Gegenteil«, sagt die Psychologin Christa Schirl. Auch der Mutige nimmt Warnsignale und Gefahren wahr und wägt die Risiken ab. Alles andere wäre

Tollkühnheit oder gar Dummheit

»Wir dürfen Angst haben. Das ist auch ganz normal, vor allem wenn wir Neuland beschreiten, uns an Unbekanntes wagen müssen. Aber ich kann meine Angst an der Hand nehmen und trotzdem vorangehen. Dann bin ich mutig.« Oder wie Martin Luther King es formulierte: »Wir müssen immer wieder Dämme des Mutes bauen gegen die Flut der Furcht.« Leicht gesagt. Doch auch leicht getan? Schirl rät, sich in Situationen, die uns Angst machen, an frühere ähnliche Erlebnisse zu erinnern, etwa an den ersten Arbeitstag oder ein entscheidendes Gespräch. Und sich jenes Hochgefühl ins Bewusstsein zu rufen, das man hatte, nachdem man eine schwierige Situation gemeistert hatte.

»Wir sind von der Evolution so programmiert, dass wir uns Katastrophen und Gefahren besser merken als positive Erlebnisse. Das ist auch durchaus sinnvoll, denn sonst hätten wir nicht überlebt. Aber gegenüber diesem negativen Gedächtnis muss jeder für sich ein Gegengewicht schaffen«, meint Schirl und empfiehlt, ein Erfolgstagebuch zu führen. Darin sollte man eintragen, was einem gelungen ist, welche Erfolge – auch kleine – man verbuchen konnte. Denn vergangene Siege machen uns stark für neue Herausforderungen.

Unser Mut ist nicht nur gefragt, wenn es um große, entscheidende Schritte im Leben geht

Oft sind diese mit dem Mut der Verzweiflung oder dem Rückenwind der Neugier und Abenteuerlust sogar leichter zu bewältigen als die kleinen Mutproben, vor die uns der Alltag stellt. Es beginnt damit, Nein zu sagen gegenüber einem Kollegen, der eine unangenehme Arbeit abschieben will. Oder der Familie mitzuteilen, dass man diesmal am gemeinsamen Weihnachtsfest nicht teilnehmen wird, weil man endlich den lang ersehnten Urlaub im Süden machen will.

Es ist die »Feigheit vor dem Freund«, wie es die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann einmal formulierte, die es uns manchmal schwer macht, mutig zu uns selbst und unseren Meinungen und Wünschen zu stehen. »Gerade Frauen haben oft Angst vor Abwertung oder davor, nicht geliebt zu werden«, erklärt Schirl, warum viele es nie gelernt hätten, die eigenen Bedürfnisse vor die Solidarität mit anderen zu stellen.

Eine starke Bindung an die Familie oder die Gruppe kann einen Menschen auf der einen Seite stark und mutig machen, auf der anderen Seite erzeugt sie jedoch einen Loyalitätsdruck, der dann oft den mutigen kleinen Widerstand verhindert. »Ganz und gar man selbst zu sein, das kann schon einigen Mut erfordern«, wusste schon Sophia Loren.

Die gute Nachricht: »Mut kann man lernen.«

Davon ist Christa Schirl überzeugt. Am besten fängt man damit in kleinen Schritten an. »Mut bedeutet, aktiv und handlungsfähig zu sein. Und das kann man in ganz vielen Situationen im Alltag trainieren, indem man Gewohnheiten unterbricht«, so die Diplom-Psychologin. Einfach mal in ein anderes als das Stammkaffeehaus gehen. Bei der Kleidung nicht immer zu denselben Farben greifen. Im Restaurant etwas bestellen, was man noch nie gegessen hat. Wer im Kleinen mutig neue Wege geht, wird bei großen Schritten, die er machen muss, mehr Vertrauen in das eigene Handeln haben. »Der Mut kommt mit vielen Erfahrungen«, sagt Schirl. Und so wächst ein kleiner Mut zu einem großen heran.

Wer mutig ist, trifft Entscheidungen und setzt sich auch für sie ein.

Oft steht uns auch unser eigener Perfektionismus im Weg und macht uns zu Memmen. »Wer immer wartet, bis die Bedingungen perfekt sind, oder von sich selbst verlangt, sein Ziel genau zu kennen, wird keinen Schritt weiterkommen«, macht Christa Schirl »Mut zu neuen Fehlern«. Und sie rät, ein mögliches Scheitern positiv zu sehen.

Sei es doch einfach ein Zeichen dafür, dass man etwas gewagt hat. Und nur wer etwas wagt, kann auch gewinnen. Wer nichts wagt, hat schon verloren. Vielleicht sei Mut einfach zu akzeptieren, dass das Leben beides ist: Gelingen u n d Scheitern. »Es ist mein Lebensrecht, Dinge auszuprobieren!«, lautet der Satz, den die Psychologin jedem am liebsten auf den Badezimmerspiegel schreiben würde.

Und gerade Frauen hätten mit ihrer starken und meist guten Intuition eine wunderbare Quelle, aus der sie Mut für neue Wege schöpfen können, meint Schirl. »Wir sollten lernen, wieder stärker auf unsere innere Stimme zu hören. Vielleicht mag manche Idee, die einem da kommt, zuerst komisch erscheinen. Aber wenn uns etwas in uns sagt: ‚Tu das!‘, dann sollten wir uns darin auch mutig vertrauen.«

Für etwas mehr wagenden kindlichen Übermut plädiert auch der Berliner Volkswirt und Unternehmensberater Günter F. Gross, Autor des Buches »Mut und Entschlossenheit. Die Multiplikatoren des Erfolgs«. Für ihn liegt der Schlüssel zum Mut vor allem im positiven Denken und aktiven Handeln.

»Verzichten Sie auf negative Kommentare: Was für ein schöner Tag! Ja, aber morgen soll es wieder schlechter werden! An kaum einem anderen Kommentar lässt sich besser zeigen, wie wenig die meisten Menschen in der Lage sind, sich am gegenwärtigen Positiven zu erfreuen, und wie stark sie gedanklich bereits verknüpft sind mit dem Negativen, das vielleicht kommen könnte. Sie sind unfähig, gelassen und erfreut in der Gegenwart zu leben und damit unfähig, überhaupt zu leben.

Sie befinden sich im Wartestand. Sie warten ständig auf die kommende Verschlechterung und kündigen diese während der Wartezeit auch noch an. Absurd!« Gerade ein fröhlicher Übermut könne uns helfen, zu innerer Stärke und echtem Mut zu finden, meint Gross: »Mit jeder übermütigen Bemerkung oder Aktion verlassen Sie das Territorium der Bedrohung. In der Zeit des Übermuts sind Sie immun gegenüber jedem Bedrohungsgefühl. Die Insel des Übermuts ist weit entfernt vom Festland der Besorgtheit und Gefährdung.«

Das Mut-Hormon

Versuche an Küken wollen es bewiesen haben: Testosteron macht mutig! Forscher der Universität Wien haben herausgefunden, dass Küken umso kecker, neugieriger und dominanter sind, je mehr Testosteron die Mutterhenne in das Ei abgegeben hat. Aus Eiern mit weniger Testosteron schlüpften dagegen ängstlichere und kontaktscheuere Küken. Auch von Mäusen oder Pferden weiß man, dass ein hoher Testosteronspiegel Imponiergehabe und Kampfwillen stärkt. Doch lassen sich diese Ergebnisse nicht auf den Menschen übertragen. Männer sind also nicht automatisch mutiger als Frauen.

Eine Studie der Universitäten Zürich und London an Frauen kam zu dem Ergebnis, dass die einmalige Gabe von Testosteron vor allem mehr Fairness bewirkte. Die Forscher erklären dies damit, dass rücksichtsloses und aggressives Verhalten im sozialen Umfeld des Menschen zu Nachteilen führt, faires und soziales Verhalten dagegen den Status fördert. Die Studie zeigte zudem, dass alleine der Glaube an die vermeintlich aggressionssteigernde Wirkung des Testosterons das Verhalten beeinflusst. Teilnehmerinnen, die nur ein Placebo erhalten hatten, handelten dem vorauseilenden Ruf des Hormons entsprechend egoistischer und risikobereiter.

Aikido macht Mut

Mut ist auch eine Frage von Selbstvertrauen. Eine Frage des Bewusstmachens der eigenen Fähigkeiten und Möglichkeiten. Es gibt viele Wege, dies zu tun. Einer davon ist Aikido. Die japanische Kampfsportart ist eine sanfte Art der Selbstverteidigung. Vom Wortursprung her ist Ai-Ki-Do ein Weg (Do), die Lebensenergie (Ki) in Harmonie (Ai) zu bringen. Als Kampfkunst lehrt Aikido den achtsamen Umgang mit anderen, die uns als PartnerInnen für die eigene Entwicklung dienen und umgekehrt. Der Trainingspartner (Uke) bringt seine Energie in Form eines Angriffs ein.

Diese Energie leitet der Verteidiger (Tori) weiter und führt sie in kreis- und spiralförmige Bewegungen, deren Zentrum der Verteidiger selbst bildet. Die Techniken des Aikido zeigen dem Angreifer, dass die gegen den anderen gerichtete Energie neutralisiert wird. Gleichzeitig geht es darum, einen Standpunkt einzunehmen und diesen klar zu vertreten. Geübte Aikido-TrainerInnen schwören darauf, dass diese mehr als 1.000 Jahre alte japanische Sportart nicht nur zur Steigerung des körperlichen Wohlbefindens führt, Aikido soll auch den Geist beweglicher machen und uns damit die Fähigkeit geben, uns den Gegebenheiten unserer Umwelt anzupassen und mit dieser in Harmonie zu leben.

Ein beweglicher Geist sei in der Lage, Träume und Visionen zu entwickeln und diese in die Tat umzusetzen. Außerdem zeige der Umgang mit einem Angreifer ängstlichen Menschen, dass man sich nicht von Energie, die auf einen zukommt, einschüchtern lassen muss, sondern es Wege gibt, diese in kontrollierbare Bahnen zu lenken, ist Anton Enzenhofer von der Aikido Union Linz überzeugt. Und Menschen, die gewohnt seien, mit viel Krafteinsatz ihre Ziele zu erreichen und dabei Widerstände überwinden müssen, fänden einen Weg, sparsamer mit ihrer Energie umzugehen und unnötige Konflikte zu vermeiden. Vor allem zeige Aikido, dass wir sehr viel gewinnen, wenn wir nicht das Ziel haben, andere zu besiegen.

Mut ist erlernbar!

  • Nehmen Sie Ihre Ängste an

    Dies ist die einzige Möglichkeit, sie zu besiegen. Und Mut und Angst sind nur zwei Seiten einer Medaille. Man kann Mut trainieren, indem man Dinge probiert, vor denen man Angst hat. Am Anfang kleine Dinge, aus deren Bewältigung man Mut schöpft – um mit Seneca sagen zu können: »Nicht weil es schwierig ist, wagen wir es nicht. Sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwierig.«

  • Erlauben Sie sich Fehler

    Oft steht uns unser Perfektionismus im Weg. Wer mutig neue Wege geht, darf auch Fehler machen. Etwas mutig zu wagen, bedeutet auch die Möglichkeit eines Scheiterns. Nur wer sich selber einen Fehler oder ein Scheitern erlaubt und verzeihen kann, wird den Mut finden, etwas überhaupt auszuprobieren.

  • Achten Sie auf Ihre Gefühle

    Mutige hören auf ihren Bauch. Sie sprechen es klar aus, wenn sie sich mit einer bestimmten Situation oder einem Verhalten unwohl fühlen. »Mir ist wichtig, dass …« könnte eine Formel dafür werden.

  • Suchen Sie Vorbilder

    Mut ist ansteckend. Ein Vorbild kann sich auch jeder selber sein, wenn er sich seine Stärken bewusst macht. Zu oft legen wir unser Augenmerk auf das, was wir nicht können.

  • Vertrauen Sie Ihrem Handeln

    Mut braucht Selbstvertrauen. Das Vertrauen, dass unser Handeln etwas bewirken kann. Wer sich vergangene Erfolge immer wieder selbst vor Augen führt, wird Mut für neue finden.

  • Definieren Sie Ihre Ziele

    Wenn wir ein klares Ziel vor Augen haben, werden Hindernisse zu überwindbaren Hürden. Nicht immer müssen es große Ziele sein. Auch wenn die Ziele klein sind, schenkt uns ihr Erreichen Zufriedenheit und Motivation. Wir sind wesentlich einsatzfreudiger und eher bereit, Schwierigkeiten zu meistern. Generell gilt: Schau auf die Lösung, nicht auf das Problem!

„Mut hat viele Facetten. Genau so viele, wie die Menschen Gesichter haben. Und Geschichten. Mut hat nichts mit Abwesenheit von Angst zu tun. Und Mut kann man lernen. Auch an den Mut-Geschichten anderer.“

Den Mutigen gehört die Welt

Wir stellen Ihnen fünf Frauen vor, deren Mut Mut machen kann! Diese Frauen haben vielleicht nicht viel gemeinsam, außer eines: das wagende Vertrauen in die eigene Kraft!

Roswitha Tscheliesnig, Ziegenkäse-Bäuerin:

Als Roswitha Tscheliesnig 42 Jahre alt war, passierte ihr »das Schlimmste, was ich mir denken konnte«. Die zweifache Mutter hatte 2006 gerade den Mut gefasst, nach ihrer Karenz in der Obersteiermark einen landwirtschaftlichen Betrieb aufzubauen – geplant als Familienunternehmen. Da kam der früheren Universitätsdozentin fast von einem Tag auf den anderen ihr Ehemann, auch Firmenpartner und Rückhalt, abhanden, weil dieser sich zu seiner Homosexualität und zum Leben mit seinem neuen Freund bekannte. So stand sie alleine mit zwei Kindern vor einer Riesenaufgabe mit ungewissem Ausgang. »Den Mut, weiterzumachen, hat mir irgendwie meine Naivität gegeben.

Ich fühle mich wie eine Katze, die immer wieder auf die Füße fällt, und habe ein echtes Scheitern gar nicht einkalkuliert. Außerdem hat mich die Verantwortung für meine Kinder aufrechterhalten, weiterzumachen«, erinnert sich Roswitha Tscheliesnig an ihren damaligen »Schockzustand, der zwei Jahre lang anhielt«. Heute, sechs Jahre später, kann die Landwirtin wieder ganz befreit lachen. Ihre Ziegenkäserei läuft hervorragend. Ihr Mann ist mit seinem Freund auf den Hof zurückgekehrt. Ihr neuer Lebensgefährte wird auch bald dazukommen, sodass Verantwortung und Arbeit dann auf acht Schultern statt auf nur ihren beiden lasten. Und Roswitha Tscheliesnig hat neben ihrer beruflichen Selbstverwirklichung noch etwas gewonnen: »Eine unglaubliche Freiheit. Denn ich weiß jetzt, ich kann alles schaffen!«

Hanna Schwarz, Greenpeace-Aktivistin:

Sie klettert auf Balkone und Dächer und setzt sich bei Nacht und Kälte und angesichts einer berittenen, mit Wasserwerfern und Tränengas bewaffneten Polizeiübermacht auf Schienen, um den Atommülltransport »Castor« zu stoppen. Ihr Engagement für die Umwelt und gegen Atomkraft brachte die frühere Volksschullehrerin Hanna Schwarz 2006 zu Greenpeace.

Damals campierte sie im Winter bei Eiseskälte in der Lobau, um den dort geplanten Autobahnbau zu verhindern. Bei so mancher gefährlichen Aktion war die 32-Jährige seither beteiligt. »Natürlich macht einem das auch manchmal Angst. Aber zu sehen, wie viele unterschiedliche Menschen sich engagieren, und die Gemeinschaft mit ihnen, gibt mir immer wieder Mut«, sagt Hanna Schwarz. Außerdem bescheinigt sie sich selbst eine grundsätzlich positive Einstellung und ein »Urvertrauen in die Welt«, das ihre Eltern ihr mitgegeben hätten. »Mut heißt für mich, dass ich mich auf Neues und Unbekanntes einlasse. Aber es ist immer ein kalkulierbares Risiko, und ich kann abschätzen, was ich mir zutrauen kann«, sagt die Wienerin mit Kärntner Wurzeln, die sich dabei auch gerne an Vorbildern orientiert. Hannah Arendt und Maria Montessori fallen ihr da spontan ein: »Frauen, die es sich selbst nicht einfach gemacht, neue Wege eingeschlagen und dafür gekämpft haben.«

Sabrina Grillitsch, Südpol-Bezwingerin:

Sabrina Grillitsch ist 28 und Soldatin. Vor einem Jahr marschierte sie an acht Tagen 400 Kilometer weit bei minus 40 Grad durch eine Eiswüste zum Südpol – als einzige Frau im siegreichen österreichischen Team beim Wettlauf zum Südpol. Wenn man sie fragt, woher sie den Mut dazu nahm, dann zuckt sie die Schultern: »Klar war ich angespannt vorher, aber ich war gut vorbereitet. Und ich bin an alpines Training gewöhnt.«

Dass dem so ist, liegt unter anderem daran, dass die aparte Tirolerin die erste und bislang einzige Frau beim österreichischen Bundesheer ist, die die Jagdkommando-Ausbildung erfolgreich absolviert hat. Und dieses Eindringen in eine absolute Männerdomäne war für die zielstrebige junge Frau rückblickend die größere Herausforderung als ein fernsehreifer Gewaltmarsch durch Eis und Schnee. »Für manche Männer ist es schwer, zu sehen, dass eine Frau etwas schafft, was ihnen selber schwerfällt. Da gab es so richtiges Mobbing. Das war keine leichte Zeit.«

Der Rückhalt von Familie und Freunden sei damals für sie besonders wichtig gewesen, sagt Sabrina Grillitsch. Doch im Gespräch mit der quirligen Frau wird schnell klar, dass sie noch über weitere Eigenschaften verfügt, die ihr Mut zum Erfolg machen: Selbstreflexion, ein starker Wille und eine gehörige Portion Humor! Sabrina Grillitsch lacht gerne. Und eines hat sie gerade als weibliche Ausbildnerin von männlichen Rekruten beim Bundesheer gelernt: »Erkenne und nutze deine Stärken. Mit den von dir gewählten Waffen wird dich keiner schlagen!«

Lina Ben Mhenni, Bloggerin der tunesischen Revolution:

Lina Ben Mhenni wurde bekannt als Stimme der Revolution. Die 28-Jährige war 2010 mit ihrem Internet-Blog eine der ersten Protagonistinnen der Jasminrevolution in Tunesien, mit der der arabische Frühling seinen Anfang nahm. Von Beginn an beteiligte sie sich am Aufstand und informierte die Außenwelt in ihrem Blog über den Protest der Jugend und die Gewalt der Sicherheitskräfte. Orte, wo grausame Dinge geschahen – Lina war vor Ort.

Ihre Ausrüstung für die Jasminrevolution? Ein Handy fürs Bild, Laptop für den Text, die Sim-Karte für die mobile Datenübertragung. Genug, um »Beweismaterial« zu sichern, wie sie es nennt, noch bevor die Propaganda des gestürzten Diktators Ben Ali so etwas verwischen konnte. Bis Anfang 2011 wurde Linas Blog vom Regime, der alten Regierung, zensiert. Ihre Kamera wurde gestohlen, die Wohnung ihrer Eltern durchsucht, ihr Freund mehrere Wochen eingesperrt, vielleicht sogar gefoltert.

Für ihren Mut war Mhenni für den Friedensnobelpreis im Gespräch. Heute reist sie durch ganz Europa, um über das Geschehene zu berichten. Und sie ist überzeugt, weiterkämpfen zu müssen, um wirkliche Demokratie für ihr Land zu erreichen. Doch sie will vor allem auch eines: erinnern! Damit die Namen der bei den Unruhen Erschossenen nicht in Vergessenheit geraten.

Hermine Reisinger, Autorin in eigener Sache:

Hermine Reisinger hat die bittere Erfahrung gemacht, dass man im Leben oft doppelt zum Opfer wird. Sie wird als sechstes Kind einer ledigen Mutter geboren. Mit 32 Tagen kommt sie ins Heim, mit sieben Monaten zu einer Pflegefamilie. Der Pflegevater tut ihr bereits in den ersten Lebensjahren schwerste sexuelle Gewalt an.

Mit zwölf wird sie von ihm schwanger und zur Abtreibung gezwungen. Mit 14 »flieht« sie in ein Erziehungsheim. Doch als ihr »Fall« publik und gerichtsanhängig wird, erfährt sie keine Hilfe, sondern nur das Gefühl, durch ihre »dreckige, sexbesessene Gedankenwelt« selber schuld und »wirklich so schlecht« zu sein. Mit 23 bekommt Hermine Reisinger nach einer Vergewaltigung eine Tochter, die bei Adoptiveltern aufwächst. Sie selbst schlittert in die Prostitution und schwere Drogen- und Alkoholsucht. Mit 42 schafft Hermine Reisinger den Weg in ein neues, besseres Leben.

In ihrem Buch »Tote Kinderseele« erzählt sie mit mutiger, schonungsloser Offenheit ihre Geschichte. Und sie lebt dafür, mit ihrem Mut zur Wahrheit anderen Gewaltopfern Mut zu machen. Mut zum Weiterleben, Mut die Täter anzuklagen, Mut zu Offenheit. Mit ihrer Initiative »Gegen sexuelle Gewalt« will sie »eine Stimme sein für die Betroffenen«. Hermine Reisinger hat ihre Betroffenheit, ihre Wut auf die Täter umgeleitet in Kreativität und Kraft: »Die Wut in mir ist noch lange nicht vergangen, die mich antreibt und mich das tun lässt, was ich als meine menschliche Pflicht allen Kinderopfern gegenüber sehe!«

Erschienen in der "Welt der Frau"-Ausgabe März 2012
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  • Veröffentlicht: 01.01.2021
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