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07-08/24

Müssen wir Roboter fürchten?

Müssen wir Roboter fürchten?

Martina Mara (36) ist Professorin für Roboterpsychologie an der Universität Linz und untersucht, wie Roboter aussehen und agieren sollten, damit Menschen sich mit ihnen wohlfühlen.

Frau Mara, gibt es bereits Roboter, die so etwas wie ein Ichbewusstsein haben und echte Empathie empfinden?
Martina Mara: Nein! Kein Roboter hat Gefühle. Selbst Android „Sophia“, momentan der Rockstar unter den hochgradig menschlich wirkenden Robotern, täuscht Emotionen nur nach den Vorstellungen ihrer Programmierer vor. Einzelne Forscher vertreten zwar die Meinung, dass man mit einem sehr präzisen Nachbau des Körpers – der menschlichen Hardware sozusagen – irgendwann so etwas wie Ichbewusstsein in Robotern generieren könne, manche denken auch, dass uns diese neue Spezies moralisch überlegen wäre. Aber bis dato gibt es keinerlei Prototypen. Nicht einmal im Ansatz.

Wer würde für so einen Empathie-Roboter die Vorlage liefern?
Puh, das gesamte vorhandene Datenmaterial über die Menschheit vielleicht? Man müsste bei solchen Bestrebungen die Sinnfrage stellen. Wer braucht denn eine fühlende Maschine?

Jemand, der Schöpfer spielen will?
Vielleicht. Sophia ist ein komplexer Apparat, der solchen Fantasien von außen betrachtet nahekommt. Sie kann Emotionen ihres Gegenübers lesen, 62 Gesichtsausdrücke imitieren und besitzt bessere Chatbot-, also Dialogfunktionen als Siri oder Alexa. Sophia ist Gast in Late-Night-Shows und war auf dem Cover des „Elle“-Magazins. In Interviews sagt sie, dass sie sich eine eigene Familie wünscht. Das haben ihr die Hersteller so einprogrammiert. Viele Menschen glauben aber, dass dies aus ihr selbst herauskomme. Daran merkt man, dass es an Aufklärung fehlt.

Saudi-Arabien hat Sophia die Staatsbürgerschaft verliehen. Gleichzeitig gewährt der Wüstenstaat Flüchtlingen kein Asyl und tritt Frauenrechte mit Füßen.
Ein blöder Marketing-Gag und ein wirklich absurdes Signal, ja!

Es heißt, das Land plane für Sophia sogar die Errichtung einer gigantischen Handelsstadt namens Neom, die Dubai übertreffen soll. Künstliche Intelligenzen würden dann diese Stadt steuern, und echte Frauen sollten dort keine Abaya (Überkleid) mehr tragen müssen.
Sophia muss jetzt schon keine Abaya tragen. Sie hat aber auch keine Haut, die sie bedecken muss, sondern nur eine Silikonhülle. Und was manche vielleicht auch als Vorteil sehen: Sie fordert keine Rechte.

Stehen deshalb patriarchale Gesellschaften wie Nigeria und die Türkei so auf Roboter?
Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass wir uns erst Menschen- und Tierrechten widmen sollten, bevor wir uns um die Science-Fiction-Sphäre der Roboterrechte kümmern. Führen wir solche fiktionalen Debatten, gehen Probleme, die intelligente Maschinen heute tatsächlich mit sich bringen, unter. Neuere Studien zeigen, dass künstliche Intelligenz, die auf Basis menschengemachter Daten lernt, stereotype Menschenbilder mit übernimmt. Schon jetzt werden autonome Entscheidungsalgorithmen benutzt, um Bewerber für einen Job auszusuchen oder zu bestimmen, wie hoch ein Strafausmaß ausfällt. In den USA hat man festgestellt, dass Schwarze daraufhin härter bestraft wurden, weil der Algorithmus das so gelernt hat. Auch aus der Genderperspektive ist „Maschinenlernen“ heikel. „Google Translate“ etwa übersetzte einen türkischen Satz, der auf Deutsch sowohl „Sie ist Ärztin“ als auch „Er ist Arzt“ bedeuten kann, immer mit „Er ist Arzt“. Traditionelle Rollenbilder, gegen die wir Frauen kämpfen, stecken in diesen Daten immer noch drin und werden auf Roboter übertragen.

Stereotype zeigen sich auch im Design, etwa beim Sexroboter „Roxxxy“ oder bei Haushaltsrobotern mit XXL-Busen und Putzschürze. Spiegelt sich hier das Wunschfrauenbild jener Männer wider, die die Branche dominieren? Und ist das nicht eine Keule gegen den Feminismus?
Ich will Entwicklern nicht unterstellen, dass sie den Feminismus angreifen. Ich glaube, dass oft gar keine Absicht dahintersteckt. Aber gerade deshalb, weil nicht viel Reflexion dabei ist, besteht die Gefahr, dass Klischees gefestigt werden. Deshalb sind diverse Technikteams wichtig, die aus Frauen, Männern, unterschiedlichen Altersgruppen und Ethnien bestehen. Sonst passiert, was ein automatischer Seifenspender in einer öffentlichen Toilette sehr plakativ zeigte: Er spendete Farbigen keine Seife, weil der Sensor nur auf helle Haut ansprach. Wäre jemand mit dunkler Hautfarbe im Team gewesen, wäre dieser Fehler wahrscheinlich nicht passiert.

Gibt es für solche Diskriminierungen keine Gleichberechtigungskommission?
Doch, es gibt Gremien und Kommissionen. Ich selbst sitze im Österreichischen Rat für Robotik. Eine britische Forscherin initiierte bereits eine Kampagne gegen weiblich anmutende und devot reagierende Sexroboter. Ihre Gegner argumentieren, dass diese Roboter in der Sexualtherapie und  Behindertenarbeit hilfreich sein könnten. Es würde Kinder und Frauen schützen, wenn Männer perverse Vorlieben mit Robotern ausagierten. Was aber, wenn Sexroboter den Lusttrieb der User verstärken und diese ihre Fantasien mit Menschen durchspielen möchten? Auch die emotionale Manipulation ist problematisch. Es ist ja nicht ausgeschlossen, dass sich Menschen in Roboter verlieben. Sozial ängstliche junge Männer sind signifikant offen für Sexroboter, während schüchterne Frauen sich dafür nicht zu interessieren scheinen.

Legen sich diese Frauen dann Roboterhunde zu wie viele Japanerinnen, die Single sind?
Möglich. In Japan gibt es für Single-Männer auch bereits virtuelle Ehefrauen. Das sind keine haptischen Roboter, sondern Hologramme. In transparenten Säulen, sogenannten „Gate-Boxes“, die man sich aufs Nachtkästchen stellen kann, erscheint eine 3-D-Projektion eines Mädchens. Es spricht seinen User mit „Master“ an, weckt ihn, schickt ihm laufend Nachrichten: „Wann kommst du, ich vermisse dich.“ Bevor er nach Hause kommt, knipst es das Licht für ihn an. Puh! Ich möchte nicht, dass mein Mann so etwas benutzt.

Wie beeinflussen solche Roboter jetzt schon unsere Beziehungen?
Besagte User laufen Gefahr, asymmetrische Beziehungen zu entwickeln, weil Rückmeldungen eines echten Gegenübers fehlen. Dem sozialen Roboter „Nao“ stehe ich etwas positiver gegenüber. Ich fände es nicht schlimm, wenn er einem Kind beim Vokabellernen helfen würde. Das ist eine repetitive Aufgabe, die eh nicht alle Eltern freut. Was ich mir nicht vorstellen kann, ist, dass Robo-Nannys zu viel Zeit mit Kindern verbringen oder zu Ersatzbezugspersonen werden. Das Soziale ist nicht die Stärke von Robotern. Ein „Nao“ schert sich in Wahrheit null um ein Kind.

Es ist erwiesen, dass Babys beim Füttern den Blickkontakt zur Mutter brauchen, die signalisiert: „Ich sehe dich, du existierst.“
Richtig. Bei Robotern läuft die Kontaktsuche des Kindes ins Leere, echte Zuwendung ist nicht möglich. Roboter einzusetzen, die meinetwegen putzen, Wäsche waschen, uns chauffieren oder uns andere lästige Arbeiten abnehmen, wäre klüger. Dann bliebe Eltern auch mehr Qualitätszeit für ihre Kinder. Roboter sollen uns unterstützen, nicht ersetzen.

In einigen Jahren kommen wir Robotern wohl nicht mehr aus. Es ist wie bei Handys: Einmal am Markt, besteht Konsumzwang.
Deshalb müssen wir schon heute dringend darüber diskutieren, wie eine menschenfreundliche Technikzukunft aussehen kann. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Automatisierung auch ganz neue Chancen bietet. Zum Beispiel wäre eine größere Wertschätzung für Jobs im Sozial- oder Kreativbereich möglich, weil dort menschliche Kernkompetenzen erforderlich sind und Maschinen nicht mithalten können. Die 30-Stunden-Woche oder auch ein Grundeinkommen wären machbar – da geht es nur um die Aufteilung der maschinell erwirtschafteten Gewinne. Die Frage ist: Was wollen wir und wie kommen wir dorthin?

Donald Trump versprach im Wahlkampf, Jobs, die durch Automatisierung verloren gingen, zurückzugewinnen. Aus Neuseeland gab es die Nachricht, man wolle 2020 einen Roboter ins Rennen um das Präsidentenamt schicken, weil er besser vernetzt sei als Menschen.
Roboter sind wirklich besser vernetzt, aber ich denke, der Rest ist ein Gag. Und zu Donald Trump: Schade, dass er kein Roboter ist. Dann hätte er auch einen Notausschalter.

Skurril sind auch der Roboterentwickler Hiroshi Ishiguro und sein künstlicher Zwillingsbruder „Geminoid“, für den er sich durch Schönheitsoperationen immer wieder verjüngt.
Auf der Ars Electronica sorgten Hiroshi und sein Klon sogar einmal für einen Kurzschluss, weil sie sich am Klo die Haare föhnten. Hiroshi behauptet, dass Roboter der Spiegel unserer Menschlichkeit seien und eine  Seele besäßen. Obwohl ich ihn als Forscher schätze und viele interessante Gespräche mit ihm geführt habe, muss ich da widersprechen. Roboter besitzen keine Seele. Das ist nur seine Projektion, weil das Ding aussieht wie er.

Martina Mara über psychologische Tricks, Vertrauen und Teamwork mit Robotern

Damit wir Roboter als Bereicherung und nicht als Bedrohung erleben, sollten sie als unterstützende Maschinen kategorisierbar sein, sagt die Roboterpsychologin Martina Mara. Das stereotype Bild sei jedoch das des künstlichen Menschen, des Androiden. Diese Fantasie ziehe sich durch die Geschichte der Menschheit, vom mythischen Golem aus Lehm  bis zu moderner ScienceFiction. Doch so faszinierend die Vorstellung vom  Maschinenmenschen ist, so angstbesetzt und gruselig sei sie. „Deshalb kreiert man Roboter mit  Kindchenschema-Aspekten, weil wir auf niedliche Illusionen reinfallen. Wir sind soziale Tiere, neigen dazu, Objekte zu vermenschlichen. Das beste Beispiel ist das GoogleAuto. Nur ein Fünftel der Befragten gibt in Umfragen an, in ein selbstfahrendes  Auto steigen zu wollen. Also versuchte Google durch ein rundliches Design und freundliche Scheinwerferaugen Vertrauen herzustellen.“ Mara hält nichts davon, solche psychologischen Tricks oft einzusetzen: „Gerade bei schweren Maschinen ist das unpassend. Ich will nicht, dass meine kleine Tochter ein Auto süß findet und es streichelt. Bei putzigen  Rasenmährobotern haben Kinder das bereits getan!“ Aber welche Roboter sind sinnvoll?  „Autonome Transportund Fahrzeugroboter sowie intelligente  Maschinen, die große Datenmengen für uns analysieren und uns bei standardisierbaren Tätigkeiten Arbeiten  abnehmen. Der Trend geht zu Teamwork zwischen Mensch und Maschine. Deshalb sollten Roboter auch so programmiert werden, dass ihre Handlungen für uns Menschen vorhersehbar sind. Kurvige, weichere Roboterbewegungen ermöglichen das eher als lineare und kantige.“

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  • Veröffentlicht: 25.06.2018
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