Aktuelle
Ausgabe:
Bewegung
04-05/24

Meine wunderbare Tochter Elisabeth

Meine wunderbare Tochter Elisabeth

Unsere Leserin Elisabeth Leitner & ihre Tochter Elisabeth im „Welt der Frauen“-Gespräch.

Welt der Frauen-Leserin Elisabeth Leitner (64) aus St. Pantaleon im Mostviertel ist pensionierte Einzelhandelskauffrau und Mutter von zwei wunderbaren Töchtern und einem ebenso großartigen „Sandwichsohn“. Ihre gleichnamige Tochter Elisabeth Leitner (42) ist die Erstgeborene. Die promovierte Architektin befasst sich intensiv mit der Frage, wie unser Land lebenswert bleiben kann. Außerdem betreibt sie einen Podcast, in dem sie mutige Frauen vor den Vorhang holt. Ob auch sie mutig ist? Wir fragten erst bei der Mutter nach und baten anschließend die Tochter zum Gespräch.

„Schon als Kind hatte Elisabeth eine starke Persönlichkeit. So etwa brillierte sie, wenn es darum ging, Gedichte vorzutragen. Sie bewarb sich auch eigenständig als Kinder-Model beim ‚Kastner & Öhler-Versand‘ und schrieb dem ORF eine Beschwerde, in der sie sich über das Programm beklagte. Sie hat nämlich nicht alles gefressen, was ihr serviert wurde. In der Jugend hatte sie es nicht leicht, zumal sie als Polizistenkind streng erzogen wurde und nie etwas durfte, was vom Gesetz her verboten war. Mein Mann ist eher konservativ. Als wir eine Familie gründeten, versprachen wir einander, in Sachen Erziehung immer an einem Strang zu ziehen. Das fiel mir des Öfteren auf die Nase, denn ich wollte meinen Kindern gelegentlich mehr durchgehen lassen. Aufgrund unserer Vereinbarung erzwang ich nichts. Aus heutiger Sicht würde ich mehr zu den Kindern stehen, auch wenn das einen Krach mit dem Partner zu Folge hätte. Dafür, was Elisabeth leistet und zuwege bringt, gebührt ihr jedenfalls mein vollster Respekt. Ihre Arbeit hat größten Wert, denn sie macht sich Gedanken, wie unser Land lebenswert bleiben kann. Dass sie sich nicht mit allem zufrieden gibt, hat sie von mir. Auch mich zwingt es mitunter, aus der Reihe zu tanzen, wenn ich etwas nicht leben kann.“

Elisabeth Leitner

„Hinter Wirtschaftskreisläufen stehen große Lobbys. Diese sorgen dafür, dass ein Umdenken nicht oberste Priorität hat“

Elisabeth Leitner im Interview

Petra Klikovits: Im Sommer 1996, Sie waren damals 17 Jahre alt, verbrachten Sie Ihre Sommerferien in Laguna Beach in Kalifornien – bei Susi, einer alten Bekannten Ihrer Mutter. Ihr Vater wollte Sie nicht allein über den Atlantik schicken und trug Ihrer Mutter auf, Sie zu begleiten.

Elisabeth Leitner: Aha! Das wusste ich gar nicht, dass Papa dahinter steckte. Ich dachte, dass Mama deshalb mitflog, weil sie Susi noch nie zuvor besucht hatte. Susi war nämlich Ende der 1960er-Jahre im Zuge einer Europa-Schülerreise nach Österreich gekommen. Mamas damalige Nachbarn hatten damals auf ein Zeitungsinserat, in dem Gastfamilien für amerikanische Schüler gesucht wurden, geantwortet, weil besagter Nachbar im Krieg positive Erfahrungen mit amerikanischen Soldaten gemacht hatte und so etwas Gutes an Amerika zurückgeben wollte. In der Annahme, dass Susi Deutsch spricht, nahmen sie das Dirndl bei sich auf, Susi sprach aber nur Englisch. Sie wiederum redeten nur Deutsch – im Dialekt! So musste Mama, die erst dreizehn Jahre alt war, als Dolmetscherin herhalten. Über die Jahre entwickelte sich zwischen ihr und Susi, die immer wieder nach Österreich zurückkehrte, weil sie später Deutsch studierte, eine echte Lebensfreundschaft. So lernte auch ich Susi kennen und erfuhr von den tollen Möglichkeiten, die ein Aupairmädchen-Job mit sich bringt.

Hat die gemeinsame Kalifornien-Reise Ihre Beziehung zu Ihrer Mutter verändert?

Ja. Ich war ihr wahnsinnig dankbar, dass Mama mich begleitete und ich somit diese Erfahrung machen konnte. Und ich freute mich für sie, dass sie die Chance ergriff, mal rauszukommen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir Boogie boarden gingen. Wir hatten so eine Gaudi dabei, denn dort in der Ferne konnten wir uns anders verhalten. Mama tat es gut, aus ihrer gewohnten Rolle zu schlüpfen und einem anderen Teil ihres Selbst Raum zu geben. Auf dieser Reise nahm ich diesen anderen Teil in ihr zum ersten Mal bewusster wahr. Bis dahin hatte ich oft das Gefühl, dass sie in einem Korsett steckt, sich den Konventionen beugt und die Rolle mitspielt, die von Frauen halt so erwartet wird.

In Ihrer Mutter steckt also ein verkanntes kalifornisches Surf-Girl?

(lacht) Das wäre Zuviel des Guten! Ich würde sagen, dass in ihr eine Frau steckt, die sich traut, Neues auszuprobieren und Spaß zu haben. Mittlerweile steht sie mehr zu sich selber, spürt sich besser und lebt zumindest einen Teil ihrer Kreativität aus. Sie zeichnet zum Beispiel hobbymäßig witzige Cartoons, mit denen sie sich selbst auf die Schaufel nimmt. Mama ließ diese Lebendigkeit über die Jahre mehr und mehr zu, was ich ihr von Herzen gönne. Mein Vater wurde sehr streng und leistungsorientiert erzogen. Dieses Denken gab er auch an uns Kinder weiter. Deshalb war ich bei Mamas Verwandten immer lieber, weil es dort einfach lustiger zuging. Ich glaube, dass es selbst meinem Papa manchmal so ging.

Nach Ihrer Matura am BORG in Linz kehrten Sie erneut als Au-Pair nach Kalifornien zurück und blieben für ein Jahr. Kathryn, die Hausherrin Ihrer Gastfamilie, war Projektentwicklerin im Wohnbau. Haben Sie deshalb entschieden, Architektur zu studieren?

Die Idee, Architektur zu studieren, hatte ich schon, bevor ich Kathryn kannte. Aber sie forcierte sie, indem sie mich zu Planbesprechungen mitnahm. Bevor ich nachhause flog, schenkte sie mir einen Gutschein für eine Beratung bei einer Handleserin. Diese meinte, dass mein Job mit „Struktur, Organisation und Kreativität“ zu tun habe werde – „etwa wie bei der Architektur“. Sie aufzusuchen, war zwar nur als Spaß gedacht, aber damit waren meine letzten Zweifel weg. Noch vor meinem Rückflug nach Österreich schickte ich meinem Vater einen Brief, in dem ich ihm mitteilte, dass ich an der TU Wien Architektur studieren werde und vorhabe, dies notfalls auch ohne Unterstützung zu schaffen. Sein Plan für mich wäre gewesen, dass ich in Linz studiere. Er meinte, das sei viel praktischer, weil ich dann zuhause wohnen könne. In diesem Brief versprach ich meinen Eltern auch, das Studium zu Ende zu bringen und sie nicht zu enttäuschen.

Wie hat Ihr Vater reagiert, als Sie ihn damit vor vollendete Tatsachen stellten?

Er hat mich nach Wien gehen lassen. Und, total entzückend: Er hob den Brief all die Jahre auf und gab mir eine Kopie davon zum Abschluss meines Studiums und Doktorats – mit den Worten: „Ich bin stolz auf dich! Du hast dein Versprechen gehalten und uns nicht enttäuscht.“

Ihre Mutter hat das ganz anders in Erinnerung. Sie erzählte mir, dass Ihre Entscheidung für Ihren Vater ein „irrsinnig großer Brocken“ gewesen sei. Er sei „aus allen Wolken gefallen“, schließlich hatte er während Ihres USA-Aufenthalts mit großem finanziellem Einsatz eine zweite Wohneinheit geschaffen.

Voll arg, ich wusste nicht, dass dieser Umbau so eng mit meiner Wahl des Studienortes zusammenhing. Ich dachte, dass meine Eltern vor allem deshalb ausbauten, weil es für alle zu wenig Platz gab. Meine Schwester Anita wohnte quasi in der Speis‘. Dahin ist sie geflüchtet, als es in unserem gemeinsamen Kinderzimmer zu eng wurde. Natürlich merkte ich damals, dass mein Vater sauer war, aber das ging wieder vorbei. Daran sieht man wieder, was Mama hinter den Kulissen alles abfing. Hätten wir damals ordentlicher kommuniziert, hätten sich meine Eltern vielleicht viel Geld ersparen können. Später zog aber meine Schwester mit ihrer Familie für ein paar Jahre im Dachgeschoss ein. Inzwischen nutzen mein Bruder und seine Freundin diesen Wohnraum.

Ihre Wohnung in Wien und Ihr Studium finanzierten Sie sich mit einem 20-Stunden-Job. Ihre Mutter sagt, dass Sie nie um Unterstützung gebeten hätten. Und dass sie es sehr bedauere, dass sie damals nichts von ihrem Geld als Hobbymalerin abgezweigt habe, um es Ihnen zuzustecken. Hätte Sie das Geld überhaupt angenommen?

Nein! Deshalb habe ich ja auch nicht gefragt. Das hat mit Stolz und Selbstständigkeit zu tun. Es gehört sich nicht, dass sich erwachsene Kinder von älteren Generationen Geld zustecken lassen, finde ich. Natürlich habe ich von meinen Eltern das Kindergeld und auch einen „Bausparer“ bekommen. Aber viele junge Leute lassen sich sogar das Häuslbauen von ihren Eltern, Schwiegereltern oder Großeltern finanzieren. Ich will weder Bittstellerin sein, noch jemandem etwas schuldig sein. Das würde mich in einen massiven Gewissenskonflikt bringen. Um nicht in diese Bredouille zu kommen, mache ich mein Zeug lieber selbst. Dann bin ich unabhängig und freier in der Entscheidung, wie ich mit meinem Leben verfahre.

Nach dem Studium arbeiteten Sie zuerst als Partnerin in einem Architekturbüro. Dort leiteten Sie ein großes europäisches Projekt und zogen mit der Ausstellung „Wonderland“ drei Jahre lang durch neun Länder. Wie war diese Zeit?

Großartig, weil ich viel reiste und mir ein Netzwerk aufbauen konnte, von dem ich noch heute profitiere. Leider habe ich mir im Zuge dessen 2007 ein Burnout eingehandelt und war mehrere Monate außer Gefecht. Rückblickend betrachtet, habe ich das gebraucht. Denn nur so habe ich gelernt, meine Grenzen wahrzunehmen und zu achten. Mittlerweile kann ich sogar körperlich spüren, wenn mir etwas zu viel wird und ich vom Gas steigen sollte. Sehr geholfen hat mir auch eine Psychotherapie, die ich in schwierigen Zeiten immer wieder aufnehme. Als ich wieder bei Kräften war, arbeitete ich kurz in einer Kommunikationsagentur, weil ich nebenher das berufsbegleitende Studium „Eventmanagement“ absolviert hatte. Doch dann bot sich mir die Gelegenheit, als Uni-Assistentin an der TU Wien einzusteigen und neben meiner Lehrverpflichtung mein Doktorat zu machen. Während der Schlussphase meiner Doktorarbeit lebte ich sechs Monate lang wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“. Jeder Tag war gleich, ich habe 24 Stunden lang nur geschrieben. Mein Highlight des Tages war das Fotografieren meines Müslis. Sonst gab es keine Freuden. Leider bin ich ein sehr kopflastiger Mensch und spüre mich oft zu wenig. So war das auch 2016, als ich meinen Job als Studiengangleiterin für Architektur an der Fachhochschule Kärnten annahm. Dieser Job machte mir prinzipiell großen Spaß, aber ich war in Strukturen gefangen, in denen es mir nicht gut ging. Ich hatte das Gefühl ich verwelke.

Was hat Sie in diesem Job genau verwelken lassen?

Das Scheuklappendenken, teilweise auch das resignierte Handeln mancher Verantwortlichen und das beharrende Aufrechterhalten von Strukturen, die nicht sinnvoll waren. Nach meiner ersten Kündigung dort kam man mir entgegen, doch letztlich wurde kaum etwas von dem, was versprochen wurde, eingehalten. Dieses Gegen-die-Wand-laufen hat mich zermürbt und geschwächt. Auch mein Geist sagte mir immer lauter „Ich will das nicht mehr!“ Doch soviel ich auch nachdachte: ich wusste nicht, wie ich aus der Situation heraus komme und wohin ich gehen sollte, denn eigentlich wär es ja eine schöne berufliche Aufgabe mit einem tollen Team gewesen. Deshalb konnte ich auch nicht loslassen (ihre Stimme klingt weinerlich). Glücklich war ich damals nur mehr in der Bewegung, im Chor und wenn Freunde um mich waren.

Gab es in dieser Depression einmal den Gedanken: „Ich will nicht mehr leben?“

Nein – absolut nicht, aber es gab den Gedanken „Ich will so nicht mehr leben.“ Dieses kleine Wort „so“ ist entscheidend. Reflektieren konnte ich das alles im Zuge einer Körpertherapie, die mir die Kraft gab, auszusteigen und wieder lebendig zu werden. In der Therapie lernte ich, wie man genügend Energie aufbaut, um weggehen zu können. Verstärkt wurde dieser Prozess durch die Trennung von meinem damaligen Lebensgefährten Amir, mit dem ich 14 Jahre lang liiert war. Amir ist auch Architekt. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater kommt aus Eritrea, doch gelebt hat Amir zum Schluss in Stockholm. Als er dahin zurückkehrte, weil er sich selbständig machte – was ich unterstützt habe –, führten wir eine Fernbeziehung, die uns durch das Hin-und Herfliegen sehr viel Energie raubte. Nach unserer Trennung gewann ich wieder Energie zurück. Ich kündigte meinen Job ein zweites Mal und fing an, dem Leben zu vertrauen. Darauf zu vertrauen, dass ich auch als selbstständige Architektin über die Runden kommen kann. Ich verstehe nicht, warum ich so lange geglaubt habe, durchhalten zu müssen.

Da kommt noch einiges an Emotionen hoch. Aber gut so, alles muss raus.

(lacht) Das stimmt!

Es gibt viele Frauen, die unerträgliche Situationen lange aushalten. Sie verharren darin, auch wenn sie sie eigentlich verlassen möchten. Sie machen mit und bauen sich mit dem Satz „Es wird schon“ immer wieder auf…

Auch ich bin der Meinung, dass man Dinge nicht sofort aufgeben sollte, wenn es mal schwierig ist. Doch die Hoffnung, dass es schon wird, ist tückisch, weil sie einen nicht rettet, sondern einen noch mehr in den Schmerz treibt. Vielleicht sind wir Frauen besonders leidensfähig. Vielleicht sind wir auch zu gutgläubig. Vielleicht lernen wir aber auch zu wenig, dass wir alle jederzeit eine neue Richtung einschlagen können, wenn wir nicht mehr glücklich sind. Diese Aufgabe nimmt uns niemand ab. Und das ist gut so. Wir müssen nur mehr unserem Bauchgefühl trauen und in Aktion treten. Zum Glück wird das im Alter, mit zunehmender Reife, besser! Mutige Frauen braucht das Land!

Genau so heißt auch Ihr Podcast www.mutigefrauen.at, den Sie seit kurzem mit Ihrer Freundin und Architekturkollegin Raffaela Lackner betreiben. Dafür interviewen Sie beide jeden Monat eine andere couragierte Frau aus Österreich – unter anderem Bernadette Schöny, die jüngste Bürgermeisterin des Landes. Warum ist Ihnen so wichtig, Frauen eine Bühne zu geben?

An der TU Wien war ich im „Arbeitskreis für Gleichbehandlung“. Dort wurde ich für dieses Thema sensibilisiert. An der FH Kärnten war das noch nicht im System verankert, denn ständig erklärte man(n) mir, dass eh alles getan werde, um eine Gleichbehandlung der Geschlechter zu erreichen, aber dass sich das leider nicht so einfach umsetzen ließe. Bei so einem Stehsatz werde ich wütend, denn es gibt auch kleine Maßnahmen, die man implementieren kann! Zu meinem Entsetzen trugen auch zu viele Frauen diese Haltung mit. Auch im Rahmen meiner anderen Tätigkeiten und gemeindeentwicklungspolitischen Engagements ist Ungleichbehandlung noch viel zu oft Alltag. Solange Selbstdarstellung in unserer Gesellschaft so wichtig ist, muss man auch Frauen eine entsprechende Bühne geben. Dieser Ansicht ist auch meine Kollegin Raffaela Lackner, die das „Architekturhaus Kärnten“ leitet. Auch sie machte ähnliche Erfahrungen wie ich. Daher stellen wir in unserem Podcast nicht nur taffe Frauen vor, sondern versuchen auch, patriarchale Denkstrukturen zu hinterfragen, und dadurch den ländlichen Raum im positiven Sinne weiterzuentwickeln.

Das tun Sie auch als Obfrau des Vereins „LandLuft“, indem Sie sich als Fachfrau für Ortsgestaltung einbringen. Ihre Mutter sagt, dass Ihnen immer die Haare zu Berge stehen, wenn Sie Bausünden entdecken und sehen, wie Dörfer verunschönt werden. Was können Bürgerinnen und Bürger tun, damit Österreich nicht noch mehr zugepflastert wird?.

Ein großes Problem sind die leerstehenden Ortskerne sowie die wachsenden Gewerbeparks und Gewerbegebäudeleichen. Das gilt auch für den privaten Bereich. Statt bestehende alte Gebäude zu sanieren, ziehen es junge Häuslbauer vor, sich in Neubauten an der Peripherie anzusiedeln, denn das wird gefördert – die Adaptierung von Gehöften und Bestandsgebäuden ist deutlich komplizierter. Durch die Bebauung des Grünlands steigt aber der Landverbrauch. Die Generation der „Babyboomer“ wuchs mit dem Gedanken auf, dass jedem sein eigenes Einfamilienhaus zusteht. Dieses Denken wurde an die nächste Generation weitergegeben. Vor dem Zweiten Weltkrieg war das nicht üblich.

Es liegt auf der Hand, dass es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, dass jeder sein eigenes neu gebautes Haus haben kann, denn bereits jetzt schädigt die bisherige Bau-Unkultur die Umwelt massiv

Corona hat diesen Traum vom eigenen Haus im Grünen noch mehr befeuert.

Deshalb steigen die Immobilienpreise gerade ins Unermessliche. Auch Neid spielt mit – so nach dem Motto: „Wenn der Nachbar ein Haus baut, will ich auch eines haben!“ Dabei kann man sich das ohnehin fast nicht mehr leisten! Es liegt auch auf der Hand, dass es in Zukunft nicht mehr möglich sein wird, dass jeder ein eigenes neu gebautes Haus haben kann, denn bereits jetzt schädigt die bisherige Bau-Unkultur die Umwelt massiv. Jede neu errichtete Wohnsiedlung braucht nämlich Straßen und eine entsprechende Infrastruktur. Die Leute müssen ja auch mobil sein, um zum Beispiel ihre Einkäufe erledigen zu können. In einer Familie, in der Mann und Frau arbeiten, braucht es dann aber auch meist zwei Autos. Sprich: Je mehr man baut, umso mehr Zusatz-Bedarf wird generiert. Hinter diesen Wirtschaftskreisläufen stehen große Lobbys. Diese sorgen dafür, dass ein Umdenken nicht oberste Priorität hat. Hermann Knoflacher, seines Zeichens emeritierter Professor für Verkehrsplanung an der TU Wien, appellierte schon in den 1970er-Jahren für ein Umdenken. Aber der Mensch ist halt auch ein faules Wesen und geht meist den Weg des geringsten Widerstandes. In der Klimafrage kommen wir damit nicht weiter.

Es sei denn, die Politik handelt endlich.

So ist es! Im aktuellen Regierungsprogramm steht zwar, dass der Bodenverbrauch gebremst werden soll, aber solange praktisch nichts verändert wird, ist das bloß ein Lippenbekenntnis. In Wahrheit hütet sich die Regierung davor, diese unbequeme Entscheidung zu treffen, denn die WählerInnen würden sie nicht befürworten. Und keine Partei will Wählerstimmen verlieren. Wenn die Politik wirklich etwas nachhaltig verbessern will, müssten beispielsweise Umbaumaßnahmen zu 200 Prozent gefördert werden – und Neubauten nur zu 80 Prozent von der jetzigen Ausgangsbasis. Dann würde sich das Verhalten der Menschen ganz schnell ändern. Es gibt zwar bereits eine Reihe Förderungen für Umbauten, doch diese werden zu wenig genutzt, weil der Zugang zu ihnen kompliziert ist. Baue ich hingegen ein neues Haus, weiß jeder Bankberater wie er einen Wohnbaukredit vergibt.

Gehört Ihrer Ansicht nach auch die Baugestaltung neu reguliert?

Auf jeden Fall, denn ein schirches Haus reiht sich an das nächste schirche Haus. Besser als Regulierung wäre allerdings Aufklärung. Früher gab es regionale Bauweisen und eine Fassadenfarbpalette, die sich mit der Natur vertrug. Heute schreien einen die Häuser förmlich an: „Hallo, hier bin ich! Ich bin orange!“ – als müssten sie individuell herausstechen. Und das Thema Farbe ist nur eines von vielen. Ich denke es bräuchte hier Sensibilisierung, Bildung und das Bewusstsein, dass Gestaltung – sofern sie den öffentlichen Raum berührt – keine private Geschmacksfrage ist.

Was tun Sie als Obfrau von „LandLuft Österreich“, um ein Umdenken einzuleiten?

Wir holen Gemeinden, die solche Umdenkprozesse bereits umsetzen und die Umwelt gemeinschaftlich gestalten, als Best-Practice-Beispiele vor den Vorhang. In diesen Gemeinden braucht nicht jeder Verein sein eigenes Haus. Stattdessen geht es dort um multifunktionale Nutzungen. Wenn man das über viele Jahre macht, entsteht eine Dorfgemeinschaft. Dann entwickelt sich ein Ort auch nachhaltig und schön weiter. Solche Gemeinden sind zum Beispiel Feldkirch, Göfis, Mödling, Andelsbuch, Thalgau oder Trofaiach – alles Gemeinden aus dem aktuellen Verfahren um den „Baukulturgemeinde-Preis 2021“. In Trofaiach etwa gab es ein komplett totes Ortszentrum. Inzwischen ist in 20 von 40 leerstehenden Geschäftslokalen wieder Leben eingezogen. Jede Gemeinde, die das auch will, kann sich an uns wenden. Wir helfen gerne weiter.

Warum gibt es keine BaumeisterInnen, die alte Häuser, Höfe und Gebäude kaufen, umbauen und schlüsselfertig jungen Familien, Singles, Senioren oder WGs anbieten – als Miet-und Eigentumsobjekte und selbstverständlich im leistbaren Rahmen?

Das ist eine gute Idee! Ich kenne hier keine schlüsselfertigen Beispiele, sondern nur Beispiele wo Architekturbüros solche Planungen übernehmen, denn viele Kundinnen und Kunden wollen ja mitreden und in ihren Häusern auch ihre eigenen Ideen verwirklicht sehen, vor allem wenn es um Umbau geht. Wir Architektinnen und Architekten können Pläne lesen und somit die Zukunft sehen. Ein Otto-Normal-Verbraucher kann das oft nicht. Deshalb zeigt die Wohnraumforscherin Julia Lindenthal anhand von verschiedenen Einfamilienhaus-Grundrissen wie diese Häuser unterschiedlich umgebaut werden könnten – je nach Nutzung. So wäre WG-Wohnen, Wohnen und Arbeiten etc. möglich. Solche adaptierten Wohnräume haben auch mehr Charme als irgendwelche Fertigteilhäuser aus der „Blauen Lagune“. Auch in dieser Sache helfen wir bei „LandLuft“ weiter. Ich glaube, dass sich auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren sehr viel tun wird, auch deshalb, weil wir bereits jetzt im ganzen Land einen enormen Überhang an leerstehenden Häusern haben. Das wird so weitergehen, weil viele glauben, neu bauen zu müssen. Wenn die Leute sterben, sind diese Häuser alle am Markt. Und weil Grund und Boden immer knapper und teurer werden, wird es nur noch die Option der Revitalisierung geben. Meine große Hoffnung!

Sie denken auch noch in anderer Sicht weiter: 2024 wird Österreich zum dritten Mal „Kulturhauptstadt Europas“ sein. Sie befassten sich schon vor zehn Jahren damit. Wie kam es dazu?

Das war die Nachgeburt meiner Doktorarbeit, die ich zum Thema „Kulturhauptstadt“ schrieb. Ich wollte mein Wissen dem Staat zur Verfügung stellen – im Rahmen einer bundesweiten und hochschul-übergreifenden Lehrveranstaltung. Das Interesse daran war enorm, doch im Bundeskanzleramt schaute man mich nur mit großen Augen an. Dort befand man eine umfangreiche Informationskampagne mit zehnjähriger Vorlaufphase nicht für nötig. Die Lehrveranstaltung fand trotzdem statt. Daraus ergaben sich zahlreiche StudentInnen-Projekte, die 2016 im Rahmen einer Ausstellungsreise ein Jahr lang bundesweit vorgestellt wurden. Anfangs wurden wir belächelt, doch letztlich entsprang der Funke, dass Bad Ischl 2024 Kulturhauptstadt Europas wird, einem Studierendenprojekt von uns.

Sie verwendeten gerade den Begriff „Nachgeburt“. Das ist witzig, denn Ihre Mutter sagt, dass Ihre Projekte Ihre „Babys“ seien. Dafür würden Sie sich genauso verausgaben wie Mütter das in der Kindererziehung oft tun. Daran sieht man, wie weitgefasst der Begriff ist. Eine Mutter ist nämlich auch jede Frau, die Leben in Form von sinnvollen Projekten in die Welt setzt.

Das ist eine schöne Metapher und tatsächlich meine Form der Mutterschaft. Ich konnte mir zwar vorstellen, Kinder zu haben, räumte diesem Wunsch aber nie die höchste Priorität ein. So verschlief ich den richtigen Zeitpunkt. Könnte ich das Rad der Zeit zurückdrehen, würde ich es anders machen. Andererseits möchte ich auch nicht Erfahrungen missen, die mir als kinderlose Frau möglich waren.

Sie sind erst 42 Jahre alt. Zeit wäre also noch…

Ja, wer weiß. Aktuell sieht es aber nicht danach aus. Auch in meiner Rolle als vierfache Tante und Taufpatin – meine Schwester Anita hat eine ganze Rasselbande – kann ich Gutes tun.


Elisabeth Leitner mit ihren Nichten und Neffen, sowie ihren Eltern, ihren Geschwistern und deren Partnern.

Petra KlikovitsPetra Klikovits

In ihrer monatlichen Onlinekolumne „Meine wunderbare Tochter“ führt Petra Klikovits bewegende Gespräche mit Töchtern, Schwiegertöchtern, Enkeltöchtern, Stieftöchtern, Adoptivtöchtern, Pflegetöchtern, Patchwork-Töchtern und anderen Bonustöchtern von Leserinnen, die auf diese via [email protected] aufmerksam machen. Mehr von Petra Klikovits lesen Sie jeden Monat in  Welt der Frauen.

Stolz ist Mama Elisabeth auch auf ihre zweite wunderbare Tochter: „Anita ist Sonderpädagogin (in Karenz) und Vierfachmami und hat ein bewundernswertes Einfühlungsvermögen. Sie schupft die Büroarbeiten ihres selbständig tätigen Gatten neben Hausbau und dem Haushalt. Außerdem schließt sie gerade eine Ausbildung zur Lerntrainerin für Legasthenie und Dyskalkulie ab und betreut bereits erste Kinder. Das muss man alles erst mal schaffen!“

LESETIPP
Auch Elisabeth Leitners Mutter hat ein besonderes Talent. Welches das ist, erfahren Sie in der aktuellen Juli-August-Ausgabe von „Welt der Frauen“.

Fotos: privat

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 27.06.2021
  • Drucken