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04-05/24

Meine wunderbare Tochter Claudia

Meine wunderbare Tochter Claudia

„Welt der Frauen“-Leserin Edith Dabringer (77) aus Wenns in Tirol ist pensionierte Sekretärin und weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, Mutter zu werden. Ihr Kinderwunsch erfüllte sich dennoch, als 1966 ihre Tochter Claudia (54) geboren wurde. Schon als Mädchen begegnete Claudia allen Menschen offen, zugänglich und aufgeschlossen und kam mit jedem leicht und schnell ins Gespräch. Diese Empfänglichkeit der Welt gegenüber zeigt die studierte Publizistin in ihrer Reiselust, in ihrem Beruf als freischaffende Journalistin, Buchautorin und Schreibpädagogin, aber auch in der Fähigkeit, das Leben so anzunehmen wie es ist. Lässt sich diese Haltung lernen? Wir fragten erst bei der Mutter nach und baten anschließend die Tochter zum Gespräch.

„Am meisten bewundere ich an meiner Tochter, dass sie sich so viel traut. Damit meine ich nicht nur ihre weiten Reisen – etwa nach Südafrika –, sondern auch ihre unerschrockene, zuversichtliche Art zu leben. Als sie sich vor vielen Jahren in einen verheirateten Mann und Familienvater verliebte, hatte ich große Bedenken. Aber dann kam alles ganz anders. Claudia kümmerte sich rührend um ihre drei Bonus-Kinder, liebevoller als es manch leibliche Mutter tut. Inzwischen sind die drei schon erwachsen, erfolgreich in ihren Studien und freuen sich, auch mit ihren Partnern bei unserer Tochter willkommen zu sein. Claudia ist und bleibt ein Fixpunkt in deren Leben.“
Edith Dabringer

Wie Claudia Dabringer ihre Bonus-Mutter-Rolle anlegte, erfuhren wir im Interview: 

 „Ich war eine sehr zufriedene Geliebte“

Claudia DabringerIhre Mutter hat mir erzählt, dass Sie als 16-jährige Gymnasiastin das erste Mal ohne ihre Eltern zu einer Reise aufbrachen – zu einem dreiwöchigen Sprachaufenthalt in England. Danach seien Sie „nicht mehr zu halten“ gewesen. Was ist passiert?
(lacht laut auf) Als Kind musste ich im Sommer immer Socken tragen. Nur so durfte ich in meinen Schuhen laufen. Welche Intention meine Mutter damit verfolgte – nicht verkühlen oder Füße schonen – weiß ich nicht. Ich habe es auch nie hinterfragt, denn als Kind verlässt man sich darauf, dass es die Eltern eh besser wissen. Aus diesem Grund stieg ich damals auch mit Socken in den Sommerschuhen in den Zug. Doch noch bevor ich einen Sitzplatz ergatterte, zog ich mir die Socken aus und stieg barfuß in meine Schuhe. Das war der ultimative Moment, mir das selbst zu erlauben! Sie können sich nicht vorstellen, was das für ein Befreiungserlebnis war!

Was, außer der Sockenpflicht, engte Ihre kindliche Seele damals noch ein?
Mein Heimatdorf, in dessen Fokus ich stand. Das war furchtbar! Das Problem war, dass mein Vater als Arzt eine exponierte Stellung hatte. Jeder, der am Land groß wird, weiß, dass es dort drei wichtige Menschen gibt: den Bürgermeister, den Pfarrer und den Doktor. Nachdem der Doktor aber nur ein Kind hatte, hat jeder im Dorf auf dieses Kind geschaut. Oft haben mich die Leute sogar in der Praxis verpetzt, nur weil ich sie auf der Straße nicht gegrüßt hatte. Dass ich sie ohne meine Brille nicht sehen konnte, kümmerte sie nicht. Alles, was ich damals wollte – und vermutlich jeder junge Mensch in diesem Alter – war, wie die anderen zu sein.

Nach der Matura brachen Sie in die weite Welt auf. Zuerst ging es mit einer Freundin in einem umgebauten Lieferwagen über große Pässe in die Schweiz. Später dann nach Italien, Malta, auf Inseln im Atlantik und mit 22 Jahren alleine in die USA.
Ganz so allein war ich nicht. Ich hatte in Ohio und New York ja Verwandte und Studien-Freunde, bei denen ich wohnte. Bei der Verabschiedung am Flughafen sah ich meinen Vater das erste Mal weinen. Es muss ein einschneidendes Erlebnis für ihn gewesen sein, als er mich, das einzige Kind, loslassen musste. Angst um mich hatte er nicht. Im Gegenteil: Er hatte klare Vorstellungen von dem, was man mir zutrauen konnte. Damit saß er aber in der Zwickmühle, weil mir meine Mutter immer weniger zutraute als er. Bis vor wenigen Jahren war er der Puffer zwischen ihr und mir und musste ständig vermitteln. Meine Mutter und ich haben uns über weite Strecken meines Lebens oft missverstanden. Ich war sehr rebellisch…

… und Ihre Mutter? War sie eine Glucke, die Sie behütete, weil Sie das einzige Kind sind?
Meine Mutter war selbst das einzige Kind. Sie hatte eine unglaublich dominante Mutter. Meine Großmutter Rosina war eine wahnsinnig starke Persönlichkeit und hat ihrer Tochter alles vorgeschrieben. Sie hat sie sogar beim Ausgehen verfolgt und wollte nicht, dass sie Männer kennenlernt. Sie war das, was man heute eine „Helikoptermutter“ nennt. Oma wurde 102 Jahre alt. Selbst mit 100 hatte sie noch mehr Temperament als meine Mutter und ich zusammen. Eine großartige Frau! Wir haben uns wunderbar verstanden, was für meine Mutter schlimm war. Denn ich bekam die Anerkennung, die sie sich immer gewünscht hätte. Irgendwie tat sie sich bei ihrer eigenen Tochter schwer damit. Meine Oma war eine Macherin. Sie nahm ihr Leben selbst in die Hand, fuhr allein Motorrad und ging allein auf den Berg.

Zurück zu Ihrer Mutter: Auch für sie war Ihre Reise nach Amerika eine schwierige Loslass-Übung. Trotzdem bewundert sie Sie für Ihren Mut!
Das freut mich sehr. Ich hatte immer das Gefühl, dass sie das nicht nachvollziehen kann. Meine Mutter wollte nie irgendwohin. Sie hat diese Neugier für die Welt nicht. Sie kann sterben, ohne das Taj Mahal und den Tafelberg in Kapstadt gesehen zu haben! Das verstand ich lange nicht. Ich entwickelte erst spät ein Verständnis dafür, dass man einen Menschen aus seinem Kontext heraus verstehen muss. Erst als ich das begriff, wurde unser Verhältnis sehr viel besser.

Gab es da ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Ja. Als ich mich mit 30 Jahren Hals über Kopf in einen jungen Mann verliebte, hat meine Mutter anfangs unglaublich gegen ihn gewettert. Auch meine Großmutter hatte einst gegen meinen Vater gewettert – bis ungefähr 15 Jahre vor ihrem Tod. Als mir das bewusst wurde, sagte ich zu meiner Mutter: „Du hast die Wahl: Entweder du gibst mir dieselbe Erfahrung, die du mit deiner Mutter hattest, weiter. Oder, du gehst einen anderen Weg und überlegst dir, wie du dich Tom gegenüber verhältst.“ Ab diesem Zeitpunkt hörten ihre Sticheleien auf.

Besagten Tom lernten Sie 1996 bei einem Radiosender kennen, für den Sie beide arbeiteten. Als sie zusammenkamen, war er verheiratet, hatte zwei kleine Kinder und eine schwangere Frau, die seinen jüngsten Sohn unterm Herzen trug. Verständlich, dass Ihre Mutter Rot sah!
Auch ich hatte damals einen Freund, war aber hochfrustriert in dieser Beziehung. Tom wiederum fand ich immer schon attraktiv, obwohl fünf Jahre lang nie etwas passiert ist. Doch ich spürte, dass er mit seinem Leben unzufrieden war. Eines Abends gingen wir nach der Arbeit auf einen Drink. Da dachte ich insgeheim: „Diesen Mann würde ich gern küssen!“ Und Tom küsste mich tatsächlich. Wir beide spürten sehr bald, dass da mehr zwischen uns war. Unmittelbar nach dem Kuss beendete ich meine Beziehung und ließ mich auf eine Affäre mit Tom ein.

Eines der zehn Gebote lautet: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Mann oder Frau“. Sie wurden katholisch erzogen. War dieses Gebot in dieser Situation nicht relevant für Sie? Und haben Sie nicht versucht, sich Tom aus dem Herzen zu schlagen?
Nein, denn Liebe lässt sich nicht steuern. Aber auch ich wollte nicht, dass er seine Familie deshalb verlässt. Also haben wir uns nur einmal pro Woche heimlich getroffen. Für mich war das okay. Denn in der restlichen Zeit hatte ich meine FreundInnen, die Arbeit und konnte tun, was ich wollte.

Haben Tom und Sie in dieser Zeit auch über eine gemeinsame Zukunft gesprochen oder fielen Sie bei Ihren Schäferstündchen immer nur über einander her?
(Lacht) Letzteres wäre mein ursprünglicher Plan gewesen, doch sehr schnell kamen tiefere Gefühle ins Spiel, die wir als Liebe bezeichneten. Daraufhin ließ ich ihn wissen: „Wenn etwas ist, ich bin da.“ Als seine Frau uns ein halbes Jahr später auf die Schliche kam und ihn vor die Tür setzte, war mein Dasein gefragt. Seitdem begleitet Tom mein Leben.

Wann informierten Sie Ihre Eltern über Ihre Liebesbeziehung? Und wie reagierten sie?
Meinen Vater weihte ich schon recht früh ein, bei einem gemeinsamen Urlaub in Syrien. Er hat die Situation unterschätzt, was vermutlich der Tatsache geschuldet ist, dass er sich schon viele Geschichten von meinen Liebschaften anhören musste. Er dachte: „Das wird auch vorbeigehen“. Meiner Mutter hat Papa nix erzählt. Wohl auch, um sie zu schützen. Offiziell gemacht habe ich meine Partnerschaft erst, als Tom bei mir einzog. Meine Mutter fiel aus allen Wolken und auch Oma rief: „Schick ihn zurück, schick ihn zurück!“ (lacht) Ich antwortete: „Aber das geht doch nicht, seine Frau hat ihn ja rausgeschmissen!“ Und gut war’s, dass ich ihn behielt! Denn Tom und Oma haben sich blendend verstanden! Es ist auch schön, ihn mit meiner Mutter zu erleben. Jahrelang hatte sie mit dieser Beziehung zu kämpfen gehabt.

Was war die größte Sorge Ihrer Eltern in Bezug auf Tom?
Meine Mutter befürchtete, dass mich Toms Kinder nicht akzeptieren würden. Mein Vater meinte sogar unter Tränen: „Das wird nicht gutgehen! Du wirst die Kinder von ihrem Vater trennen.“ Aus seiner Sicht waren seine Sorgen durchaus nachvollziehbar. Denn mein Vater war selbst ein Scheidungskind. Er kam mit seiner Stiefmutter nie zurecht, weil diese alles versuchte, um den Kontakt zum Vater zu unterbinden. Aber in meinem Fall lief es anders. Mir war klar, dass die Kinder ein Recht auf die Zeit mit ihrem Vater haben, und dem wollte ich keinesfalls im Wege stehen. Vor allem die beiden älteren haben die Trennung doch einigermaßen bewusst erlebt und durch die veränderte Situation auch gelitten. Sie habe ich zuerst kennengelernt, nach sechs Monaten  machte ich dann die Bekanntschaft des Jüngsten. Der sich übrigens erst im Alter von circa drei Jahre entschied, mich zu mögen.

Wie fühlte es sich an, als auf einmal drei fremde Kinder in Ihr Leben stolperten?
Ich habe mich so gefürchtet vor dieser Begegnung. Vor allem davor, dass ich nicht weiß, was ich mit ihnen anfangen soll. In meinem Freundeskreis hatte nämlich bis dahin niemand Kinder. Tom meinte: „Sei einfach du selbst und reagiere auf das, was dir die Kinder anbieten“. Das tat ich. Die Kinder waren total zutraulich. Sie machten es mir in keinem einzigen Moment schwer.

 

Familie

Claudia Dabringer mit ihrem „Lebensmenschen“ Tom und den drei Kindern, die er in die Beziehung gebracht hat. „Gerade von verheirateten Frauen, die Kinder haben, erfahre ich viel Wertschätzung, weil ich drei fremde Kinder großgezogen habe“, sagt sie.

 

Nicht immer läuft das so reibungslos. Manche Mütter wiegeln ihre Kinder gegen die neue Partnerin des Vaters auf.
Das stimmt. Aber Toms Ex-Frau traf da eine bewusste Entscheidung, weil sie selbst ein Scheidungskind war und die neue Frau ihres Vaters nie mögen durfte. Das wollte sie anders machen. Und die Entscheidung war gut, weil sie irgendwann über Ecken erfuhr, wie hingebungsvoll ich mich um ihre Kinder kümmerte. Fortan kamen sie nicht nur alle 14 Tage zu uns, sondern öfter – zum Beispiel zum Lernen oder in den Ferien. Dadurch entwickelte sich eine sehr enge Beziehung. Meine Tochter sagt noch heute, dass sie drei Elternteile hat: ihren Vater, ihre Mutter und mich, „die Claudia“. Mein Name ist eine Funktionsbeschreibung. Er steht für „die wilde Mutter“. Das klassische Muttertier habe ich nie in mir gespürt.

Wie haben Sie Ihre „Wilde Mutter“-Rolle angelegt?
Als Zusatzangebot. Waren die Kinder bei uns, war die Beziehung zwischen Tom und mir sekundär. Da standen nur die Bedürfnisse der Kinder im Mittelpunkt. Niemals haben Tom und ich in deren Anwesenheit diskutiert oder gestritten. Denn ich wusste, dass die Kinder durch die Trennung ihrer biologischen Eltern traumatisiert waren und die Gesprächsbasis bis heute gestört ist. Umso mehr bemühte ich mich, ihnen eine Art klassisches Familienumfeld zu bieten. Ich wollte ihnen auch zeigen, dass ihr Vater sehr wohl in der Lage ist, in einer Beziehung zu bleiben.

Wie ging es mit Toms Ex-Frau weiter?
Anfangs beschuldigte sie mich, ihre Ehe gesprengt zu haben. Dieser Vorwurf ist natürlich, denn meist ist die Eindringende der Bösewicht und nicht der eigene Ehemann, der das Eindringen ermöglicht. Aber als sie hörte, wie nett ich mit ihren Kindern umgehe, meinte sie: „Wir brauchen nicht mehr böse aufeinander sein“. Ab diesem Zeitpunkt war da Frieden zwischen uns. Immer wieder besprachen wir Dinge, die die Kinder angehen, gemeinsam. Ja, selbst jetzt, wo die Kinder erwachsen sind, dauert unsere gute Beziehung an. Die Basis dafür ist, dass wir beide die individuellen Leistungen der jeweils anderen sehr wertschätzen. Ich bewundere sie sehr dafür, wie sie das Leben als alleinerziehende Mutter von drei Kindern gemeistert hat und dabei oft an ihre Grenzen gegangen ist.

Haben Sie und Tom je überlegt, zu heiraten und ein gemeinsames Kind zu bekommen?
Ich wollte nie heiraten. Die Entscheidung „Kind ja oder nein?“ überließ Tom mir, weil er schon drei hatte. Ich überlegte, entschied mich aber dagegen. Erstens: weil ich kein Kind benötige, um eine Beziehung zu festigen. Zweitens: Weil es für Toms Kinder schlecht gewesen, wenn da noch ein Kind dazugekommen wäre. Denn dieses Zwergerl hätte unweigerlich die Aufmerksamkeit des Vaters, die ohnehin schon knapp bemessen ist, von ihnen abgezogen. Das wollte ich nicht! Man kann auch ohne Kind und Trauschein glücklich sein.

Trotzdem ging Ihre Beziehung mit Tom 2014 nach 17 Jahren in die Brüche. Warum?
Tom hatte über die Jahre psychische Probleme entwickelt. Aus meiner Sicht kam da vieles zusammen: Jobverlust, eine sich wandelnde Arbeitswelt, daraus resultierende finanzielle Probleme. Und ein schwerer Autounfall, der eigentlich nicht zu überleben gewesen wäre. Das alles hat an seinem Cowboy-Auftreten genagt, bis nichts mehr übrig war. Das muss man erst einmal verkraften, wenn die Identität wegbricht. Am Höhepunkt dieser Krise begab er sich fünf Wochen auf den Jakobsweg. Ich erinnere mich noch daran, dass ich auf der Aussichtsterrasse des Flughafens gestanden bin und ihn unter den aussteigenden Passagieren gesucht habe und ihn nicht erkennen konnte. Sein Gang hatte sich vollkommen verändert, und mit ihm war auch der Mensch friedlicher geworden. Doch als er dann wieder Geld verdienen wollte, musste er erfahren, dass vielerorts Friedlichkeit als Schwäche ausgelegt wird. Und das hat seinen Arbeitswillen komplett gebrochen. Psychopharmaka waren übrigens nie ein Thema. Mir war wichtig, dass er Zugang zu seiner Kreativität behielt und nicht einfach medikamentös in eine Gesellschaftsordnung gedrängt wurde.

Wie haben Sie auf diese Veränderung Ihres Partners reagiert?
Über Jahre war ich für ihn finanzielle Erhalterin, Sekretärin, Köchin, Hausfrau, Gartenbetreuerin – nur nicht mehr die Geliebte. Diese Seite von Partnerschaft hatte er für sich beendet. Lange Zeit sprach ich mit niemandem über Toms Probleme. Erst als seine Kinder uns ein Ultimatum stellten – „Wenn der Papa so weiter macht, kommen wir nicht mehr“ – suchte ich Rat in einer Selbsthilfegruppe. Der Austausch mit Gleichgesinnten half mir dabei, den Kindern die schwierige Lage zu erklären und ihnen eine Schiene zu legen, wie sie trotzdem in Beziehung mit ihrem Vater bleiben können. Ab diesem Zeitpunkt fing ich auch an, meinen Eltern und engsten FreundInnen von diesen Problemen zu erzählen. Irgendwann war ich mit meiner Energie dennoch am Ende. Ich stellte fest, dass mir Tom die Freiheit, die er mir am Anfang unserer Beziehung geschenkt hatte, gegen Ende wieder nahm. Diese Freiheit wollte ich zurück. Vor allem wollte ich alleine sein und wieder meine eigenen Gedanken denken können. Also trennte ich mich von ihm und bat ihn, auszuziehen.

Wie hat Tom auf Ihre Entscheidung reagiert?
Er hat sie akzeptiert. Ich versicherte ihm: „Ich werde dich nicht fallen lassen, sondern dich bei allem unterstützen, was du brauchst.“ Und genauso kam es. Der Weg führte in eine Pension, in ein Kloster und schließlich in seine neue Wohnung. Bis heute sind wir in engem Kontakt. Er sagt, er habe zwei beste Freunde: den Schöpfer und Claudia. Diese freundschaftliche Beziehung ist auch mir wichtig, denn wir sind einen langen Weg gemeinsam gegangen. Niemand kennt uns beide so gut, wie wir uns kennen. Ich halte es für einen absoluten Schatz, Menschen zu haben, die einen wirklich kennen. Diesen Schatz wollte ich behalten.

Auch mit den Kindern halten Sie Kontakt. Warum?
Ich möchte, dass sie uns nach wie vor als Familie erleben. Das heilt auch die Kinder. Sie sehen, dass nach dem Ende einer Beziehung trotzdem etwas bleibt, das Bestand hat. Außerdem sind sie die einzigen Kinder, die ich habe. Ich habe Verantwortung für sie übernommen, als sie in mein Leben traten. Wir feiern immer noch Weihnachten zusammen, heuer gab es endlich wieder ein Sommerfest. Abgesehen davon bin ich die Firmpatin der beiden jüngeren. Ich mag eben junge Menschen um mich, das gehört zu mir.

„Die Lebensuhr beginnt zu ticken, man überlegt sich, was man noch umsetzen will, ob einem dazu noch genügend Zeit und Mut bleibt. Diese Zeilen inspirieren dazu, sich aufzumachen.“
Claudia Dabringer in ihrer Buchreihe „Voll fünfzig“

Auf Ihrem Blog „Freitag“ unter www.freie-journalistin.at inspirieren Sie auch andere Frauen dazu, sich zu sich selbst aufzumachen – nicht erst dann, wenn Scheidungen oder der Auszug der Kinder einen dazu zwingen, dem Leben einen neuen Sinn zu geben. Wieso tun Sie das?
Ich beobachte, dass viele Frauen mit 50 plus sich nicht richtig zeigen. Sie werden durch die Wechseljahre irgendwie unscheinbar. Viele passen sich ganz ihren Männern an. Solche Paare haben sogar oft den gleichen Kurzhaarschnitt und die gleiche Funktionsjacke. Dabei sind Frauen in der Lebensmitte unglaublich reich. Sie haben oft schon so viel Weisheit gesammelt. Das sollten sie zeigen, sich auf ihre Individualität konzentrieren und das tun, was ihnen Freude macht! In diesem Lebensalter hat man ja endlich wieder Zeit für sich! 50 plus ist das Alter, in dem man Farbe bekennen darf und muss. Doch viele Frauen fühlen sich nicht einmal für ihre Gefühlswelt verantwortlich, geschweige denn für ihr Leben. 50 ist ein guter Zeitpunkt, um vollumfänglich Verantwortung für sich zu übernehmen.

Wie tun Sie das persönlich?
Indem ich alles tue, was mir Lust und Freude macht. Ich habe mit Bauchtanz begonnen, mich ehrenamtlich engagiert, gestalte meinen Garten, schaue auf meine Eltern und reise wieder viel. Vor allem aber gehe ich offen und lächelnd durchs Leben. Die meisten Menschen, die zurücklächeln, sind beige Frauen. Ich glaube, sie spüren, dass ich sie darin bestärken will, auch bunter zu leben.

Petra KlikovitsPetra Klikovits

In ihrer monatlichen Online-Kolumne „Meine wunderbare Tochter“ führt Petra Klikovits bewegende Gespräche mit Töchtern, Schwiegertöchtern, Enkeltöchtern, Stieftöchtern, Adoptivtöchtern, Pflegetöchtern, Patchwork-Töchtern und anderen Bonustöchtern von Leserinnen, die auf diese via [email protected] aufmerksam machen. Mehr von Petra Klikovits lesen Sie jeden Monat in der Welt der Frauen.

Fotos: privat

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  • Veröffentlicht: 06.10.2020
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