War dieser Sprung ins Mutterdasein früher leichter zu nehmen? War das Mutterwerden einfacher, weil die Frauen schwanger wurden, lange bevor ihr Selbstfindungstrip abgeschlossen war? Im fünften Monat meiner Schwangerschaft denke ich darüber nach, ob das Muttersein wirklich einen anderen Menschen aus mir machen muss.
Ich erwarte mein erstes Kind. Das ganze Wunder des Lebens findet gerade in meinem Körper statt. Während sich meine äußerlichen Konturen sichtbar in Richtung „Mama“ verändern, warte ich darauf, dass die „Mamamorphose“ auch in meinem Kopf passiert. Ich bin 34. Nach Ausbildung und Berufseinstieg bin ich meiner Einschätzung nach mitten im Leben angekommen. Bis vor Kurzem glaubte ich sehr genau zu wissen, wer ich bin: Eine selbstständige, emanzipierte Frau, eine beruflich etablierte Akademikerin, eine gleichberechtigte Partnerin und eine urbane Mittdreißigerin.
UNSERE MÜTTER EINST
Lässt sich eine Frau mit Baby im Tragetuch in mein etabliertes Selbstbild integrieren? Passt das „Guzi, guzi“-Mamatum überhaupt zu mir oder muss ich ein gänzlich neues Bild von mir malen? Unsere Mütter hatten zu Beginn ihrer Schwangerschaft gerade einmal die ersten Pinselstriche ihres Selbstbildes gemalt. Mutter werden, das bedeutete in den 70ern und 80ern nicht nur, sich den ureigenen Aufgaben einer Frau zu widmen, sondern auch endlich erwachsen zu werden, sich vom Elternhaus zu emanzipieren und ein eigenes Leben aufzubauen. Für die Großmütter von heute war die Mutterschaft mit Anfang 20 oft der Start in ein neues Abenteuer auf ihrem Selbstfindungstrip. Das Muttersein war der erste große, sehr wichtige – aber sicher nicht der einzige – Farbklecks auf dem Selbstbild einer erwachsenen Frau.
WO BLEIBT DIE INTUITION?
Ich hingegen durfte wie viele Schwangere meiner Generation die Freiheit einer verlängerten Jugend ausgiebig genießen. Über die Jahre habe ich ein buntes Bild von mir gemalt, das auf Freiheit, Unabhängigkeit und Selbstständigkeit beruht. Mir gefällt dieses Bild, und ich möchte es auch mit Kind nicht für immer ins Archiv stellen. Wenn ich jedoch die „Helikoptermütter“ auf den Spielplätzen beobachte, wenn ich von jungen Frauen Vorträge über die möglichen Entwicklungsstörungen von nicht gestillten oder institutionell betreuten Kleinkindern höre, dann werde ich das Gefühl nicht los, dass wir Frauen von heute es nicht schaffen, uns der Elternschaft mit Intuition und Natürlichkeit zu nähern. Sobald wir schwanger werden, glauben wir, unser eigenes Selbst zugunsten des Kindes auflösen zu müssen. Genauso intensiv, wie wir uns vor der Schwangerschaft mit unserer eigenen Selbstverwirklichung beschäftigt haben, widmen wir als Mütter unsere gesamte Aufmerksamkeit dem Kind. Wir machen unser Baby unbewusst zu unserem erweiterten Ich. Während wir dem Kleinkind damit die Chance nehmen, seine eigene Persönlichkeit zu entwickeln, verlieren wir nach und nach den Zugang zu unserem Selbst, bis das bunte Bild unseres vormütterlichen Lebens gänzlich verblasst ist.
Lesen Sie weiter in „Welt der Frau“ 05/16.
Jenny Lewis:
One Day Young.
Hoxton Mini Press,
17,00 Euro
„One Day Young“
Die Bilder dieses Fotoessays stammen von der Londoner Fotografin Jenny Lewis. Über ihre Idee zum Foto- und Buchprojekt „One Day Young“ sagt sie: „Ich wollte eine Geschichte erzählen über die Stärke und Widerstandskraft von Frauen kurz nach der Geburt ihres Kindes.“ Die Botschaft dahinter: Ja, eine Geburt ist anstrengend und schmerzhaft, aber es ist ein positiver Schmerz und ein wichtiger Teil des Wegs hinein in das Muttersein. Lewis zeigt Frauen mit ihren Neugeborenen – und lässt die BetrachterInnen teilhaben an diesen unwiederbringlichen, puren Gefühlen der ersten gemeinsamen Stunden.Erschienen in „Welt der Frau“ 05/16 – von Barbara Fischer