Wie passt die Gegend im Buch mit der vor den eigenen Augen zusammen? Wie verweben sich Landschaft und literarische Geschichten? Lese- und Reisetipps durch Österreich in neun Teilen. Lesend reisen, reisend lesen – Teil 5: Oberösterreich. Von Julia Kospach.
OBERÖSTERREICH: Mit Adalbert Stifter in Hallstatt
Während Adalbert Stifter 1845 befand, alles bleibe hier „immer beim Alten“, so ist in Hallstatt, das den Dichter zu seiner berühmten Erzählung „Bergkristall“ inspirierte, zuletzt kein Stein auf dem anderen geblieben. Der Ort am Steilufer des Hallstätter Sees mit seinen knapp 800 EinwohnerInnen und seiner 7.000 Jahre alten, dem Salzabbau geschuldeten Geschichte ist – auch wenn es coronabedingt gerade etwas ruhiger ist – zum Negativbeispiel für „Übertourismus“ geworden. Doch kaum schweift man ein paar Hundert Meter weiter, findet man ganz leicht jene Gegend wieder, die Stifter im Sommer 1845 besuchte. Vor allem, wenn man sich von Hallstatt Richtung Echerntal wendet, hin zum Eingang in die schroffe, wilde Dachsteinwelt. Nicht nur das Gebirgsmassiv, die alpine Landschaft, die schönen alten Holz-Steinhäuser mit ihren Obstgärten machten auf Stifter Eindruck. Vor allem prägte sich ihm eine Begegnung ein, die er und sein Freund, der Dachstein-Pionier Friedrich Simony, im Echerntal beim Wandern nach einem Wolkenbruch hatten.
Man kann es sich richtig vorstellen, wenn man dort nach einem Gewitter zwischen bewaldeten Hängen, entlang der Blumenwiesen und eines plätschernden Bachs, durch die regennasse Landschaft bergan geht. Während einer Pause, die Stifter und Simony einlegten, tauchte – wie Stifter später schilderte – „ein pausbäckiges Kinderpaar mit riesigen Filzhüten auf den kleinen Köpfen und mit regendurchtränkten Grastüchern überm Rücken hinter den Steinblöcken hervor, uns Erdbeeren zum Kauf anzubieten“. Der unter der Kinderlosigkeit seiner Ehe leidende Stifter kauft die Früchte, schenkt sie den Kleinen, die er bittet, zu erzählen, und fühlt sich durch das Treffen „wie von einem Zauber befangen“. Dieses Kinderpaar wird zum Kern seiner großen Weihnachtserzählung „Bergkristall“, in der sich die Geschwister Konrad und Sanna am Heiligen Abend im Schneesturm im Gebirge verirren, auf die blauen Riesenformationen des Gletschers stoßen und auf eine eisige Halle, die zweifellos den berühmten Dachstein-Eishöhlen nachempfunden ist. Das Weihnachtswunder geschieht: Nach eisiger Nacht werden die Kinder gefunden. Wer „Bergkristall“ heute liest, kann sich sommers vielleicht ein wenig daran abkühlen, während er durch Stifters Echterntal wandert.
Adalbert Stifter:
Bergkristall.
Insel Verlag,
16 Euro
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Foto: Dachstein Tourismus AG / Manfred Schoepf