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04-05/24

Mit Dirndlfigur und Cabrio ins Liebesglück?

Mit Dirndlfigur und Cabrio ins Liebesglück?
Foto: Shutterstock

Ich gebe es zu: Ich habe ein paar schrullige Hobbys. Dazu gehört, Kontaktanzeigen in Zeitungen zu lesen – warum mich das köstlich amüsiert, gleichzeitig nachdenklich macht und welchen neuen Maßstab ich für Beziehungen empfehle.

Donnerstagfrüh: Die Kinder sind vor zehn Minuten mit dem Göttergatten außer Haus und verteilen sich in diverse Schulen und Arbeitsstätten. Das ist die Zeit, in der ich mich mit meinem Porridge, einer heißen Tasse Kaffee und dem obligaten warmen Leitungswasser zum Frühstückstisch setze, bevor ich meinen Arbeitstag starte. Nebst den Neuigkeiten aus aller Welt und Aufregern aus der Innenpolitik serviert mir die Tageszeitung auch eine Portion Unterhaltung – in den Kontaktanzeigen für Partnerschaften.

Maßstäbe für das Liebesglück

„Gut situierter Pensionist möchte nette Frau mit Liegenschaft kennenlernen.“ „Gentleman sucht gutmütige, blonde Dame mit Dirndlfigur zum Kuscheln. Keine Emanzen!“ „Bayer, vorzeigbar, sucht Partnerin zur Familiengründung – schönes Haus mit Pool, Sauna und Cabrio wartet auf dich!“

Während ich mir die letzten Löffel gekochter Haferflocken zuführe, denke ich darüber nach, was in Menschen jenseits der 50 vorgeht, wenn sie ihre Messlatte für potenzielle PartnerInnen auf diese Weise setzen. Kein Wunder, dass die immer noch nicht fündig sind, spreche ich leise für mich aus. 

Wie hebt eine vorhandene Liegenschaft die Qualität einer Paarbeziehung? Bedeutet, eine „Dirndlfigur“ zu haben, dass das Liebesglück endlich bleibt? Und was tragen Annehmlichkeiten in und um das Haus zur Verbindung auf Dauer bei? Wollen wir das Glück in zukünftigen Beziehungen wirklich an solchen Dingen messen?

„Gute Beziehungen leben von hohem Umsatz. “

Das Auge isst mit – aber werden wir davon satt?

Natürlich stimmt es. Das Erste, was wir von einem Menschen wahrnehmen, ist das Erscheinungsbild. Vielleicht sind gerade deshalb Kontaktanzeigen voll von optischen Attributen, die es zu erfüllen gilt. Noch bevor das erste Lächeln getauscht, die erste Hand geschüttelt und das erste Wort gesprochen wird, haben wir die Person visuell gescannt. Dabei gibt es verschiedene Geschmäcker. Es ist tatsächlich relevant, ob das Äußere eines potenziellen Partners uns anspricht. Das geschieht innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde. Über 80 Prozent aller Informationen aus der Umwelt erreichen uns über den Sehsinn. Daher suchen wir logischerweise ein Gegenüber, das wir schön finden.

Zum Gelingen einer Beziehung trägt das letztlich jedoch relativ wenig bei. Was Paare langfristig glücklich macht, wurde schon ausgiebig erforscht. Ich kann mich nicht erinnern, dabei von einem Cabrio, langen blonden Haaren oder der Notwendigkeit einer Liegenschaft gelesen zu haben. Rosemarie Welter-Enderlin, die Grand Dame der Paartherapie, betont in ihren Werken unter anderem folgende Dinge: mehr positive als negative Begegnungen zu erleben, vergeben und verzeihen können und ein respektvolles Miteinander. 

Menschen, die pingelig wie Buchhalter nur Gutes tun, wenn der andere auch etwas Positives einbringt, haben ebenfalls etwas falsch verstanden. Gute Beziehungen leben von hohem Umsatz. Von viel Geben und Nehmen. Wir brauchen innerhalb solcher Liebesbeziehungen Raum für uns allein und „Inseln für das Paar“, wie Welter-Enderlin das beschreibt. Das kann von einem Spaziergang zu zweit über einen Kinoabend bis zu bewusst eingefädelten Gesprächszeiten alles sein. Hauptsache, wir verstehen uns nicht als Selbstverständlichkeit. Wertschätzung, Achtung und Großzügigkeit sind eine vorteilhafte Basis für ein langes und glückliches Miteinander.

Zwischen Femme fatale und emotionalem Fußabstreifer

Ich starte meinen Arbeitstag heute mit einer Paarberatung. Wie so oft dauert es nicht lange, bis die beiden anwesenden Parteien sich gegenseitig in Vorwürfen ertränken. Der Blick auf alles, was uns fehlt, mangelhaft oder ärgerlich ist, gelingt uns leicht. Viel schwieriger scheint es, das zu sehen und zu benennen, was schön, gelungen und erfreulich ist. 

„Ich strample mich den ganzen Tag ab, mache hier alles und ernte enttäuschte Blicke, wenn ich abends völlig hinüber bin und nicht noch die Femme fatale gebe!“ „Das Einzige, wozu ich gut bin, ist der emotionale Fußabstreifer zu sein, der das Geld heimbringt und sich dann noch ignorieren und abweisen lassen kann!“

In der Evolution des Menschen ist der Fokus auf das Negative – oft als Gefahr gesehen – durchaus sinnvoll. Für den menschlichen Alltag dürfen wir lernen, die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was positiv ist. Da bin ich selbst genauso gefordert wie jeder andere Mensch. Die gute Nachricht ist: Mit ein wenig Übung funktioniert das immer leichter. Selbst wenn wir nach der akuten Verliebtheitsphase bemerken, dass so ein partnerschaftliches Lebenskonzept weniger Spuren von Idylle aufweist, als uns suggeriert wird. Auch ohne Dirndlfigur, Barbiemähne oder der passenden Anzahl an Hektar Land.

„Ich finde ja, das Leben ist zu kurz und zu wertvoll, um es in schlechten Liebesbeziehungen zu verbringen. Jenseits der vermeintlichen Klischees wartet das wahre Miteinander, das uns Entwicklung, Wachstum und Reifung beschert.“

Neue Messlatten für gelungene Beziehungen braucht das Land

„Meine Oma hatte die grottenschlechteste Ehe, die man sich vorstellen kann“, sagte neulich eine Frau zu mir, „aber sie war über sechzig Jahre lang verheiratet!“ Daran erkenne ich wieder, dass die Dauer einer Beziehung keine Aussagekraft über die Qualität hat. Höchstens über die Leidensfähigkeit und das Durchhaltevermögen der Beteiligten. Ich würde gern Kriterien wie Tiefgang, Bedeutung und Lebendigkeit für allfällige Bewertungen in den Ring werfen. 

  • Wie sehr ich mich verletzlich zeigen kann und behutsam mit den Wunden der anderen Person umgehe.
  • Welche Priorität ich dir und mir im Leben einräume und Entscheidungen danach fälle.
  • Ob wir aushalten, dass öfter die Fetzen fliegen und wir uns danach ehrlich aussöhnen können.

Ich finde ja, das Leben ist zu kurz und zu wertvoll, um es in schlechten Liebesbeziehungen zu verbringen. Jenseits der vermeintlichen Klischees wartet das wahre Miteinander, das uns Entwicklung, Wachstum und Reifung beschert. So etwas fällt uns nicht auf den Kopf und passiert nicht zufällig, sondern weil wir uns dafür entscheiden. Angenehm ist das oft nicht! Dafür bauen wir nach und nach an tragfähigen, bunten und erfüllenden Verbindungen und bekommen das ganze Leben. Wir leben Werte, auf die wir stolz sind und irgendwann gern zurückblicken. Das sollte man den Herrschaften der Kontaktanzeigen bei Gelegenheit flüstern.

Zum Spaß tingle ich am Abend am Sofa durch Partnerschaftsannoncen im Internet. Zwischen skurrilen und lustigen Anzeigen finde ich Inserate, die Beziehungen schon eher an dem aufhängen, was meiner bescheidenen Meinung nach zählt.

„Ich suche jemanden, der mit mir die Sonnenuntergänge beobachtet, tiefgründige Gespräche führt und gemeinsam lacht, bis wir Bauchschmerzen haben. Bin bereit für die kleinen und großen Abenteuer des Lebens.“

ODER:

„Wenn du glaubst, dass das Leben zu zweit noch schöner ist, wenn man es miteinander teilt, dann lass uns gemeinsam eine Geschichte schreiben, die von Liebe, Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung handelt.“

Das Gelächter meines Liebsten holt mich zurück ins Jetzt. Wir schauen eine platte deutsche Komödie mit Til Schweiger. Binnen Sekunden lache auch ich herzhaft mit. Einer der Darsteller klemmt mit seinen Kronjuwelen zwischen den Latten einer Saunasitzbank fest. Nun versuchen drei Männer, ihn da herauszubekommen. Sag ich ja … Die Sauna allein ist kein Garant für ein glückliches Leben!

Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin & Elementarpädagogin

Web: www.kerstinbamminger.com
Mail: [email protected]
Instagram: @die.beziehungsweise

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  • Veröffentlicht: 27.02.2024
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