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Bewegung
04-05/24

Liebe im Spiel

Liebe im Spiel
Promptografie: KI/Alexandra Grill

Oft frage ich mich, ob Beziehungen mehr Arbeit als Spiel sind. In einem bin ich mir jedoch sicher: Sie sind kein Wettkampf. Was wir uns dennoch von SportlerInnen für die Beziehungsgestaltung abschauen können und welche Zurufe von der Seitenlinie für Paare auf dem Spielfeld der Liebe sinnvoll sind.

Der Spruch auf der Schiefertafel sticht mir in dem Moment ins Auge, als ich den ersten Bissen meines Bio-Burgers auf 2096 Metern Seehöhe genieße. Es ist der letzte Skitag meiner Saison, die Sonne blendet durch das Fenster. Ich versuche, mich ganz auf das Essen zu konzentrieren, doch die geschriebenen Worte lassen mich nicht los.

Kaisergebirge, Süßkartoffelpommes und Poesie

„Im Leben ist es wie beim Radfahren. Damit man die Balance hält, muss man in Bewegung bleiben!“ steht da mit Kreidestift auf schwarzem Untergrund. Augenblicklich denke ich ans Radfahrenlernen mit meinen Kindern, an das stundenlange Hinterherlaufen, bis es endlich mit dem Fahren, Treten und Lenken klappt. Was später kinderleicht erscheint, ist anfangs harte Arbeit und braucht viel Übung. Wie vieles im Leben.

Mein Blick schweift über das atemberaubend schöne, verschneite Kaisergebirge, während ich genüsslich meine Süßkartoffelpommes mit Barbecue-Dip esse und über den Satz an der Schiefertafel nachdenke. Wenn er für das Leben gelten soll, trifft er dann auch auf Beziehungen zu? Und wenn ja, was bedeutet das genau?

Bewegungsapparat statt Sitzapparat

Ich ertappe mich, wie ich innerlich nicke. Als begeisterte Skifahrerin, Frischluftfanatikerin und Yogajunkie stimme ich sofort zu. Natürlich ist Bewegung essenziell! Für ein glückliches Leben brauche ich einen gesunden Körper, also achte ich gut auf ihn. „Darum sagen wir Bewegungsapparat und nicht Sitzapparat!“, wie der Yogatrainer meines Vertrauens gern betont.

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr faszinierende Parallelen fallen mir zwischen Sport und Beziehungen ein. Zuerst lernt man, wie es funktioniert, dann braucht es reichlich Teamwork und eine große Portion Durchhaltevermögen, um gesetzte Ziele zu erreichen. Es gilt, Tiefschläge zu verarbeiten und aus Fehlern zu lernen, um erfolgreich zu sein.
„Wollen wir weiterfahren?“, reißt mich meine Tochter aus den Gedanken. Wir schnallen die Skier an und flitzen gestärkt die nächste Piste hinunter.

Alles ist schwer, bevor es leicht wird

Es ist eine Freude, ihr beim Skifahren zuzuschauen. Als Elternteil ist diese Bewunderung vielleicht genetisch bedingt, doch meine Familie erntet auch von Außenstehenden öfter Komplimente dafür, wie gut wir alle Ski fahren. Was Menschen dabei nicht sehen können: wie viel Arbeit dahintersteckt.

„Alles ist schwer, bevor es leicht wird. Das gilt fürs Radfahren, Skifahren, aber auch für die Beziehungsgestaltung.“

Seit dem Kleinkindalter bis zur Jugend war jede/r von uns mindestens einmal jährlich in einem Skikurs – unsere Kinder meist sogar zweimal. Wir Eltern haben die Begeisterung gefördert, sie durch Motivationstiefs begleitet und zwischenzeitlich Frustration ausgehalten. Es war unendlich viel Energie, Übung und Lernaufwand notwendig, um dieses Level an Können zu erreichen. Alles ist schwer, bevor es leicht wird. Das gilt fürs Radfahren, Skifahren, aber auch für die Beziehungsgestaltung.

Was wir uns von erfolgreichen SportlerInnen für gelingende Beziehungen abschauen können:

Ein Ziel mit einem Plan

Es beginnt bereits mit der Zielsetzung und der Planung, wie man diese Ziele erreichen möchte. Genau wie AthletInnen können wir Visionen verfolgen und konkrete Pläne schmieden, wohin wir uns als Paar entwickeln möchten, was wir erreichen wollen, wie wir wachsen dürfen.

Miteinander statt gegeneinander

Ähnlich wie eine Fußballmannschaft brauchen wir klare Kommunikation und Teamwork. Ich denke, man ist als Paar eher erfolgreich, wenn offen statt kryptisch kommuniziert, miteinander statt gegeneinander gearbeitet und Beziehungen priorisiert statt hintangestellt werden.

Durchhaltevermögen in emotionalen Tälern

Wenn es wieder einmal schwierig wird – und davon ist in einem langen Leben auszugehen –, sind Resilienz und Durchhaltevermögen gefragt, wie bei einer Tennisspielerin nach einer Handgelenksverletzung. Im Sport wie in Beziehungen gibt es nicht nur Erfolgsläufe. Leichtigkeit, Harmonie und Glücksgefühle sind schnell empfunden, wenn alles läuft wie geschmiert. Aber eine tragfähige Partnerschaft wird in Tiefzeiten gebaut, nicht in Hochzeiten. Aneinander glauben, Ausdauer beweisen und uns selbst aus emotionalen Tälern herausmanövrieren: Das alles lernen wir meist erst dann, wenn im Leben ein rauer Wind weht.

Fehler- und Lernkultur

Damit die Anstrengungen des Lebens gut überstanden werden können, sollen wir wie SportlerInnen auch als Liebende dauerhaft fit sein. Einerseits heißt das: üben, üben, üben, um in belastenden Situationen ausreichend Kraft und Erfahrung zu haben. Andererseits bedeutet das auch: Fehler machen und daraus lernen!

Den Spaß nicht zu kurz kommen lassen

Erfolgreiche Sportteams sehen sich nicht nur bei Wettkämpfen! Darum gibt es spaßige Trainingslager, Kegelabende für Fußballmannschaften oder Kletterausflüge für Skiprofis. Auch in der Liebe sollten wir darauf achten, unseren gemeinsamen Interessen nachzugehen oder ein gemeinsames Hobby zu pflegen. Egal ob Skifahren, Wandern oder Tanzen: Wenn wir abseits der „Arbeit“ positive Erlebnisse und Beziehungsmomente schaffen, wirkt das wie eine gut gefüllte Vorratskammer, die uns in mangelhaften Zeiten ernährt.

Selbstfürsorge als Basis

All die oben genannten Punkte funktionieren nur, wenn wir als Einzelpersonen ausreichend auf uns aufpassen. Speziell wenn es viele Betreuungspflichten gibt, brauchen Paare großzügige Unterstützung von außen, sonst wird Selbstfürsorge zu einem weiteren belastenden To-do, das stresst. Aber um eine gelingende Beziehung zu gestalten, will zuerst der eigene Akku geladen sein!

Erfolge dürfen gefeiert werden

Auch wenn wir nicht im offenen Tourbus durch die Heimatstadt chauffiert werden müssen – viel zu selten zelebrieren wir Meilensteine im Beziehungsleben. Ich will in Zukunft auch feiern, wenn wir Pläne erfolgreich umgesetzt, kritische Phasen mit den Kindern friedlich gemeistert haben und nach Zwistigkeiten wieder offenherzig aufeinander zugehen. Das klappt auch ohne Siegertreppe und Medaille, wenngleich wir uns öfter eine verdient hätten – Nationalhymne inklusive.

In einer Sache unterscheidet sich Sport jedoch eindeutig vom Beziehungsspiel: im Umgang mit Zeit. Während bei Wettkämpfen jeglicher Art versucht wird, möglichst schnell zu sein, gilt für Beziehungen genau das Gegenteil: Erfolgreich ist, wer lange durchhält, den Test der Zeit besteht und nie verlernt, wie ein gutes Zusammenleben funktioniert.

Mein Skitag neigt sich dem Ende zu. Die allerletzten Schwünge für die Wintersaison. Ich genieße jeden einzelnen und zähle von zehn rückwärts, bevor ich die Ski am Fuße des Schattbergs endgültig abschnalle. 28 unfallfreie Tage, die an Abwechslung alles zu bieten hatten und mir in der Erinnerung sehr viel Freude bescheren. Das feiern die Tochter und ich direkt noch mit einem Kaffee und einer Mehlspeise beim Bäcker im Ort.

Die Bedeutung von Pausen

Während wir beim Bäcker sitzen, müht sich draußen ein junger Mann mit Krücken und Gipsbein ab. Wenn wir, so wie er, vom Leben zum Stehenbleiben gezwungen werden, ist die Balance dann hinüber? Sollte der Spruch auf der Schiefertafel also zur Gänze Recht behalten? Müssen wir wie beim Radfahren ständig in Bewegung bleiben, damit wir die Balance halten können? Ja, denke ich mir, in gewisser Hinsicht bestimmt. Ohne Bewegung bin ich nur eine halbe Portion, werde schnell übellaunig und eine Zumutung für mein gesamtes Umfeld. Meine Familie kann das bestätigen! Doch selbst beim Radfahren ist es schön, angenehm und reizvoll, mal die Füße von den Pedalen zu nehmen und anzuhalten. Die Aussicht zu genießen. Auf mich selbst zurückgeworfen zu sein. Pausen zu machen und durchzuatmen. Auch das ist für mich Lebendigkeit – solange ich rechtzeitig die Beine am Boden platziere, damit ich nicht umkippe wie eine Anfängerin. Selbst im Spitzensport wird großes Augenmerk auf Regeneration, auf das Stehenbleiben gelegt.

Und so lautet meine Liste von Sätzen, die ich Paaren von der Seitenlinie zurufen möchte, ergänzt um diesen letzten Gedanken folgendermaßen:

  1. Habt Ziele und plant, wie ihr sie erreichen möchtet!
  2. Redet offen miteinander und arbeitet als Team!
  3. Bleibt hartnäckig und widerstandsfähig, wenn es stürmt!
  4. Übt und macht weiter, auch wenn es mal keinen Spaß macht!
  5. Findet etwas, was ihr gern gemeinsam macht! Tut es!
  6. Sorgt für euch selbst und nehmt jede Hilfe, die ihr bekommen könnt!
  7. Feiert alles, was gelungen ist und was ihr aneinander schätzt!
  8. Pausen sind wichtig zum Genießen und Regenerieren!
Foto: Marie Bleyer

Kerstin Bamminger

Psychologische Beraterin & Elementarpädagogin

Web: www.kerstinbamminger.com
Mail: [email protected]
Instagram: @die.beziehungsweise

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  • Veröffentlicht: 29.04.2024
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