Aktuelle
Ausgabe:
Konsum
03/24

Idylle? Romantik? Hollywood?

Idylle? Romantik? Hollywood?

Wie innere Bilder einer perfekten Beziehung dazu führen, unsere Erwartungen unendlich hochzuschrauben.

Und sie lebten glücklich bis ans Lebensende!“ Schon lange, bevor wir erste Liebesbeziehungen eingehen, haben wir eine ganze Bildergalerie im Kopf, wie die ideale Paarbeziehung aussieht. Geschaffen sind diese Bilder von den MärchenerzählerInnen und DrehbuchautorInnen dieser Welt. Auf Hochglanz poliert, mit viel Romantik und einem ordentlichen Schuss Idylle angereichert. So brennen sich diese Vorstellungen auf unsere emotionale Festplatte und basteln an unseren Erwartungen im Hinblick auf Paarbeziehungen.

Wo Blockbuster enden

„Was hast du denn erwartet?“, sagen wir, wenn Menschen in Liebesbeziehungen enttäuscht werden. Gut, in der ersten Verliebtheitsphase, die bis zu sechs Monate dauert, ist tatsächlich alles in ein sanft rosa schimmerndes Licht getaucht. Man findet den Partner, die Partnerin von den Haarspitzen bis zum kleinen Zeh wundervoll und ist vollgepumpt mit einem Hormoncocktail, der einem leichten Drogenrausch gleicht. Beziehungen kommen jedoch früher oder später am Boden der Realität an und wandeln sich. Da dieses alltägliche Leben in Romanen oder Filmen kaum thematisiert wird, existiert es weniger klar in unseren Köpfen. Blockbuster und Märchen enden ja bekanntlich, wenn die Beziehung gerade erst einmal anfängt. Also ist es vermutlich gut, sich mit den eigenen Erwartungen auseinander zu setzen. Welche Bilder habe ich in meiner „inneren Galerie“ aufgehängt? Woher kommen sie? Möchte ich sie weiter hängen lassen oder von der Wand nehmen?

Gut genug reicht

Dabei lohnt es sich, ein paar Dinge zu unterscheiden. Erstens spielen die Erwartungen, die eine Person an sich selbst hat, eine Rolle. Sie sind geprägt von Sätzen und Glaubensmustern, die wir in frühester Kindheit gelernt haben. Wie wir zu sein haben, was wir zu sagen haben, was erlaubt ist und was nicht, wie wir funktionieren sollen und wofür wir geliebt werden. Es ist immer wieder gut, sich zu überlegen, ob wir solche inneren Überzeugungen weitertragen wollen, um traditionelle oder gewohnte Erwartungen zu erfüllen. Oder ob wir uns von manchen Bildern lösen und eigene Kunstwerke gestalten möchten. Bilder, in denen wir fehlerhaft und lebendig sein dürfen, weit weg vom Druck zur Selbstoptimierung, dafür gut genug, um entspannt und zufrieden zu leben.

„Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, dass Paare sich gegenseitig Wünsche von den Augen ablesen sollten.“

Das Beziehungskonto

Zweitens geht es um die Erwartungen an den Partner, die Partnerin. Dabei ist es wichtig, zu verstehen, dass es auch in liebevollen und respektvollen Beziehungen Erwartungen an den oder die PartnerIn geben darf. Beziehungen sind ein Geben und Nehmen. Sie existieren nicht entlang einer „Nulllinie“, sondern leben von hohem Umsatz. Wer viel gibt, darf auch viel nehmen. Das wird übrigens von langjährigen Paaren als ein kleines Geheimrezept für eine glückliche Beziehung beschrieben: dass man sich gegenseitig immer wieder unerwartet Gutes tut und weiß, dass das Beziehungskonto einen großen „Spielrahmen“ hat.

Ohne Sherlock Holmes

Spannend in Bezug auf Erwartungen an andere Menschen, besonders an LiebespartnerInnen, ist die Frage, wie viel davon ausgesprochen werden muss. Es ist ein weitverbreitetes Missverständnis, dass Paare sich gegenseitig Wünsche von den Augen ablesen sollten. Wenn es Paaren manchmal gelingt, ist das natürlich wunderbar. Aber viel wichtiger ist die klare Verständigung darüber, dass jede erwachsene Person eigene Bedürfnisse und Wünsche hat und diese selbst ausdrücken kann – am besten mit eindeutigen Worten – und damit Verantwortung für sich übernimmt. Im Gegenzug kann der oder die andere sich darauf verlassen, dass das Gegenüber auch mitteilt, wenn es etwas braucht. Man muss also nicht wie Sherlock Holmes geheimnisvolle Spuren verfolgen oder hellsehen können. Das bringt Entlastung für alle Beteiligten.

„Erwartungen zu haben, ist auch hoffnungsvoll. Gutes zu erwarten, ist etwas absolut Zuversichtliches und bringt eine positive Dynamik in Paarbeziehungen.“

Einfach Gutes erwarten

„Ich hab keine Erwartungen, da kann ich wenigstens nicht enttäuscht werden!“, sagen manche Menschen. In solch einer Aussage schwingt eine große Portion Frust mit – geprägt von früheren negativen Erfahrungen. Doch Erwartungen zu haben, ist auch hoffnungsvoll. Gutes zu erwarten, ist etwas absolut Zuversichtliches und bringt eine positive Dynamik in Paarbeziehungen. Keine oder niedrige Erwartungen zu haben, kann auch heißen: Ich trau mir oder dir wenig zu.

Spätestens, wenn hoher Erwartungsdruck entsteht, wird es allerdings kritisch. Das passiert vor allem, wenn jemand das Gefühl hat, nicht mehr akzeptiert, angenommen oder geliebt zu sein oder selbst Erwartungen nicht zu erfüllen. Wirklich bedingungslos zu lieben und geliebt zu werden, ist in partnerschaftlichen Beziehungen die oft unerreichbare Königsklasse. Es macht aber auch schon glücklich, zu artikulieren: „Ich liebe so viel an dir, dass ich deine Macken gut aushalten kann.“

 

„Wenn wir an Herausforderungen wachsen wollen und Scheitern als eine Gelegenheit betrachten, dazulernen zu dürfen, können wir enttäuschte Erwartungen als das sehen, was sie sind: das Ende der Täuschung.“

Mehr Prozess und weniger Ziel

Was allgemein guttun würde, ist im Sinne eines „Growth Mindset“, also eines an Wachstum orientierten Denkens, weniger auf Ergebnisse fixiert zu sein als auf den Prozess. Das heißt, nicht zu erwarten, dass der Partner, die Partnerin meine Bedürfnisse sofort erfüllt, sondern zu merken und zu würdigen, dass er oder sie mich sieht, hört, anerkennt und sich anstrengt, damit unsere Beziehung gelingt. Wenn wir an Herausforderungen wachsen wollen und Scheitern als eine Gelegenheit betrachten, dazulernen zu dürfen, können wir enttäuschte Erwartungen als das sehen, was sie sind: das Ende der Täuschung.

Das kann der Beginn eines ehrlicheren Miteinanders sein, ein Weg hin zu weniger Inszenierung und Schönfärberei. So tauschen wir zweifelhafte Disney-Romantik gegen pure, echte und lebendige Begegnung. Sie ist der effektvollste Filter, den wir inneren Bildern verpassen können.

Dieser Artikel ist in der „Welt der Frauen“ Jänner/Februar 2022-Ausgabe erschienen. Erhältlich als Einzelheft in unserem Shop, zum Testabo geht es hier.

 

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 15.08.2022
  • Drucken