Was bedeutet Sehnsucht für Sie? Worauf richtet sich Ihre Sehnsucht? Welche Sehnsucht hat sich für Sie in Ihrem Leben schon erfüllt? Unsere Leserinnen haben uns ihre Gedanken dazu geschrieben.
Die Oberwarterin Hilde Hadl (71) war ehemalige Schalterbeamtin bei der Post und sehnte sich nach Anerkennung und Perfektion. Bis eine unerwartete Krankheit sie auf ihre wahre Sehnsucht hinwies.
Ich wuchs in einer Großfamilie mit Großmutter, Stief-Großvater, Eltern und zwei Geschwistern auf. Da lief viel nebenher. Wir Kinder wurden nicht immer angehört, unsere Sorgen und Ängste blieben oft nur bei uns. Entstand damals die erste Sehnsucht nach Anerkennung, nach Zuhören, nach Liebe?
„Du bist die Älteste, du musst gescheiter sein als deine Schwestern. Du musst vernünftig sein, du musst das verstehen, du musst, du musst …“ – das hörte ich oft von meinen Eltern. Also war ich vernünftig, was immer das heißt bei Kindern.
Ich war eingespannt zwischen Schule, der Betreuung meiner Geschwister, dem Holz-in-die Küche-Bringen, dem Wasser-vom-Brunnen-ins-Haus-Tragen, denn damals gab es noch kein Fließwasser. Ich fütterte die Tiere und erledigte auch noch viele andere Tätigkeiten im Haushalt, die mir als Älteste zufielen.
Ja, damals hatte ich manchmal Sehnsucht nach mehr Gerechtigkeit, Freiheit, Unbeschwertheit und Ausgelassenheit – einfach nach Kindsein-Dürfen. Dann kam die erste Liebe, eine traumhafte Zeit! Sie war voller Sehnsucht nach Streicheleinheiten und voller Fragen: Wann sehe ich ihn wieder? Bemerkt er mich überhaupt? Ich war hungrig nach kleinen Liebesbeweisen, nach gemeinsamen Disco- und Kinobesuchen, wobei wir vom Film nicht viel mitbekamen.
Nach meinem erfolgreichen Schulabschluss kam der Eintritt ins Berufsleben. Das war nicht immer einfach. Es viel wurde gefordert, wenig gelobt und alles für selbstverständlich gehalten. Und so meldete sie sich wieder, meine Sehnsucht nach Anerkennung! So wie in der Kindheit bemühte ich mich wieder, es allen recht zu machen, immer das Beste zu geben.
Ich fand meinen Partner fürs Leben. Das ist er wirklich – wir sind seit fünfzig Jahren verheiratet! Wir bekamen zwei gesunde Kinder, die immer noch unser Lebensinhalt sind. Inzwischen gibt es auch schon eine Enkeltochter.
Zwischendurch war da immer wieder diese Sehnsucht nach Perfektion, nach alles richtig machen wollen – als Mutter, Ehefrau, Berufstätige. Sie bestimmte meinen Lebensstil.
Ebenso die Sehnsucht nach Dingen, die ich mir selbst erfüllen konnte: jedes Jahr ans Meer fahren, exklusiv Essen gehen, ein Konzert mit meiner Lieblingsband besuchen usw. Spätestens beim Erfüllen solcher Sehnsüchte kommt ein herrliches Gefühl der Befriedigung, der Freude, ein unbeschreibliches Glücksgefühl auf.
Doch dann riss mich eine Krankheit plötzlich und unerwartet aus dem Berufsleben und stellte mein bisheriges Leben völlig auf den Kopf. Da ergriff eine ganz andere Art von Sehnsucht von mir Besitz: die Sehnsucht am Leben zu bleiben, wieder gesund zu werden und alle Dinge wieder zu tun, die Freude machen.
Ich änderte meine bisherige Lebensweise von Grund auf und auch meine Einstellung zu vielen Dingen, indem ich sie einfach laufen ließ und nicht mehr hinterfragte. Ich habe meine Sehnsucht auf Dinge gelenkt, die wirklich wichtig und erfüllbar waren – und bin bescheiden geworden. So bin ich bei mir selbst angekommen.
Jetzt, wo uns dieses perfide Virus Lockdowns beschert, hat mich die Sehnsucht nach banalen Dingen – wie Freunde treffen, ins Kaffeehaus gehen, am Abend spontan auf einen Prosecco gehen, ein Theater oder Kabarett besuchen, eine Reise machen – wieder eingeholt.
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Foto: privat