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03/24

Gipfelglück & Kaiserschmarrn

Gipfelglück & Kaiserschmarrn

Wanderschuhe statt Strandliege, Hüttenerlebnis statt Hotelkomfort: zwei Erwachsene und zwei Kinder vier Tage unterwegs auf dem Schladminger Tauern Höhenweg

Als wir aus dem Wandererbus aussteigen, schüttet es wie aus Kübeln. Ich ärgere mich, dass ich für uns Erwachsene die Regenhose zu Hause gelassen habe. Aber immerhin mussten wir jedes Gramm auf unserer mehrtägigen Rucksackwanderung genau abwägen. Und laut Wetterbericht hätte der Regen längst vorüber sein müssen. Das führt mich zu Erkenntnis Nummer eins: Es läuft nicht immer nach Plan – weder auf den Bergen noch im Leben.
Wir wollten anders Urlaub machen. Fern von Staus auf der Autobahn und dem Wie-die- Ölsardinen-am- Strand-Liegen, statt- dessen zu Fuß unterwegs sein, uns auf das Nötigste beschränken und dem Takt der Natur folgen. Die Wahl fiel auf die Schladminger Tauern.

In Schladming angekommen, heißt es für uns zunächst einmal warten. Wir stellen uns bei der Haltestelle unter, ziehen die Goretex-Jacken an, stülpen Müllsäcke über unsere Rucksäcke und harren aus, bis der ärgste Guss vorbei ist. Zum Glück steht uns nur ein gut zweistündiger Aufstieg (660 Höhenmeter) auf die Keinprecht- hütte (1.872m) bevor. Der Schladminger Tauern Höhenweg (siehe auch Seite 65) gilt aufgrund seiner beeindruckenden Gipfel und Grate und der einzigartigen Seenplatte des Klafferkessels – ein Relikt aus der letzten Eiszeit – nicht von ungefähr als einer der schönsten Weitwanderwege Österreichs. Wir hatten die Tour nach Verfügbarkeit der Hüttenquartiere und „Kindertauglichkeit“ adaptiert.

So wenig wie möglich

Unser Packprinzip lautete: so wenig wie möglich und so viel wie unbedingt nötig! Das hieß: Wechselgewand, Handschuhe, Goretex-Jacke, Haube, Hüttenschlafsäcke, Erste-Hilfe-Set, Trinkflasche, Proviant, Verbandszeug, Sonnenschutz, Tagebuch, Haarbürste und Zahnputzzeug, ein Handtuch für die ganze Familie, Handy und Kamera zum Fotografieren und Filmen. Auch wenn man sparsam packt, kommt trotzdem was zusammen. Meine Tochter stellte ihren Rucksack auf die Waage: Er wog stattliche sechs Kilo – immerhin musste ihr Schlafbär auch noch mit. Mein Mann war mit wesentlich schwererem Gepäck unterwegs, da er auch die Klettergurte mitschleppte – schließlich wollten wir auch eine kurze seilgesicherte Passage überwinden.

Endlich können wir losmarschieren. Als die Kinder die ersten Eierschwammerl entdecken, ist der schwere Rucksack gleich vergessen. Wir stapfen zügig aufwärts, staunen über die saftigen Almwiesen, auf denen der Almrausch üppig blüht, und hören Murmeltiere pfeifen. Als wir die Keinprechthütte erreichen, lichten sich auch die Wolken und es öffnet sich ein atemberaubender Blick in die Berge. Die Hüttenwirtin wartet bereits mit dem Abendessen. Anschließend machen wir noch einen Spaziergang zum nahe gelegenen See und schauen der Abendsonne zu, wie sie die Gipfel in leuchtendes Rot taucht. Zurück auf der Hütte, spielen die Kinder mit den zutraulichen Zwerghasen, die über die Terrasse hoppeln, während mein Mann und ich bei einem Achterl mit dem Hüttenwirt plaudern. „Wo geht’s denn morgen hin?“, will er wissen. „Wir wollen durch den Zinkwand- stollen (Anm.: ehemaliger Bergwerksstollen) zur Ignaz-Mattis-Hütte“, erzählen wir. Der Hüttenwirt rät uns eindringlich von der geplanten Tour ab, da sich beim Ausstieg aus dem Stollen ein steiles Schneefeld befinde. Wir ändern also unseren Plan und wählen den Weg über die Rothmandlspitze (2.453 m). Am Abend sind wir alle so müde, dass wir gerne in unser Matratzenlager fallen. Sogar die Kinder! Die üblichen Diskussionen – „Es ist doch noch viel zu früh! Ich habe Hunger! Warum darf meine Schwester noch aufbleiben und ich nicht?!“– bleiben aus. Erkenntnis Nummer zwei: Wandern macht müde und zufrieden.

Schneebälle und Schafskelett

Am nächsten Morgen begrüßt uns ein strahlend sonniger Tag. Wir sind froh, dass das Wetter stabil ist, denn die zweite Etappe mit 700 Höhenmetern und 7,20 Kilometern zur Ignaz-Mattis-Hütte (1.872m) soll die längste unserer Tour werden. Beim Aufstieg durch ein Geröllfeld begleitet uns eine Schar Ziegen, das macht es für die Kinder kurzweilig. Schließlich überqueren wir ein flaches Schneefeld, die Kinder freuen sich über den Schnee im Sommer, schießen einander mit Schneebällen ab. Allmählich macht sich jedoch Müdigkeit breit.

Endlich erreichen wir den Gipfel der Rothmandlspitze. Der fabelhafte Ausblick macht alle Anstrengung vergessen. Auf einem schmalen Pfad steigen wir ab, machen Pause an einem kleinen See, und während mein Mann und ich einen kurzen Mittagsschlaf halten, gehen die Kinder auf Entdeckungstour und kommen mit einem Schafskelett zurück. Unser Sohn protestiert lautstark, weil er es nicht mitnehmen darf. Erst der Kaiserschmarrn auf der Ignaz- Mattis-Hütte kann ihn wieder versöhnen. Es war ein heißer Tag, der Schweiß klebt an unseren Körpern. Wir sparen uns aber die Dusche und tauchen lieber gleich in den Giglachsee ein. Das kalte Wasser prickelt auf der Haut, die Abkühlung ist herrlich.

„„Von Hütte zu Hütte zu wandern, ist unglaublich entschleunigend.““

Puzzlebauen statt Handysurfen

Am nächsten Tag pfeift uns starker Wind um die Ohren. Wir sind froh, dass es zur Giglachseehütte (1.950m) nur ein Katzensprung ist. Es ist Tag drei unserer Hüttenwanderung, unser Proviant ist fast aufgebraucht, die Kinder haben ständig Hunger. Erkenntnis Nummer drei: Es geht nichts über Kaiserschmarrn! An diesem Tag vertilgen die Kinder insgesamt sechs Portionen, was zu Erkenntnis Nummer vier führt: Das Übernachten auf den Hütten ist zwar günstig, rechnet man aber die Verpflegung hinzu, ist man von den Kosten eines Hotelurlaubs nicht mehr so weit entfernt.

Was soll’s! Gut gestärkt geht es noch rund 500 Höhenmeter hinauf Richtung Steirische Kalkspitze (2.459 m) – Mann und Tochter schaffen es sogar bis ganz hinauf. Unser Sohn und ich kehren auf halbem Weg um, da uns der starke Wind kaum noch aufrecht stehen lässt, und als sich unser Sohn daran macht, in eine Doline zu klettern, habe ich für diesen Tag genug Abenteuer gehabt und wir entspannen lieber auf der Hütte mit: Kaiserschmarrn. Ein Buch habe ich aus Gewichtsgründen zu Hause gelassen. Als Alternative gibt es auf der Hütte eine Spielesammlung. Nachdem wir alle Puzzles gebaut haben, schauen wir einfach den Wolken zu. Zum Glück gibt es keinen Handyempfang, E-Mails-Checken oder Internetsurfen ist unmöglich. Das führt mich zu Erkenntnis Nummer sechs: So ein Urlaub in den Bergen ist wunderbar entschleunigend. Auch den Kindern gehen Tablet und Fernseher nicht ab, und das ist auch schon Erkenntnis Nummer sieben.

Wettersturz und frische Waffeln

An diesem Abend sind wir beinahe die einzigen Gäste auf der Hütte. Das Wetter schlägt um und in der Nacht erreicht uns ein heftiges Gewitter. Während der Regen auf das Dach trommelt und der Sturm an den Balken rüt- telt, überlege ich, wie vielen Stürmen die Hütte wohl schon standgehalten hat, und hoffe, dass sie auch diesem Unwetter trotzen wird. Die Kinder kriegen von all dem nichts mit, sie schlummern tief in ihren Betten. Am nächsten Morgen strahlt die Sonne vom Himmel, als wäre nichts gewesen. Zum Frühstück werden wir mit frischen Waffeln verwöhnt. Es ist Tag vier, uns steht nur noch der Abstieg zum Wandererbus bevor, der uns von der Ursprungalm wieder nach Schladming bringen soll. Weil das Wetter wider Erwarten so schön ist, erkunden wir noch ein wenig die Gegend und kommen mit zwei Sackerln Eierschwammerl zurück.

Zu Hause lassen wir bei einer köstlichen Schwammerlmahlzeit die Tour Revue passie- ren. Dabei kommen wir zu Erkenntnis Nummer acht: Es braucht so wenig, um glücklich zu sein! Und daraus ergibt sich Erkenntnis Nummer neun: Langes Auspacken, Verräumen und Wäschewaschen bleiben nach einer Wander- tour erspart – all die Schmutzwäsche passt in eine einzige Wäschetrommel.

Fazit: Hüttentouren haben Suchtfaktor, und das ist auch Erkenntnis Nummer zehn: Nächstes Jahr wollen wir wieder von Hütte zu Hütte wandern. Die Kinder haben nur einen Wunsch: Sie wollen auf jeden Fall auf der Giglachseehütte übernachten, denn „da gibt’s den besten Kaiserschmarrn und die besten Waffeln auf der ganzen Welt“!

Julia Langeneder ist Familienredakteurin und Mutter von zwei Kindern und lädt jeden Monat zum Familienrat ein.

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  • Veröffentlicht: 31.05.2022
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