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Emanzipiert, wie geht das?

Emanzipiert, wie geht das?

75 Jahre „Welt der Frauen“

Anlässlich unseres Jubiläums haben die Redaktionsmitglieder in den Heften ihres jeweiligen Geburtsjahrganges gestöbert und ihr Highlight ausgewählt. Ein Streifzug durch eine bewegte Geschichte.

Andrea PramhasAndrea Pramhas, Redaktionsassistentin seit 2012, imponierte ein Beitrag in der Dezember-Ausgabe des Jahres 1963.

„Die Frau hat heute ganz selbstverständlich ihren Platz in der Gesellschaft gefunden, der Kampf um die Rechte der Frau kann im Großen und Ganzen, zumindest in unserem Kulturkreis, als abgeschlossen betrachtet werden.“

So beginnt der Artikel „Die Frau heute“ aus der Dezember-Ausgabe 1963. Es gebe jedoch verschiedenste Auffassungen darüber, wie denn die emanzipierte Frau ausschauen solle, heißt es im Text weiter. Er stammt von Elisabeth Gössmann, einer Pionierin der theologischen Frauenforschung.

Über ihr Buch „Das Bild der Frau heute“ sagt sie: „Ach, wissen Sie, es wäre mir eigentlich lieber, wenn man es schon in den Papierkorb werfen könnte. Wenn das, was in dem Buch gesagt wird, schon selbstverständlich geworden wäre.“ Dass uns dieses Thema Jahrzehnte später noch immer beschäftigt, hätte sie wohl nicht gedacht.

Auch in derselben Ausgabe zu lesen: „,Licht des Lebens‘ soll ab Jänner 1964 ,Welt der Frau‘ heißen. Ein Name, der klar zum Ausdruck bringt, dass es sich um eine Frauenzeitschrift handelt.“

Die Frau heute

Diskussionen um das Thema

Die Frau hat heute ganz selbstverständlich ihren Platz in der Gesellschaft gefunden, der Kampf um die Rechte der Frau kann im großen und ganzen, zumindest in unserem Kulturkreis, als abgeschlossen betrachtet werden. Und doch wird heute mehr denn je über die Frau diskutiert, es gibt verschiedenste Auffassungen darüber, wie nun diese „emanzipierte Frau“ ausschauen soll.

Auch in kirchlichen Kreisen setzt man sich intensiv mit dieser Frage auseinander; manchmal prallen die Meinungen hart aufeinander, vor allem dort, wo ein revidiertes, unserer Zeit angepaßtes Frauenbild dem traditionellen Frauenbild, wie es bisher in katholischen Kreisen bekannt war, entgegengesetzt wird. Es ist wichtig, daß wir Frauen uns mit diesen Fragen auseinandersetzen, denn wir werden unsere Aufgaben in der Zeit und in der Zukunft besser bewältigen können, wenn wir uns selbst richtig erkennen.

Früher arbeitete man gern mit dem Gegensatz von Außen und Innen, um den Unterschied im Wesen und im Arbeitsbereich von Mann und Frau zu beschreiben. Der Mann für das Außen von Politik, Wirtschaft und Berufswelt – so hieß es – und die Frau für das Innen von Ehe, Familie, Mutterschaft, von sorgender und dienender Betätigung, Heute greift die Öffentlichkeit, also der Außenbereich, viel stärker in das Leben der Menschen ein. Der Gegensatz von Außen und Innen wird belangloser, als er früher einmal war. Schwindet damit der Unterschied im Leben von Mann und Frau? – Keineswegs!

Angleichung der Gegensätze?

ÄrztinWenn wir die heutzutage ausgeübten Berufe anschauen, so fällt es schwer, eine Arbeitseinteilung nach Geschlechtern zu entdecken. Es scheint ein Prozeß der Verschmelzung und Ausgleichung der Gegensätze im Gange zu sein. Männer und Frauen arbeiten in vielen Berufszweigen bereits miteinander. Grundlegende Unterschiede gibt es da kaum noch.

Das Gebiet der sozial-pädagogischen Berufe, der sogenannten Frauenberufe, ist von den Frauen längst überschritten worden, und auch diejenigen Arbeitsgebiete, die früher als typische Männerberufe galten, stehen der Frau inzwischen mehr oder weniger offen.

Es gibt die Ingenieurin, die Architektin, die Juristin, die Journalistin, die Polikerin, um nur einige Sparten zu nennen. Da sie zahlenmäßig noch bei weitem in der Minderheit sind, spielt keine Rolle, wenn es um das Grundsätzliche geht.

Hatten die Frauen vielfach während der beiden Weltkriege als Lückenbüßer oder als Vertreter in die bis dahin als Domäne der Männer betrachteten Berufe Einlaß gefunden, so wissen sie heute, daß sie alle diese Dinge auch aus eigener Kraft und Verantwortung und Freude gerne tun möchten. Und umgekehrt springen auch Männer berufsmäßig ein auf den zuvor von ihnen gemiedenen Gebieten pflegender und fürsorgender Tätigkeit.

Was soll man dazu sagen? Gleicht das soziologische Bild der heutigen Welt nicht einem Chaos und einer großen Unordnung, in der alle Unterschiede verwischt sind? Man muß jedoch vorsichtig sein, wenn man solche Urteile fällt. Wir haben zu bedenken, unsere Vorstellung von der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau stammt weitgehend erst aus dem Selbstverständnis des sogenannten gehobenen Bürgertums im 19. Jahrhundert.

Und diese Vorstellungen von der Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau sind keineswegs so alt und berechtigt und wesensgemäß wie wir oft glauben. Eine Arbeitsteilung nach Geschlechtern wird vielleicht mit weiterer Technisierung und Automation immer weniger erforderlich sein. Es ist nicht anders zu erwarten, als daß die Skala der von Männern und Frauen gemeinsam ausgeübten Berufe sich immer mehr verbreitert.

Ein neues Miteinander

Man kann diesen Prozeß des Ausgleichs der Gegensätze, der sich heute vollzieht, unter gewissen Bedingungen als etwas sehr Positives verstehen. Die Aufgabe der Weltgestaltung läßt sich in diesem neuen Miteinander von Mann und Frau auf ganz andere Weise verwirklichen als früher.

Das heißt aber wiederum nicht, die früheren Geschichtsstufen seien unvollkommener gewesen, es heißt aber wohl, daß die soziologischen Bedingungen der früheren Geschichtsstufen für die gegenwärtige Situation hemmend wirken würden, wenn man sie über die Zeit hinaus festzuhalten versuchte.

Es ist doch so, daß Mann und Frau einander auf der ganzen Breite des menschlichen Daseins zu fruchtbarer Tätigkeit anzuregen vermögen und gerade auch durch ihre Verschiedenheit. Wenn nun heutzutage die bisher stärker getrennten Bereiche des Mannes und der Frau zur gegenseitigen Mitteilung kommen, so ist dies für beide eine Existenzbereicherung. Der Mann gewinnt Anteil und Interesse an dem, was zuvor die Frau mehr für sich allein tat und rundet dadurch sein Sein und seine Wirksamkeit.

Das gleiche geschieht mit der Frau, wenn sie ihren bisherigen Lebenskreis nicht verläßt, sondern in eine allgemeinere Verantwortung für das menschliche Leben und für die Gesellschaft ausweitet. Gegenseitiges Anteil-Gewähren der zuvor stärker getrennten Gebiete des Mannes und der Frau ist aber etwas anderes als Verkehrung einer unumstößlichen Lebensordnung.

Wenn die heutige Aufhebung der früheren Gegensätze besonders in der Arbeitswelt nun wirklich diesen tiefen Sinn erhalten soll, so muß menschlicher Einsatz dabei im Spiele sein. Mit einer bloßen Vertauschung der Funktionen als Mann und Frau ist gar nichts getan. Jeder, der Mann wie die Frau, muß behalten, was ihm immer schon zukam. So ist es auch kein völliges Loslösen von dem, was früher war.

Wenn die Frau mit der Berufstätigkeit ein neues Arbeitsgebiet hinzugewinnt, weil der Haushalt keine Produktionsaufgabe mehr hat, wie früher das Spinnen, Weben und Brotbacken, so darf sie sich deswegen doch nicht weniger verantwortlich fühlen für die Ermöglichung des menschlichen Lebens und Wohnens und vor allem für das Kind. Wird also das Alte im Prinzip nicht aufgegeben und Neues organisch hinzugewonnen, dann könnte sich noch einmal eine fruchtbare Phase der Menschheit entwickeln.

Daß es sich bei dieser heute gegebenen Möglichkeit für Partnerschaft von Mann und Frau um etwas ungeheuer Geistiges handelt, ist offensichtlich. Ob aber diese Zusammenarbeit von Mann und Frau in ihren Ansätzen steckenbleibt oder sich wirklich in echter Weise durchsetzen wird, das liegt noch in der Zukunft.

Es ist jedoch notwendig für uns, hoffnungsvolle Zukunftsausblicke zu haben. Ein christliches Geschichtsverständnis bringt es doch mit sich, daß das menschliche Leben und die Lebensformen sich weiter entfalten müssen bis zum Ende. Je mehr man die in einer bestimmten Zeit liegenden positiven Möglichkeiten erkennt und wahrnimmt, desto besser kann man auch gegen die Verfallserscheinungen ankämpfen.

Die getreue Magd

Man hat von jeher das Wort „dienen“ in besonderer Weise mit dem Wesen der Frau in Beziehung gebracht. Und gerne sucht man auch heute noch den eigenständigen und schöpferischen Elan einer Frau mit dem Hinweis zu beschneiden, daß der Charakterzug der Frau eben nun das Dienen sei und nicht das Herrschen. Die Zusammenschau der Worte Dienst und Frau weckt in uns die verschiedensten Gedankenverbindungen.

Im religiösen Bereich haben wir etwa das Bild von Maria als die Magd des Herrn und im sozialen Bereich von gestern haben wir das Bild der getreuen Magd auf dem Bauernhof oder im Haushalt und in der Familie, die morgens früh aufsteht, den Tag über schwer arbeitet, als letzte schlafen geht, ein Leben lang mit geringem Lohn und ohne geregelte Freizeit bei einer Herrschaft aushält, die ihre eigenen Interessen so sehr vergessen hat, daß sie entweder gar nicht mehr vorhanden oder in den Interessen der Herrschaft aufgegangen sind. Die getreue Magd von einstens dachte und sorgte selbstlos nur für diejenigen, denen sie diente.

So etwas gibt es heute nur noch in Ausnahmefällen. Es waren die menschlichen Werte, die mit der alten Ständeteilung und Sozialordnung zusammenhängen. So schlicht und groß diese menschlichen Werte waren, wir dürfen nicht versuchen, sie auf die heutigen soziologischen Zustände nach der Ausgleichung der Standesunterschiede zu übertragen.

Dienst im weiteren Sinn

Sowohl der Begriff Dienen wie auch Dienst hat im gegenwärtigen Sprachgebrauch eine andere Wendung genommen als auch die Wertung und Deutung des Wesens der Frau im modernen Leben.

Die heutige Frau will nicht mehr magdhaft im alten Sinne sein; sie wehrt sich dagegen, in den Interessen anderer ganz und gar aufzugehen. Sie betont sich selbst und ihre eigenen Interessen als Person.

Was sollen wir dazu sagen? Sollen wir sie in die alten Strukturen zurückweisen; ich glaube, das können wir nicht. Die moderne Frau hat ein gutes Recht dazu, sich als eigenständige Person zu entdecken und zu bejahen.

Frau mit KindWenn das Wesen der Frau nur von den Zügen der Mütterlichkeit und Hingabe geprägt wäre und nicht auch von ihrer eigenständigen Persönlichkeit, dann bestünde ohne Zweifel ein Widerspruch zwischen der modernen Lebens- und Arbeitswelt und dem Wesen der Frau.

In der Tat besteht aber dieser Widerspruch nicht. Die Frau ist berufsfähig, und falls sie im Beruf steht, soll sie sich auch zur Berufstüchtigkeit ausbilden.

Daß das häusliche Arbeitsgebiet der Frau, das Leben und Reifen mit dem Größerwerden der Kinder oder auch das Arbeitsgebiet der Frau in der beruflichen Partnerschaft des Bauern und der Bäuerin auf dem Bauernhof, daß dieses alles Dienstcharakter hat, bedarf keiner weiteren Erwähnung; es ist nach wie vor selbstverständlich.

Man sollte aber auch im Sinne der Erwachsenenbildung darauf hinarbeiten, daß die einfache Arbeiterin in der Fabrik, die am Fließband steht, nicht nur als Grund für ihre Arbeit an ihre Lohntüte denkt, sondern daß sie den Dienst, den sie tatsächlich für die Allgemeinheit tut, nicht gedankenlos verrichtet, sondern darum weiß und gemeinschaftsbezogen lebt.

Verheiratete und Unverheiratete

Es gibt auch einen Dienst der unverheirateten und der verheirateten Frauen füreinander. Diese beiden Gruppen von Frauen dürfen sich keinesfalls bewußtseinsmäßig und lebensmäßig voneinander entfernen, wie es manchmal heute die Gefahr ist, sondern sie sind auf einen Austausch miteinander geradezu angewiesen. Berufsarbeit und Hausfrauenarbeit werden in Zukunft in der Frau enger zusammenrücken und beides ist Dienst.

Über die Familie hinaus

Es wäre eine unberechtigte Festlegung, wollte man sagen, daß die verheiratete Frau ihren Dienst nur ihrer eigenen Familie schuldet. Auch sie muß über ihre eigene Familie hinausdenken. Und es wäre ebenso eine Festlegung, wenn man sagen würde, daß die unverheiratete Frau nur ihren Dienst der menschlichen Gesellschaft schuldet. Auch sie muß an die Familien denken und den Familien zu Hilfe kommen, denn wenn sie alt ist, lebt sie von der Arbeit der Kinder anderer Frauen.

Es ist ebenso eine ernste Frage, die wir heute gerade im katholischen Bereich diskutieren müssen, ob eine Frau, die einen Beruf beherrscht, in dem sie nicht so leicht zu ersetzen ist, nach der Verheiratung ohne weiteres nur noch ihrer individuellen Familie leben darf.

Es wäre möglich, daß ein verstärkter Dienst der Gemeinschaft an den Familien auch wiederum wertvolle Kräfte aus dem Inneren der Familie, Kräfte von Frauen, die ihre Erfahrungen in den Dienst für die Familie gewonnen haben, daß diese Kräfte wiederum freigesetzt würden für einen gröBeren Kreis von Menschen in der überfamiliären menschlichen Gesellschaft.

Ein geändertes Bild der Frau

Die praktische Entwicklung hat uns zu vielen Dingen geführt, die einem früheren Menschenbild widersprechen. Wir tun manches, gerade auch als Frauen, von dem wir wohl wissen, daß wir es können und daß wir es auch gerne tun möchten, aber wir sind uns eigentlich noch nicht recht klar darüber, warum wir es auch wirklich tun dürfen.

Manchmal lähmt ein veraltetes Frauenbild unser echtes und berechtigtes Selbstentfaltungsbedürfnis in der menschlichen Gesellschaft und für die menschliche Gesellschaft. Aber je mehr sich das heutige Leben der Frau in seinen erweiterten Bereichen als wahr und als gültig erweist, je mehr es sich durch eine gut bewältigte Praxis rechtfertigt und die Spannung von alten und neuen Aufgabenbereichen von der Frau durchgehalten und vereinbart werden, desto mehr wandelt und korrigiert sich auch das Bild der Frau im allgemeinen Bewußtsein.

Univ.-Doz. Dr. Elisabeth Gössmann

Elisabeth GössmannMit ihrem Buch „Das Bild der Frau heute“ hat Frau Dr. Elisabeth Gössmann einen sehr wichtigen Beitrag zur Diskussion über die heutige Frau geleistet. Die Autorin ist Theologin, Ehefrau und Mutter von zwei Kindern und als Universitätsdozentin an der katholischen Universität in Tokio tätig. Sie tritt für ein revidiertes christliches Frauenbild ein, das allerdings im Gegensatz steht zu einem in katholischen Kreisen vielfach auch heute noch vertretenen Frauenbild einer vergangenen Zeit.

Wie Frau Dr. Gössmann selbst über ihr Buch denkt, zeigt folgendes Gespräch: Eine Frau bedankte sich bei Frau Dr. Gössmann für das, was sie in dem Buch „Das Bild der Frau heute“ aussagt. Darauf die Autorin:

Ach, wissen Sie, mir wäre es eigentlich lieber, wenn man es schon in den Papierkorb werfen könnte.

Großes Erstaunen auf der anderen Seite,

„Ich meine“, erklärte Frau Dr. Gössmann, es wäre besser, wenn das, was in dem Buch gesagt wird, schon selbstverständlich geworden wäre und man sich neuen Problemen zuwenden könnte.“

Beim Delegiertentag der Katholischen Frauenbewegung in Linz, am 3. Oktober 1963, hielt Frau Dr. Elisabeth Gössmann ein Referat zum Thema „Die Frau in der heutigen Gesellschaft“. Wir bringen in dieser und in der nächsten Nummer unserer Zeitschrift Auszüge aus dem sehr bemerkenswerten Vortrag.

Licht des Lebens Dezember 1963Erschienen in: Licht des Lebens, Dezember 1963

„Welt der Frauen“ begleitet ihre Leserinnen und Leser seit 75 Jahren – die erste Ausgabe erscheint 1946  unter dem Titel „Licht des Lebens“ in Wien im Kontext des ideellen Wiederaufbaus nach dem Krieg. 1964 wird „Licht des Lebens“ in „Welt der Frau“ umbenannt und schließlich 2018 zu „Welt der Frauen“.

Welt der Frauen April 2021

 

 

75 Jahre „Welt der Frauen“ – unsere Jubiläumsausgabe April 2021 können Sie hier bestellen.

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  • Veröffentlicht: 23.03.2021
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