Rentiere und der Schamanismus gehören zur Kultur der Duhalar. Doch die Tiere werden immer weniger. Die NomadInnen in den Weiten der Mongolei stehen an einem Scheideweg.Text & Fotos: Hamid Sardar-Afkhami // Zusammenfassung & Übersetzung: Julia Langeneder
Die Rentiere marschieren in knietiefem Schnee. Yadam, mein Reiseführer, erzählt, dass die Duhalar bis ins 20. Jahrhundert relativ unbekannt waren, bis sie ein russischer Kartograf bei einer Expedition entdeckte. Die Duhalar-RentiernomadInnen, die im nördlichen Waldgürtel der Mongolei, der Taiga, wohnen, dürften die Nachkommen jenes Volkes sein, das vor 3.000 Jahren als erstes die Rentiere domestizierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg zerschnitt der Eiserne Vorhang das Rentier-Märchenland. Die Sowjetunion annektierte ein kleines Land, genannt Tuva, die Rentiere wurden konfisziert, die Schamanen verfolgt und die Duhalar in Kolchosen angesiedelt. Nach der demokratischen Wende 1992 kamen die Duhalar wieder in den Besitz ihrer Rentiere, sie zogen zurück in die Berge und versuchten, das alte Band zwischen Mensch und Tier wieder aufzunehmen. In weniger als einem Jahrzehnt ging jedoch die Hälfte des Bestandes zugrunde.
Wir kommen zu einem Platz, wo Ghosta mit seinen 70 Rentieren campiert. Ghostas Adoptivtochter Handa erzählt, dass die meisten Kälber vergangenen Frühling von Wölfen getötet worden sind. „Weil die meisten meiner Neffen in der Schule im Dorf sind, ist es schwierig, die Kälber zu beaufsichtigen.“ Viele Familien, mit denen wir in der Taiga reden, klagen über Wölfe. Das natürliche Gleichgewicht ist gestört, da die wilden Tiere verschwinden und die Wölfe nun über die Kälber herfallen. Auch die Duhalar haben mangels Alternativen begonnen, ihre eigenen Rentiere zu essen.
Verschwinden die Rentiere, verschwindet auch die Kultur der Duhalar.
Die schamanischen Riten der Duhalar folgen dem Mondkalender.
Die Duhalar sind abhängig von den Rentieren. Sie trinken deren Milch, gehen mit ihnen auf die Jagd und pflegen eine eigene Spiritualität. Die Wanderrouten passieren nämlich einen Wald, in dem die verstorbenen Vorfahren des Volkes bei drei heiligen Bäumen, „takhilgan“ genannt, bestattet sind. Dem Glauben der Duhalar zufolge kommunizieren die Seelen der Vorfahren mit den Lebenden durch die Gesänge der Stammes-Schamanen.
Erschienen in „Welt der Frau“ 01/17 – von Hamid Sardar-Afkhami