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03/24

Das Essen ist hier besser als sein Ruf

Das Essen ist hier besser als sein Ruf

Man möchte es kaum glauben, aber London ist eine kulinarische Reise wert. Und zur Erholung: einfach über die Themse schauen.

Auch wenn die aktuelle Brexit-­Situation die Wahrnehmung trübt, bleibt das Vereinigte König­reich Großbritannien und Nordirland mit knapp 40 Millionen BesucherInnen jährlich eine sehr beliebte Destination für Reisende. Einen Großteil zieht es in die Hauptstadt London, die mit 8,7 Millionen mehr EinwohnerInnen als Österreich insgesamt zählt und flächenmäßig viermal so groß ist wie Wien. Die Metropole zählt nicht nur zu den wichtigsten Finanzzentren weltweit, sondern gilt auch als das Kreativ- und Musikzentrum Europas.

Kulinarisch eilt Großbritannien jedoch kein guter Ruf voraus, und Kontinental­europäerInnen rümpfen über die britische Küche die Nase. Zu Unrecht, denn spätestens mit Shootingstars wie dem unkomplizierten Jamie Oliver, der sinnlichen Nigella Lawson, dem naturnahen Hugh Fearnley-Whittingstall, dem verrückten Heston Blumenthal oder dem Aromagott Yotam Ottolenghi wurde der britischen Kulinarikszene Selbstbewusstsein eingeimpft. Heute präsentiert sich Londons Gastronomie als eine abwechslungsreiche Mischung, die unter anderem hochwertige Hausmannskost in Wohnzimmer­atmosphäre zu bieten hat, Fine Dining oder Küche aus kolonialem Erbe. Ein Ort, an dem vorgedacht und ausprobiert wird und vermutlich mehr erlaubt ist als in Kontinentaleuropa.

Wer eine Reise nach London plant, sollte also unbedingt in die lokale Ess- und Trinkkultur eintauchen und bei der Planung sein Augenmerk darauf legen. Da die Stadt groß ist, empfiehlt es sich, den Besuch der Sehenswürdigkeiten nach der Wahl der Pubs oder Restaurants auszuwählen oder umgekehrt. Der Samstagvormittag sollte für einen Marktbesuch in Kombination mit Frühstück oder Mittagessen reserviert werden. Sonntags gibt es den traditionellen Sonntagsbraten in den Pubs, und eine Reservierung ist vorab in allen Speiselokalen sinnvoll.

DAS „PUBLIC HOUSE“, KURZ PUB
Den Gegenpol zur ganzen Hippness und Rasanz von London bietet eine altehrwürdige Institution: das Pub, das „Public House“, also ein öffentlicher Raum für die Nachbarschaft und eine erfolgreiche Erfindung der viktorianischen Ära vor 1900. Hier scheint die Zeit tatsächlich stehen geblieben zu sein, denn mit Teppich ausgelegte Böden, große, einladende Holzbars sowie als Sichtschutz eingefärbte Fensterscheiben sorgen für das wundervolle Wohnzimmerambiente eines traditionellen Pubs. Sowohl tagsüber bei Tee oder Kaffee, aber bevorzugt abends nach getaner Arbeit wird im Pub mit ArbeitskollegInnen und FreundInnen beim Bier entspannt. Wenn die Sperrstunde und die letzte U-Bahn näher rücken, wird die Stimmung mit jeder Minute lauter und ausgelassener.

Das kulinarische Angebot in Pubs ist meistens auf wenige Gerichte beschränkt. Grundsätzlich wird an der Bar bestellt, und besonders BierliebhaberInnen werden eine traumhafte Auswahl an frisch gezapftem Bier vorfinden. Bestellt wird in „Pints“, die ungefähr unserem Krügel entsprechen. Eine besondere Tradition stellt das „gepumpte“ Bier dar, das sogenannte „Cask Ale“, das ungefiltert, nicht pasteurisiert, ohne zusätzliche Kohlensäure und tendenziell etwas wärmer als gewohnt ins Glas gepumpt wird. Cask Ale, oft auch als „Real Ale“ bezeichnet, ist daher keine eigene Biersorte, sondern beschreibt ein traditionelles Verfahren der Bierherstellung, das bereits aus der Zeitrechnung vor Christus stammt und sich auch heute noch einer großen Fangemeinde erfreut.

Eine kulinarische Erweiterung bieten Gastro-Pubs, die bis zu Michelin-Stern gekrönte britische Küche kredenzen. Hier wird im Wohnzimmerambiente von klassischem Fish and Chips, traditionellen Pies bis hin zu britischen Muscheln oder Wachteln auf Restaurantniveau serviert. Wer hingegen nur eine Packung Kartoffelchips möchte, muss an der Bar „Crisps“ bestellen, die gerne auch mit Essig gewürzt sind.

MÄRKTE MIT TRADITION
Samstag ist Markttag, und daher lohnt es, sich vormittags auf eine kulinarische Entdeckungstour rund um die Märkte zu machen. London ist in die „City of London“ und 32 „Boroughs“, also Bezirke, gegliedert. Aus einem der Märkte dieser ­Boroughs wurde „der“ Borough Market, der bereits seit dem 13. Jahrhundert besteht und zu einem der ältesten in London zählt. In Gehdistanz zur London Bridge ist er in einem schönen Art-déco-Gebäude untergebracht, bietet ein Angebot für alle Sinne mit Lebensmitteln und Restaurants sowie Straßenküchen auf der Außenfläche.

KäseliebhaberInnen sollten mit einer Vorratsdose ausgerüstet die Straße queren und sich bei „Neal’s Yard Dairy“ vom kompetenten Personal die große Auswahl an britischen Rohmilchkäsesorten erklären lassen. „Neal’s Yard Dairy’“ ist ein Rohmilchkäsehimmel, der über die Grenzen von London hinaus bekannt ist. Daher lohnen sich ein Einkauf und ein Export nach Hause, da es diese Qualität von britischem Rohmilchkäse außerhalb von Großbritannien kaum zu kaufen gibt.

Kaum schlägt die Uhr „beer o’clock“, sollten Sie auch ein paar Straßen weiter in das im Hinterhof versteckte Pub „The George Inn“ ziehen. Das hübsche Pub umfasst gleich mehrere kleine, charmante Räume und im Sommer einen einfachen Gastgarten im Innenhof.

Es lohnt sich auch, Ausschau nach britischem Schaumwein zu halten, der in den letzten Jahren besonders viel Aufmerksamkeit erhalten hat und sogar mit Champagner in einem Atemzug genannt wird. Produziert wird diese überschaubare und hochpreisige Menge an Perlage übrigens in Südengland, wo die Trauben auf Kalkböden mit ähnlichen Bedingungen wie in der Champagne wachsen. Die britischen Schaumweine zeichnen sich vor allem durch ihre lebendige Frische und Trinkfreundlichkeit aus.

Weniger touristisch und kleiner als der Borough Market ist der Broadway Market, der sich nördlich der Themse im Bezirk Hackney befindet. Dieser Bezirk ist „up-and-coming“, wie man neue Szenebezirke gerne bezeichnet. Der Straßenmarkt bietet nicht nur Kulinarik, sondern auch Kleidung und Kunst an und lädt mit den umliegenden Lokalen und Gastgärten zum Verweilen ein. Die Anreise lohnt sich samstagvormittags, da man hier tatsächlich einen guten Eindruck vom jungen, urbanen Londoner Leben bekommt. Von dort geht es über die Columbia Road zur Brick Lane und wenn möglich direkt ins Restaurant des israelischen Starkochs ­Yotam Ottolenghi in Spitalfields.

INDISCHE KÜCHE, NOBEL ODER LEGER
Unmittelbar hinter der Westminster ­Abbey kann man im „Cinnamon Club“ in exklusivem, kolonialem Ambiente auf eine Gewürzreise in die Vergangenheit gehen. Beste und feinste, geschmacksintensive indische Küche wird hier serviert. Es lohnt sich, in diesem Fine-Dining-Restaurant eine Reservierung zum Mittagessen zu buchen. Wer es legerer mag, kann die ebenfalls gute, einfache indische Küche der Restaurantkette „Dishoom“ probieren, deren Filialen in der Stadt verteilt zu finden sind.

Zur Entspannung, für die Verdauung und als bequeme Entdeckungstour kann man dem Trubel der Stadt mit einem „­River Bus“ entfliehen, der ebenfalls zum öffentlichen Verkehrsnetz gehört. Vom Zentrum südöstlich bis nach Greenwich gewährt die Schifffahrt auf der ­Themse imposante Ausblicke auf neu entwickelte Stadtteile wie Canary Wharf, das neue Finanzviertel Londons. Im Stadtteil Greenwich lohnt ein Spaziergang durch das Zentrum, den Universitätscampus und ein Besuch beim Nullmeridian, dem ein Einkehrschwung ins „Cutty Sark“ folgen könnte. Das Pub liegt direkt an der Themse und hat einem wunderschönen Gastraum. Es wurde übrigens nach dem berühmten Segelschiff „Cutty Sark“ benannt, das seinerzeit das schnellste und auch letzte Segelschiff für Warentransport war und im Trockendeck ebenfalls zur Besichtigung vor Ort liegt. Es lohnt sich, den besten Tisch im 1. Stock direkt am Fenster mit Ausblick über die Themse zu reservieren oder, wenn das Wetter es erlaubt, die gemütliche Atmosphäre im Gastgarten zu genießen.

London ist definitiv eine gute Reise­destination für das ganze Jahr, da die Temperaturen gemäßigt sind und ausreichend Programm für drinnen und draußen geboten wird. Die kulinarischen Stationen garantieren Höhepunkte und lassen sich zwischen den Sightseeing-Stationen gut einbauen.

Als Einstimmung für zu Hause der britische Klassiker:

Fish and Chips mit Erbsen-Minze-Püree

Zutaten für 4 Personen:

1 kg speckige Kartoffeln / 150–200 g weißes Fischfilet (z. B. Kabeljau) pro Person / 200 g Mehl und Mehl zum Bestauben / 250 ml Bier / 3 TL Backpulver / Salz / Pfeffer

Für das Püree: 200–300 g TK-Erbsen / 1 EL frische Minzeblätter, gehackt / 1–2 EL Butter / 1 Zitrone

Für die Chips Kartoffeln schälen und in Pommes-Form schneiden. In einem Topf mit Salzwasser für circa 4–5 Minuten kochen, bis sie weich sind, aber noch ihre Form behalten. In einem Sieb gut abtropfen lassen und auf Küchenrollenpapier trocknen.

Für das Püree Butter in eine Pfanne geben und die Erbsen mit gehackter Minze darin zugedeckt bei mittlerer Hitze für circa 10 Minuten weich dünsten. Etwas Zitronenschale und einen Spritzer Zitronensaft dazugeben, dann mit einem Pürierstab grob pürieren und mit Salz, Pfeffer und Zitrone abschmecken.

Backofen auf 180 °C vorheizen. Ausreichend Öl in einer tiefen Pfanne auf circa 190 °C erhitzen.
Den Fisch mit 1/2 TL Salz und 1 TL frisch gemahlenem Pfeffer auf beiden Seiten würzen, damit er entsaftet.
Für den Teig in einer Schüssel Mehl, Backpulver und Bier mit einem Schneebesen verrühren.
Fischfilets auf beiden Seiten in Mehl stauben und durch den Bierteig ziehen, überflüssigen Teig abtropfen lassen.
Fischfilets an einem Ende halten und so in das heiße Fett gleiten lassen. Den Fisch circa 4 Minuten pro Seite backen, bis er durch und schön braun ist. Auf Küchenrollenpapier abtropfen lassen und anschließend auf das Backblech legen, dieses ins Backrohr schieben (für 7 bis 12 Minuten, je nach Filetdicke).
Die Chips in der Pfanne ebenfalls knusprig frittieren. Abtropfen lassen und gemeinsam mit Fisch, Püree und einer Spalte Zitrone servieren.

Kulinarische Tipps

Fotos: Shutterstock, Adobe Stock, beigestellt

Erschienen in „Welt der Frauen“ 03/19

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  • Veröffentlicht: 01.07.2019
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