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04-05/24

Buchempfehlung: Meine Schwester, die Serienmörderin

Buchempfehlung: Meine Schwester, die Serienmörderin

Detektivgeschichten in gehobenen Klassen, köstliches Essen, schicke Gesellschaft. Das bietet dieser Roman glücklicherweise nicht. Er erzählt von Korruption in Lagos, er erzählt von der Macht der Männer und deren Gewalt. In klaren, einfachen Sätzen erzählt die Autorin von Lebensumständen, von gewalttätigen Männern, von Faulheit, von Frustration: Soviel Wahrheit verlangt nach vielen Dialogen und Hauptsätzen, für die Behübschung von Elend boten sich hier keine Schachtelsätze der Vertuschung an. Zack-Bum, viel steht zwischen den Zeilen.

Zum ersten Mal waren wir größer

Wer Krimis mag, in denen das Böse am Ende verliert, muss hier nicht weiterlesen. Das Böse ist hier nämlich wenig fassbar, es gibt die Verzweifelten, die Verführenden und die Verführten. Es gibt viel sympathisches Grau, kein arrogantes Schwarz-Weiß und keine Klugscheißerei. Die Schwester der Ich-Erzählerin bringt Männer um. Sie tötet sie mit einem Messer, einen vielleicht auch mit Drogen. Und dann ruft sie an und dann beginnen wir zu lesen. Ich konnte nicht mehr aufhören, ich las den Roman in einem durch.

„Ayoola ruft mich mit diesen Worten herbei: Korede, ich habe ihn umgebracht. Ich hatte gehofft, diese Worte nie wieder zu hören.“

Korede, die Krankenschwester, die Verlässliche, die Stütze der verwitweten Mutter, die Helferin der narzisstischen Schwester Ayoola, die das große Drama liebt und anzieht. Wie auch die Männer. Sie ist bildschön, sie weiß sich in Szene zu setzen und hat dennoch ihr Messerchen immer dabei: Wird sie gekränkt, sticht sie zu.

Korede entsorgt mit ihr die Leichen, lügt für sie, putzt die Tatorte und hofft, dass ihre Schwester endlich zur Besinnung kommt. Es gibt die hübsche Schwester, das ist die Serienmörderin. Korede ist kantig, wo die andere rund ist: Eine Geschichte der Bevorzugung bzw. Ausgrenzung spielt sich im Hintergrund dieser spannenden Handlung ab. Da ist auch der Vater, immer wieder sehr präsent, obwohl er doch tot ist. Auch er hielt sich nicht an das Gesetz, auch er überschritt Grenzen, drang in Tabuzonen vor.

Korede vertraut die Morde ihrer Schwester einem Koma-Patienten an, den seine Familie vergessen zu haben scheint. Und ja, sie ist in einen Arzt verliebt, der sie aber nur als tüchtige Mitarbeiterin wahrnimmt. Und der sich jetzt in die entzückende, aufreizende Schwester verliebt hat. Korede wähnt ihn in Todesgefahr und intrigiert auf nicht gerade dezente Art. Die beiden Schwestern verbindet, beim Tod des Vaters zugegen gewesen zu sein.

„Eines Tages türmte er sich vor mir auf und ließ die wüstesten Beschimpfungen auf mich herabregnen. Er griff nach seinem Stock ... Ich stand vorsichtig auf, und Ayoola kam hinter dem Sofa hervor, wo sie in Deckung gegangen war. Wir standen über ihm. Zum ersten Mal waren wir größer. Wir sahen zu, wie das Leben aus ihm heraussickerte.“

Klischees werden hier angerissen und sofort korrigiert: Ayoola designt Mode, ist auf Instagram mehr zuhause als im Haus von Mutter und Schwester in Lagos, gibt sich mit Kerlen ab, aber sie kriegt mehr mit, als man ihr zutraut. Am Ende ist der Koma-Patient erwacht, muss ein Opfer … Nein, das erzählt man doch nicht, die Spannung soll doch bleiben.

Was Sie versäumen, wenn Sie diesen Roman nicht lesen

Lebensumstände in Lagos/Nigeria, Eifersucht, Familiengeschichte, Recht-Unrecht, Frauenleben, die Lust, zu putzen, Schwestern-Liebe-Hass, Hintergründiges, witzige Dialoge.

Die Autorin Oyinkan Braithwaite

hat kreatives Schreiben sowie Jura in Kingston studiert und hernach u. a. in einem nigerianischen Verlag gearbeitet, aktuell ist sie als freie Autorin tätig. Sie lebt in Lagos/Nigeria – für ihren Debütroman erhielt sie zahlreiche Preise.

Oyinkan Braithwaite:
Meine Schwester, die Serienmörderin.
Roman.
Aus dem Englischen von Yasemin Dincer.
Blumenbar Verlag.
240 Seiten.

Christina RepolustChristina Repolust

Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss, wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.”
www.sprachbilder.at

Mehr Lesestoff von Christina Repolust erscheint regelmässig in der „Welt der Frauen”, Rubrik Staunen & Genießen. Hier können Sie ein kostenloses Testabo bestellen.

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  • Veröffentlicht: 07.07.2020
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