Notiz #12: Über einen Ort, den niemand wollte & meine Reise zu den Minenmädchen in die Westsahara. Von Natalie Halla.
Die Hölle auf Erden
Es gibt einen Ort auf dieser Erde, der so unwirtlich ist, dass ihn niemand wollte. Nicht einmal Algerien, dem die ödeste aller Wüsten gehört. Und doch lebt dort seit beinahe 50 Jahren ein Volk auf der Flucht. Als Spanien Mitte der 1970er-Jahre seine Kolonialansprüche über die Westsahara aufgab und seine afrikanischen Staatsbürger ihrem Schicksal überließ, annektierte Marokko das Gebiet südlich seiner Staatsgrenzen und löste damit eine Massenflucht aus. Der Traum eines unabhängigen Staates Westsahara, wie es die UNO versprochen hatte, geriet schnell in Vergessenheit. Östlich des annektierten Territoriums errichtete das marokkanische Militär einen 3000 km langen Sandwall und machte ihn mit 20 Millionen Landminen zum vermintesten Ort der Erde. Die geflüchteten Sahrauis wurden durch den Wall vom Meer getrennt und unzählige Familien auseinandergerissen. Vielen blieb nur die Flucht in den Osten. In die Hammada, der Hölle auf Erden. Der Ort, den niemand wollte. Nicht einmal Algerien, dem er gehört.
Mein Film Separated
Zu den Sahrauis fuhr ich, um meinen Film „Separated“ zu drehen. Ein Film über Trennmauern. Man hatte mir erzählt, dass junge sahrauische Mädchen an der Entminung des Walls arbeiteten. Ich wollte sie kennenlernen, ihre Geschichte erzählen. Ein Sandsturm fegte nachts über die felsige Hammada, als wir losfuhren. 1000 km Fahrt durch den dünnen Landstreifen der „Freien Zone“ und durch Mauretanien lag vor uns. Ein mit Militärs der Polisarischen Front gefüllter Pick-up eskortierte uns. Pako – jener spanische Feuerwehrmann, den ich damals in Haiti beim Drehen meines Films „Gaelle“ kennengelernt hatte – begleitete mich und ließ mich nicht aus den Augen. Denn ich war wahrscheinlich das einzige weibliche Geschöpf in jener gottvergessenen Wüste in einem Radius von 500 km. Sidi, unser Fahrer, ein wahrer Sohn der Wüste, fuhr immer den Sternen nach, parallel zum Wall immer Richtung Süden. Nicht zu weit rechts, wo die Minen lauerten und nicht zu weit links, wo Schluchten die Wüste zerfurchten. Straße gab es keine, nicht einmal eine Sandpiste und ich weiß bis heute nicht, wie Sidi sich damals orientieren konnte.
Die Minenmädchen
Nach zwei endlosen Tagen erreichten wir bei Mijek das neu errichtete Entminungscamp im Süden des Walls. Am Vortag hatte ein Sandsturm einen Teil des Lagers verwüstet und die Männer waren gerade mit dem Wiederinstandsetzen der Entminungsgeräte beschäftigt. Ich wurde im Zelt der Entminerinnen einquartiert und empfand das als Riesenglück. Noch benommen und erschöpft von der langen Fahrt taumelte ich in ihr Zelt und wurde mit einem breiten Lächeln der Mädchen begrüßt. Ich lächelte zurück und der Bann war gebrochen. Wir brauchten keine gemeinsame Sprache, um uns zu verständigen. Zehn Minuten später saß ich neben ihnen auf dem Boden, trank Minztee und bestaunte ihre gemütlichen, von Moskitonetzen geschützten Schlaflager. Sie waren kokett, lackierten sich die Fingernägel und machten sich hübsch für die nächste tödliche Mission. Und sie hatten Träume. Alle träumten sie das Gleiche: in einem eigenen Land zu leben ohne marokkanische Repression. Und sie träumten von ihren Familien im Norden, in den Flüchtlingslagern der Hammada, die sie nur ganz selten besuchen konnten. Zu weit und zu gefährlich war die Strecke entlang des Walls. Die Minen waren ein Teil ihres Alltags geworden. Sie sprachen von ihnen fast als handelte es sich dabei um ihre Kinder. Wie man sie zärtlich behandeln musste. Mit viel Geduld und Respekt.
Die Oase des Lebens
Ich verbrachte nur wenige Tage in Mijek, doch die Bilder sind geblieben. Die kleine Duschkabine am Rand des Minenfeldes. Die hübschen, fröhlichen Mädchen in ihren blauen, weiten Gewändern und der Schutzmaske vor dem Gesicht, die sie im Fall des Falles nicht retten würde. Die gemütliche Atmosphäre im Zelt und unsere Gespräche in einem prekären Englisch über meine und ihre Welt. Sie gehörten jener Generation an, die in den Flüchtlingslagern der Hammada zur Welt gekommen waren. Sie kannten nichts anderes als ihre Wüste und den Sandwall. Das Meer, das einst den Sahrauis gehört hatte, hatten sie nie gesehen. Wir plauderten nächtelang, während draußen der Sandsturm tobte. Eine kleine Oase des Lebens inmitten eines Ortes, der so unnötig von Menschen dem Tod geweiht worden war.
Natalie Halla
spricht sechs Sprachen, ist weitgereist und arbeitet als unabhängige Filmemacherin. Ihre „Notizen einer Abenteurerin“ bieten sehr persönliche Einblicke in eine unbekannte, spannende Welt abseits üblicher Reiserouten und befassen sich auch mit sozialen und humanitären Ungerechtigkeiten, denen sie begegnet ist.
www.nataliehalla.com
Foto: Alexandra Grill
Fotos: Natalie Halla