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04-05/24

Mein Traum, letzte Nacht, meine Traum!

Mein Traum, letzte Nacht, meine Traum!
„Als Kind bemerkte ich, dass die Dinge nur existieren, wenn ich an sie glaubte. (S. 9)“

Welch schöner Beginn eines kleinen, feinen Buchs, das der Verlag Roman nennt. Ist aber egal, gern folge ich Malina, der Ich-Erzählerin, die so viel sieht, wie keine andere. Stets werden ihre Eltern darüber ausgefragt, ob nun alles mit ihr, dem Kind, normal sei, oder spinne das Kind noch? Sehe Menschen und Dinge, die nicht existieren? Da schaukelt ein Kind zwischen Erde und Himmel, ist schwerelos und fürchtet, dass die realen Dinge seiner Umgebung verschwinden. Wie das Glas mit Wasser etwa, das zur reinen Illusion geworden war. Oder doch nicht?

1989: Malina ignoriert die Befehle und Warnungen ihres Vaters, spielt im Wald und überschreitet die reale Staatsgrenze. Wie holt der Vater, der Grenzbeamte, sein Kind hier an der Grenze zwischen Österreich und der Tschechoslowakei zurück?

„Du sagst nichts. Und ich sagt nichts. Du machst keine Meldung nach Wien, und ich, na ich mache keine Meldung nach Prag. Wenn Schießerei und Grenzvorfall, dann Politik. Aber Politik ... aaah Politik nicht gut. Wenn keine Schießerei und kein Grenzvorfall, dann auch keine Politik. Dann ist alles gut. Aaalles gut. Abgemacht?“ Der General hob sein Schnapsglas. (S. 35)“

Das Mädchen hat die Gabe, sich als reife Frau zu sehen, einen Autounfall ihrer Mutter vorauszusehen, bei dem diese beinahe ums Leben gekommen ist. Sie hat Mitleid mit Gott, von dem die Leute behaupten, er sähe alles; nur sie weiß, wie mühsam es doch ist, alles zu sehen. Es sind die Eltern, die sich kümmern, die um ihre Fassung ringen, es ist der Vater, der mit seiner rauen Art zu seiner Tochter vorzudringen vermag. Auch er zwischen unterschiedlichen Realitäten, auch er überfordert: Leise liest er seiner Tochter vor. Was hilft das Sortieren, wenn Zukunft und Vergangenheit kühne Tänze wagen?

 

Was Sie versäumen, wenn Sie das Buch nicht lesen: Verrückung, Anhalten der Zeit, Grenzräume zwischen Realität und Traum, Konzentration, Grenzgänge an der österreichisch-tschechoslowakischen Grenze

Der Autor, Jahrgang 1970, lebt im nördlichen Weinviertel und in Wien.

Thomas Sautner:

Das Mädchen an der Grenze.

Roman. Wien: Picus Verlag 2017.

Christina Repolust

wurde 1958 in Lienz/Osttirol geboren. Sie schloss das Studium der Germanistik und Publizistik in Salzburg ab. Seit 1992 ist sie Leiterin des Referats für Bibliotheken und Leseförderung der Erzdiözese Salzburg und unterrichtet nebenbei Deutsch als Fremdsprache. Zudem leitet sie Literaturkreise und Schreibwerkstätten für Groß und Klein. Ihre Leidenschaft zu Büchern drückt die promovierte Germanistin so aus: „Ich habe mir lesend die Welt erobert, ich habe dabei verstanden, dass nicht immer alles so bleiben muss wie es ist. So habe ich in Romanen vom großen Scheitern gelesen, von großen, mittleren und kleinen Lieben und so meine Liebe zu Außenseitern und Schelmen entwickelt.“

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  • Veröffentlicht: 30.08.2017
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