Aktuelle
Ausgabe:
Bewegung
04-05/24

Lautlos dem Fortschritt entrinnen

Lautlos dem Fortschritt entrinnen
Reinhard Kaiser-Mühlecker: Schwarzer Flieder

Vielleicht liest man zuerst diesen Roman. Dann merkt man sich den Namen und sucht andere Bücher des jungen oberösterreichischen Autors, der aus Eberstalzell stammt. Ja, kennen alle, die von Westen auf der Autobahn nach Wien fahren. Das macht auch der Protagonist des Romans, er ist nach Wien gefahren, vielleicht sogar geflüchtet. Ferdinand Goldberger, das macht als Name schon was her. Er arbeitet im Ministerium, ist pflichtbewusst, gewissenhaft und exakt.

Sieben Jahre nach seinem Weggehen – wer mehr wissen will, lese unverzüglich „Roter Flieder“ – begegnen wir Ferdinand Goldberger, er hat sein Studium, Bodenkultur, abgeschlossen und war in den ersten drei Jahren schon noch in Sommer- und Weihnachtsferien zur Familie im oberösterreichischen Rosental gefahren. Auch was gelernt, Rosental und Oberösterreich also, nicht Kärnten, denn sonst gingen sich seine in diesem Roman auftretenden Spontanbesuche ja zeitlich gar nicht aus. Ferdinand scheint alle Zeit der Welt zu haben, besonders seit sich die Liebe seines Lebens, Susanne, von ihm getrennt hat. Aber so schnell ich das jetzt schreibe, so schnell lebt der Held nicht, findet er Susanne nicht wieder, fährt zu seiner Familie und erzählt ihr davon, dass er heiraten wolle, ja, die Susanne, die von früher.

Es gab nur noch eine Handvoll landwirtschaftliche Betriebe in Rosental. Alle anderen hatten das Handtuch geworfen, entweder weil es sie verdross, zu bloßen Almosenempfängern abgestempelt worden zu sein, oder weil es sich auch mit diesen Fördergeldern nicht mehr rechnete oder weil niemand sich gefunden hatte, der den Betrieb fortführen wollte.

Es sind winzige Szenen, die uns teilhaben lassen am Fremdwerden am Hof, die zeigen, wie sich Ferdinand mehr und mehr zum Gast, dem nicht geladenen Gast, entwickelt, weil ihn eben die anderen so sehen. Ministerium, Wiedersehen mit Susanne, Planen der Hochzeit – dann wieder neue Ritzspuren an Susannes Unterarmen, sie nimmt ihren Mantel. Gefunden wird sie in der Donau und er, Ferdinand, hört überall die Anklagen, er habe sie doch in den Tod getrieben.

Er? Er fliegt dorthin, wo sein Vater sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte und genießt es, die Sprache hier, in Bolivien, nicht zu verstehen. Ein Schutzschild legt sich um ihn, er hört Stimmen, Laute, Worte, Sätze und versteht sie nicht. Mit viel Dosenbier übersteht er die ersten Wochen, später hilft er im Kinderheim mit, eine Aufgabe, ach, was heißt hier ehrenamtlich. Eine Aufgabe, die hilft, nicht wahnsinnig zu werden und Kinder, Liebe, Lebendigkeit zu erleben. Dann der Anruf von Daheim, vom Hof. Totschlag?

Es sind immer die Stillen, die diesen Roman weiterbringen; keine Tragödie wird inszeniert, manchmal nur ein Keilriemen gesucht oder eine Heiratsannonce aufgegeben oder neue Fliederbäume werden gesetzt. Leidenschaft oder trautes Miteinander, wieder forschen, den Anbau überwachen und die Geldgier des Onkels eindämmen, Pachtverträge auflösen, man brauche das Land doch nicht und der Emporkömmling sitze doch jetzt ein.

Reinhard Kaiser-Mühlecker: Schwarzer Flieder.
Roman.
Hamburg: Hoffmann und Campe 2014.

  • Teile mit:
  • Veröffentlicht: 27.05.2014
  • Drucken