Konsumieren ist Alltag, wir kaufen und kaufen, um endlich zufrieden zu sein. Der Gegentrend ist die Genügsamkeit. Dabei muss der Mensch nicht gleich zum kompletten Konsumverweigerer mutieren. Oft reicht die schlichte Frage „Brauch ich das wirklich?“ Geschichten von Menschen, die weniger wollen.
Ist weniger mehr oder tatsächlich einfach nur weniger? Warum wollen viele immer mehr? „Froh zu sein, bedarf es wenig.“ Der alte Kanon drängt sich auf, während wir über den Begriff „Genügsamkeit“ sinnieren. Schauen wir, was Wikipedia dazu ausspuckt. Wörter wie Bescheidenheit, Dankbarkeit und Enthaltsamkeit tauchen auf. Genügsamkeit sei „die Art, mit wenig zufrieden zu sein“. Das klingt nach einer edlen Tugend.
Der Alltag zeigt sich häufig weniger tugendhaft. Kinder, die vom Opa ein kleines Eis bekommen, fordern heulend ein größeres. Gesunde Erwachsene arbeiten sich krank, um mehr zu haben. Mehr als vorher, mehr als der Nachbar oder die Kollegin. Im Glauben an ein unendliches Wachstum häufen sie in ihrer knappen Freizeit Gegenstände an, für deren Produktion wissentlich Umweltzerstörung und Ausbeutung von ArbeiterInnen in Kauf genommen worden sind. Werden sie damit glücklicher?
Ich gönn‘ mir was
Kurzfristig und unter bestimmten Umständen: Ja, materieller Besitz kann glücklich machen. Diese Aussage trifft Jens Förster, Sozialpsychologe und Autor des Buches „Was das Haben mit dem Sein macht. Die neue Psychologie von Konsum und Verzicht“ (Pattloch Verlag). Er erklärt das Habenwollen einerseits mit hedonistischen Gründen. Man kaufe, um die eigene Stimmung zu verbessern.
Man gönne sich etwas, schaffe Sicherheit, ein Gefühl der sozialen Zugehörigkeit oder der individuellen Besonderheit. So gesehen sei es tatsächlich möglich, durch Besitz froh zu werden. Da viel haben oder wenig haben immer in Relation zu anderen gemessen werde, sei es häufig Neid, der uns zum Wollen veranlasst. Unsicherheit, ein geringer Selbstwert oder Kontrollverlust seien weitere negative Motive fürs Kaufenwollen. Etwas zu besitzen bedeute auch, Macht über etwas zu haben, über sein Eigentum entscheiden zu können.
Förster stellt dem Haben das Sein entgegen, wie es Erich Fromm in dem gesellschaftskritischen Werk „Haben oder Sein“ bereits in den 1970er-Jahren getan hat. Während „Habensziele“ konkrete, greifbare Güter sind, bezeichnen „Seinsziele“ meist Zustände, wie etwa der Wunsch, ein guter Vater zu werden, oder das Sehnen nach Unabhängigkeit. Haben kann dem Erreichen von Seinszielen auch entgegenwirken. Ein eigenes Haus zum Beispiel kann belasten, muss es doch gepflegt, saniert und vielleicht sogar bewacht werden. Es bindet an einen Ort und kann dadurch auch als Käfig empfunden werden.
„Jedes Ding hat einen einzigen Platz“
Katrin Miseré: Ich begleite andere dabei, sich von Dingen zu befreien. Vordergründig scheint das ein Luxusproblem zu sein. Oft steckt aber mehr dahinter, nämlich Unsicherheit und Angst. Der ewige Kaufimpuls hilft beim Abfedern negativer Gefühle. Mein liebstes Beispiel sind Onlineangebote für den Haushalt. „Wie konnte ich die Eier bisher nur ohne diesen Eierschneider schneiden?“ Ein Klick, und er ist gekauft. Mit meinen KundInnen nehme ich mir jedes Ding, Stück für Stück, vor. Es wird begutachtet, dann entschieden, ob es wegsoll oder bleibt. Ordnung funktioniert nur, wenn man für jedes Stück den Platz bereithalten kann. Bei mir daheim sind Arbeitsflächen und das Sofa immer leer. Und ich miste regelmäßig aus. Das ist immer wieder befreiend.
Foto: Tina Herzl
„Genügsamkeit schärft den Blick“
Christa Groiss: Mit 26 Jahren war ich vierfache Mutter, mein Mann war 27 Jahre alt. Genügsamkeit war für uns alltäglich und nichts Negatives. Im Sommer bin ich mit dem Fahrrad zum Baden gefahren – vorne ein Kind, hinten eines. Die beiden Größeren sind selbst gefahren, alle vollbepackt. Wir hatten viel Spaß. Urlaub gab es auf der Selbstversorgerhütte. Damals besaßen wir auch kein Telefon, es gab ja eine Telefonzelle direkt vorm Haus. Wenn für alle Kinder neue Jacken fällig waren, war das eine Herausforderung. Wir haben dann bei uns selbst gespart. Genügsamkeit schärft den Blick für den Wert der Dinge. Heute können wir uns mehr leisten, ich arbeite auch seit vielen Jahre wieder. Seit drei Jahren verbringen mein Mann und ich jeden Winter zwei Wochen in Sri Lanka. Ich leiste mir heute also, in ein genügsames Land zu fahren.
Foto: Robert Maybach
„Ich habe über meine Verhältnisse gelebt“
Florian Beer: Ich war PR-Manager in einer der weltweit größten Pharmafirmen. Mit der Verantwortung ist auch das Geld mehr geworden. Ich habe mir schnelle Autos gekauft und über meine Verhältnisse gelebt. Alles wurde selbstverständlich. Schleichend habe ich den Kontakt zu mir selbst verloren. Ich war ausgebrannt. Der Wendepunkt? Nach einem 20-stündigen Arbeitstag habe ich gekündigt. Es folgte ein halbes Jahr Auszeit. Erst mithilfe von professionellen MentorInnen habe ich wahrgenommen, was mir eigentlich wichtig ist. Und das bin ich: mein Körper und mein soziales Umfeld. Das Bankkonto darf nicht mehr über mein Tun bestimmen. Ich achte jetzt besser auf mich und mache mehr Sport, fahre ein kleineres Auto, lebe in einer ruhigen Wohnung am Rande Wiens. Da stehe ich dann abends in meinem Garten und kann es einfach genießen, die Kräuter zu zupfen.
Foto: Tina Herzl
„Ich verbinde Sachen und Menschen“
Federica Micucci: Ich orientiere mich nicht an beruflichem und finanziellem Erfolg, weil er mich nicht dauerhaft zufrieden machen kann. Grundsätzlich ist mein Lebenskonzept nicht fest. Ich bin sehr neugierig, habe schon viel ausprobiert. Das ist Teil meines Charakters. Anstatt mein Glück in käuflichen Dingen zu suchen, teile ich und stelle Beziehungen her. Ich organisiere zum Beispiel -Abende, an denen FreundInnen und Bekannte kommen, um ihre aussortierte Kleidung miteinander zu tauschen. Der Tausch funktioniert, ohne dass wir dafür an den Geldwert der Sachen denken müssen, und ich kann mich beim Tragen an die Menschen und Geschichten erinnern, die ich mit meinen Kleidungsstücken verbinde. Mit den Dingen aus den Geschäften entsteht keine solche Verbindung.
Foto: Alexandra Grill
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