Die einen schieben den Gedanken an den eigenen Tod weit weg, die anderen haben zu Lebzeiten schon ihre Beerdigungsfeier organisiert. "Es ist wichtig, an das eigene Vermächtnis zu denken", sagt die Logotherapeutin Johanna Schechner. Und Biowinzerin Ilse Maier zeigt vor, wie sie ihren Hof an die nächste Generation übergibt.
„Wenn jeder Mensch sich die Frage stellen würde, was er hinterlassen möchte, wenn jeder mit Sorgfalt an seinem Vermächtnis arbeiten würde, hätten wir paradiesische Zustände.“ Johanna Schechner ist Gründerin und Leiterin des „Viktor Frankl Zentrums Wien“ und findet in der Lehre Frankls eine genaue Antwort auf die „unglaublich spannende“ Frage nach dem eigenen Vermächtnis. „Der Mensch kann Stellung nehmen zu seinem Körper und seiner Psyche“, sagt sie. „Das ist ihm möglich, kraft seiner geistigen Dimension.“ Dieser Geist ermögliche es überhaupt erst, dass der Mensch über den Tod nachdenken könne und dass er darüber hinaus sich also über seinen sterblichen Körper und seine anfällige Psyche erheben könne.
„Wenn jeder Mensch sich die Frage stellen würde, was er hinterlassen möchte, wenn jeder mit Sorgfalt an seinem Vermächtnis arbeiten würde, hätten wir paradiesische Zustände. “
Worin Lebenszeit investieren
Wir alle sind uns dessen bewusst, dass wir hier auf der Erde ein begrenztes Zeitfenster haben. „Wir leben nicht ewig – das ist auch gut so, weil wir sonst nie die Dinge anpacken würden, die wir tun sollen. Wir können jetzt also überlegen, worin wir unsere Lebenszeit investieren“, sagt Johanna Schechner. „Wir können darüber nachdenken, was wir für die Welt hinterlassen wollen, wie man einmal über uns sprechen soll. Und damit wird das Vermächtnis richtungsweisend für das Hier und Jetzt.“ Es sei des Menschen geistige Haltung, die dies möglich mache. „Mit meinen Klienten arbeite ich gerne mit dem Bild des Gipfelblickes“, erzählt Schechner. „Wir schauen uns an, welche Lebensgipfel sich aufgeworfen haben – gesunde Kinder, ein liebevoller Partner, Freunde, alle Dinge, für die man dankbar sein kann.“ Die Art und Weise, wie wir auf diese Gipfel schauen, können wir mit unserer geistigen Haltung beeinflussen: Sind wir dankbar für einen Gipfel? Oder unzufrieden mit einem ganzen Bergpanorama?
Das Lebenswerk übergeben
Das Testament als verschriftlichtes Vermächtnis, als Instrument, die Angelegenheiten zu ordnen, Wünsche zu hinterlassen, das Lebenswerk nach bestem Wissen und Gewissen zu übergeben, kann eine Erleichterung für die Hinterbliebenen darstellen. „Ich sehe darin eindeutig ein Liebesmotiv“, sagt Johanna Schechner.
Verzeihen, danken, entschuldigen
In der Lehre Viktor Frankls findet sich zum Thema Vermächtnis sein berühmtes Scheunengleichnis. „Frankl vergleicht das menschliche Leben mit einer Scheune“, sagt Johanna Schechner. „Der Bauer erntet das Getreide ab und birgt es in der großen Scheune vor Wind und Unwetter. Solange wir leben, sind die Scheunentore offen und wir ernten schönes Getreide – mitunter rutschen aber auch Disteln und Unkraut mit hinein. Die Tore der Scheune sind offen, solange wir atmen. Auch wenn wir dem Tod schon sehr nahe sind, können wir noch hochwertiges Getreide hereinholen, um die Relation zu Disteln und Unkraut auszugleichen.“ Die geistige Dichte dessen, was hereingeholt werden soll, ist bei sterbenden Menschen oft extrem hoch, sagt Schechner. Unglaublich wertvolle Ballen guten Getreides würden da noch dazukommen – durch Verzeihen, Danksagung, Entschuldigung oder Klärung. „Das Aufregende an dem Gleichnis ist aber: Wenn der Tod eintritt, gehen die Scheunentore zu und alles Gelebte ist unverlierbar in der Scheune geborgen. Das Leben ist fertig. Der Mensch vollendet sich im Sterben.“
Beeindruckt von dem Artikel erzählen Leserinnen, was für sie so bedeutsam ist, dass es bleiben soll. Sie verraten, was sie ihrer Familie und der Welt, in der sie leben, hinterlassen wollen. Die Antworten zeigen, wie vielseitig das Leben ist.
Allen soll es gut gehen
Nachdem Ilse Maier den Weinbaubetrieb ihrer Eltern übernommen hatte, stellte sie sofort auf „bio“ um. Damit verband sie Überzeugung und Zukunftsideen. Derzeit gibt sie selbst den „Geyerhof“ in die Hände der nächsten Generation.
Darum ging es mir von Anfang an: Ich wollte Verantwortung übernehmen für den Platz, an dem ich stehe, und das Beste daraus machen. Die Böden und die ganze Landschaft wollte ich so hinterlassen, dass kommende Generationen weitermachen können.
Als ich Anfang der 1980er-Jahre an der Wiener Universität für Bodenkultur studierte, war die Zeit der Umweltbewegung, der Proteste in der Hainburger Au und der Sorge um das Waldsterben. Das alles hat mich geprägt. Ich begegnete Bauern, die biologisch arbeiteten, und mein Entschluss kam schnell: Wenn ich den Hof meiner Eltern übernehmen würde, dann nur mit biologischer Landwirtschaft.
Den ,Geyerhof‘ gibt es seit Jahrhunderten, die Menschen auf diesem Hof haben den Dreißigjährigen Krieg erlebt, zwei Weltkriege und wirtschaftlich sehr schwierige Zeiten. Aber es gab auch Zeiten des Aufschwungs, der Neuerungen. Dieser Geist der vorherigen Generationen wirkt nach. Meine Eltern haben mir den Betrieb direkt nach dem Studium übergeben, und mein Vater hat sich augenblicklich zurückgezogen. Sie haben mich einfach freigelassen und ich durfte meine neuen Ideen am Hof ausprobieren.
Ende der 1980er-Jahre gab es noch nicht viele Bio-Weinbau-Betriebe. Es war schon für viele Menschen ungewöhnlich, dass eine Frau einen Weinbaubetrieb führte. Die Gründung der Gruppe ,Elf Frauen und ihre Weine‘ im Jahr 2000 war ein ganz wichtiger Impuls: Uns ging es darum, unsere Kompetenz zu zeigen.
„Ich träume davon, dass das mein Vermächtnis ist: eine positive Grundstimmung am Hof. Wenn es nur einem schlecht geht, leiden alle. Unser Betrieb ist für die Menschen da und nicht umgekehrt.“
Arbeit – ein Leben lang
Zum Jahreswechsel übernehmen nun mein Sohn und meine Schwiegertochter den Hof. Josef hat Ökologische Landwirtschaft studiert und Maria Landschaftsplanung, die beiden sind sehr engagiert. Wir haben neuerdings auch Schweine, Rinder und Bienen am Hof. Die beiden trauen sich noch mehr als ich, und sie sind geleitet vom Kreislauf-Gedanken, der auch mir schon ein Anliegen war. Seit heuer haben wir auch eine Demeter-Zertifizierung.
Ich träume davon, dass das mein Vermächtnis ist: eine positive Grundstimmung am Hof. Wenn es nur einem schlecht geht, leiden alle. Unser Betrieb ist für die Menschen da und nicht umgekehrt. Was ist der Sinn des Lebens? Es bringt nichts, sich aufzuopfern und zu leiden. Allen soll es gut gehen: den Familienmitgliedern, den MitarbeiterInnen, den Rindern, dem Weingarten, den Ackerflächen, den Blumen im Garten – einfach allen! Dafür arbeite ich mein Leben lang.“
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Erschienen in „Welt der Frauen“ November 2020
Fotos: Stefan Knittel